Vertreibt die Armen!

Vertreibt die Armen!
Am Wiener Christkindlmarkt sind Bettler unerwünscht. Armut, die sichtbar ist, macht uns ein schlechtes Gewissen.
Doris Knecht

Doris Knecht

Der Christkindlmarkt am Rathausplatz hat eröffnet; drei Millionen Besucher werden erwartet. Nicht erwünscht: Bettler. Auf den meisten Wiener Adventmärkten gilt heuer ein Bettelverbot. Richtig ist: Die organisierten Bettlerbanden, vor allem, wenn sie auch Kinder für ihre Geschäfte missbrauchen, gehören aus dem Verkehr gezogen. Aber es werden auch die Augustin-Verkäufer von den Märkten vertrieben. Aber: Die Augustin-Verkäufer, die echten (es gibt auch falsche) sind eben keine Bettler. Sie bieten eine Ware an, man kann sie kaufen oder nicht. Man kann, auch wenn man sich dabei nicht besonders gut fühlt, Nein sagen. Bei der Vertreibung der Bettler und Augustin-Verkäufer geht es um eins: Armut, sichtbare Armut, ist geschäftsschädigend. Sie macht uns ein schlechtes Gewissen. Das wollen die Betreiber der Weihnachtsmärkte nicht, denn schlechtes Gewissen versaut ihnen das Geschäft. Ein Geschäft, von dem nur wenige profitieren: Die Augustin-Verkäufer sollen davon ausgeschlossen bleiben. Eine halbe Million Österreicher lebt bereits unter der Armutsgrenze. Wir werden uns, wenn es mit der Krise so weitergeht, an sichtbare Armut gewöhnen müssen: An alte Menschen, die sich eine Mahlzeit erbetteln, an frierende alleinerziehende Mütter, an obdachlose Geschiedene. Die Armen von den Märkten zu vertreiben, ändert daran nichts: Damit wird nicht die Armut bekämpft, sondern die Armen. Auf jedem Adventmarkt, vor allem aber auf unser aller Rathausplatz, eine Suppenküche einzurichten, wie es die Occupy -Bewegung am Samstag um 13 Uhr vor dem Burgtheater fordern wird, wäre ein angemesseneres Zeichen, und ein humanes.

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