Es gilt die Schuldvermutung

Es gilt die Schuldvermutung
Was Leaks mit unserer Gesellschaft anrichten: Keiner will mehr in die Politik.

Journalisten, insbesondere die sogenannten „Investigatoren“ unter ihnen, leben unter anderem davon, Aufdecker-Storys zu bringen. Das ist ihr Job und das ist wichtig für die Demokratie, denn: Macht braucht Kontrolle. Deshalb ist die Pressefreiheit ein heiliges Gut. Aber: Hört bitte mit der scheinheiligsten aller Formulierungen auf, nämlich: „Es gilt die Unschuldsvermutung“. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. Von Staatsanwaltschaften und Untersuchungsbehörden werden permanent Fälle an die Öffentlichkeit, sprich Medien, geleakt, die eigentlich der strikten Verschwiegenheit unterliegen. Diese Verschwiegenheitspflicht, die zum Schutz der Bürger festgeschrieben ist, wird aktuell in einem zunehmenden Maße gebrochen, sodass jeder von uns um seine Grund- und Persönlichkeitsrechte fürchten muss.

Denn: Steht eine mehr oder weniger prominente Person, über die ermittelt wird, gar als Beschuldigter in den Medien, gilt eben nicht die „Unschuldsvermutung“ sondern, im Gegenteil, die „Schuldvermutung“.

Wer heute noch in die Politik geht, muss damit rechnen, zu einer Art Freiwild erklärt zu werden. Viele Manager, wie etwa der Generaldirektor einer Versicherung, der diesen hoch dotierten Job leichtsinnigerweise mit dem des Finanzministers tauschte, haben den Gang in die Politik längst bitter bereut, weil ihnen die geringste Unachtsamkeit rasch einen Beschuldigtenstatus und den Staatsanwalt im Hause einbrachten. Auch wenn es vielleicht nie zu einer Anklage oder gar einer Verurteilung kommt, die wochen- oder monatelange Präsenz in den Medien ruiniert Ruf, Karriere und oft sogar Freundeskreis und Familie. Das ist ein zu hoher Preis für ein bisschen Macht-Schnuppern in der Politik.

Fazit: Kaum mehr ein ernst zu nehmender Topmanager, Unternehmer oder erfolgreicher Selbstständiger wird sich in Zukunft den Dienst an der Republik, der heutigen Politikern ja gar nicht mehr zugestanden wird, antun. Eliten werden nicht mehr in der Politik zu finden sein. Eine fatale Entwicklung für die Führung eines Landes. Dass eine gerichtliche Untersuchung mitunter gleich in den Medien landet, ist eine österreichische Unart. In Deutschland ist dies – während eines laufenden Verfahrens – strikt verboten. Diese Unterlassung zum Schutz der Grund- und Persönlichkeitsrechte eines Bürgers muss auch in Österreich gesetzlich verankert werden. Längst sind es nämlich nicht nur Politiker, die – nicht selten aus parteipolitischem Kalkül – an den Pranger gestellt werden, sondern auch Bürger wie du und ich. Es genügt eine geschickt formulierte, wenn auch gelogene, anonyme (!) Anzeige bei der WKStA.

Befindet ein Staatsanwalt einen Anfangsverdacht, ist man schnell Beschuldigter und – sofern öffentlich bekannt – womöglich auch rasch in den Medien. Nicht selten werden so Existenzen ruiniert. Jedenfalls kostet es Reputation und Vertrauen, frei nach dem österreichischen Lieblingsmotto: „Irgendwas wird schon dran sein“.

Wolfgang Rosam ist seit 40 Jahren Kommunikationsberater für Unternehmen und Politik.

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