Ges.m.b.H.: Sichtweisen

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Ist Übertreibung ein Kind der Zeit?
Karl Hohenlohe

Karl Hohenlohe

Es mehren sich die Leserbriefe, in denen die Damen und Herren die gute alte Zeit beschwören. Oberflächlich betrachtet möchte man ihnen recht geben, die Zahl der Übertreibungen beispielsweise hat stark zugenommen. Es gibt keine guten oder schlechten Regierungen mehr, sondern nur noch "Die Schlechteste" , "Wetten, dass ..?" ist zum "Showfiasko" verkommen, und fegt einmal ein kleiner Regensturm über Wien, liest man gleich von einem "zerstörerischen Orkan". Zwischen den nervigsten und beliebtesten Prominenten existiert kein Niemandsland, und angesichts eines einzigen missglückten Auftrittes eines Opernstars, ortet man schon den Anfang vom Ende. Zur Beruhigung: Es war schon immer so. Womit wir bei meinem Urgroßvater Tassilo Festetics wären, der im schönen ungarischen Keszthely zu Hause war. Es ist keine Übertreibung, wenn ich vom Urgroßvater als eher vermögendem Mann spreche, der ein ganz klein wenig despotisch veranlagt war. Die Dienerschaft, so lese ich in den verschiedensten Erinnerungen, sei rund um die Uhr in Alarmbereitschaft gewesen. Neben dem Hauptschloss in Keszthely verfügte der Urgroßvater auch über mehrere kleiner Jagdschlösser, die allesamt von jeweils 12 Angestellten in Schuss gehalten wurden. Reiste er ein Mal im Jahr an, hatte man sich vollzählig vor dem Eingang einzufinden. Einmal erschien der Urgroßvater etwas überraschend, anstatt der 12 waren nur neun Diener zugegen. Der Urgroßvater stockte und rief dann empört: "Was ist da los, warum ist da niemand, um uns zu empfangen?" Nein, die Übertreibung ist kein Kind der Zeit.

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