Die Gefahr des Titelgewinns

Fußball-Weltmeister werden. Das ist das erklärte Ziel der Seleção. Einige Brasilianer fürchten sich eher davor.
Bernhard Hanisch

Bernhard Hanisch

Möglicherweise war auch das Klischee vom immer heißblütigen Brasilianer maßlos überfordert

von Bernhard Hanisch

über die Stimmung in Brasilien

Es ist schwierig, die derzeit herrschende Stimmung in Brasilien einzuschätzen. Für den Beobachter, der das Land während der Kurzfristigkeit einer Weltmeisterschaft besucht, ein Ding der Unmöglichkeit.

Was auffällt? Das sich vorhandene, aber gleichzeitig gelassen dahinplätschernde Interesse. Nur von Spitzenwerten der Emotion unterbrochen, wenn die eigene Mannschaft am Zug ist. Das Gesamtprodukt WM existiert einfach. Irgendwie nebenher. Möglicherweise war auch das Klischee vom immer heißblütigen Brasilianer maßlos überfordert. Doch es bleibt beeindruckend, dass nach zahlreichen Gesprächen, noch kein einziger Mensch diese Weltmeisterschaft ohne Wenn und Aber als größtes, im eigenen Land je stattgefundenes Ereignis bezeichnen mag. Eigentlich überraschend in einer zweifellos dem Fußball verfallenen Nation.

Es gebe eben keine schöne WM, im gleichzeitigen Wissen, dass die wirklichen Bedürfnisse Brasiliens beharrlich ignoriert werden. Dieser Stachel sitzt tief. Die immer wiederkehrende Relativierung eines Volksfestes, welches die Regierung so gerne sehen würde.

Staatspräsidentin Dilma Rousseff machte wieder darauf aufmerksam, dass der Fußball von der Politik strikt zu trennen sei. Aber vor allem die besser gebildeten Schichten des Landes weigern sich, eine solche Unterscheidung zu treffen. Alleine der Bau von vier Stadien, die nach der Weltmeisterschaft für die Nutzlosigkeit bestimmt sind, bleibt Hauptargument der Kritiker.

Doppelpass

Es gab wieder Demonstrationen am Sonntag, beim ersten WM-Spiel in Rio. Dieses Mal schon heftiger als jene, die am Eröffnungstag in der Vorwoche stattgefunden haben. Die FIFA stand dabei im Mittelpunkt des Zorns. Für die Verschwendungssucht des Veranstalterlandes kann der Weltverband im konkreten Fall aber nichts. Der Zufall der Geschichte will es, dass in Brasilien in den Jahren einer WM auch Wahlen stattfinden.

Heuer wird dies am 5. Oktober geschehen. Und eine Endrunde diente dabei früher oft als willkommenes Ablenkungsmanöver. Unzufriedenheit mit praktizierter Politik war tatsächlich mit der Freude am Spiel, meist auch dem Jubel über den Erfolg zu kaschieren.

Ob das im Jahr 2014 noch einmal funktioniert, ist jedenfalls fraglich. Befürchtet wird es von kritischen Geistern allerdings schon. "Hoffentlich wird Brasilien nicht Fußball-Weltmeister. Denn dann geht alles so weiter wie bisher."

Solche Worte aus dem Mund eines Brasilianers sind Beweis genug dafür, dass einiges ziemlich schieflaufen muss in diesem Land.

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