Die kleine Nana hat ein Recht auf Leben

Walter Friedl
Die Hunger-Katastrophe in Niger setzt vor allem den Schwächsten zu. Viele Säuglinge sind unterernährt. Doch ihre Mütter kämpfen um sie, unterstützt von Hilfsorganisationen.
Walter Friedl

Walter Friedl

Schreiend hängt das Kind in der Trage-Vorrichtung der Waage, die an einem Ast eines Baumes befestigt ist. Schon bei 4,3 Kilogramm pendelt sich der Zeiger ein. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn der Säugling drei, vier Monate alt wäre. Doch Nana wird in 30 Tagen ein Jahr alt. Normalerweise wiegen die Kleinen zu diesem Zeitpunkt zwischen sechs und sieben Kilogramm. Die einzige Überlebenschance für Nana ist der Gesundheitsstützpunkt, den World Vision hier im wüstenähnlichen Südens von Niger betreibt, in der Region Maradi.

Alle zwei Wochen kommen die Mütter mit ihren unterernährten Kindern in die Station, schwere Fälle müssen jede Woche zur Kontrolle. Den Babys wird ein Erdnuss-Brei, angereichert mit Vitaminen, verabreicht. Jedes der kleinen, nur 100 Gramm schweren Säckchen hat 500 Kalorien. Das Zeug schmeckt echt grauslich, ich habe es probiert. Aber die Säuglinge schlecken es schnell von den Fingern ihrer Mütter, von denen viele so ausgezehrt sind, dass sie keine Milch zum Stillen mehr haben.

Durch die schlechte Ernte des Vorjahres und die anhaltende Dürre sind längst alle Vorräte aufgebraucht. Ich gehe nach der Abwage ihres Kindes und der Ausgabe einer Mischung von Maismehl und Sojaöl mit Karima Nouhou, 30, in ihr kleines Dorf. Tief sinken die Schritte in den Sandboden ein, der Weg ist beschwerlich. Nur ein paar Büsche und Bäume trotzen der Dürre. Sieben Kilometer sind es bis zu ihrer Hütte, neben der noch weitere sieben stehen: Jeweils rund zehn Quadratmeter, darum eine niedrige Lehmmauer, darauf ein Strohdach - für neun Personen, im Schnitt. Alle Männer sind weg, ausgezogen ins nahe Nigeria, auf der Suche nach Arbeit, um die Familien zu ernähren.

Karima Nouhou hat fünf Kinder. Und sie hat fast keine Vorräte mehr. Für zwei, drei Wochen reichen sie vielleicht noch. Karima rührt Sorghum (eine Art Mais) mit Wasser an. Das Ganze wird dann zu einem Brei verkocht, ein Mal pro Tag, mehr geht nicht mehr. Wenn der Mann nicht bald kommt oder zumindest Geld schickt, ist es aus, sagt sie. Aber sie glaubt an ihn. Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig. Die Szenerie hat für mich etwas von einem Todesurteil mit definiertem Exekutionsdatum.

Wie würde ich damit umgehen, frage ich mich ständig? Ich weiß es schlicht nicht. Und in Wahrheit will ich es mir auch nicht vorstellen, dass meine Familie in zwei Wochen nichts mehr zu essen hat. Da werden dann unsere Probleme des Alltags plötzlich so zwergenhaft klein. Es ist bewundernswert, wie die Menschen mit der Dramatik der Lage umgehen. Mit welcher Zähigkeit sie dem scheinbar Unausweichlichem trotzen. Und mit welcher Hoffnung sie der nächsten Regenzeit entgegengehen. Im Juni soll sie kommen. Doch selbst wenn der so heiß ersehnte Regen die Saat aufgehen lässt (die meisten haben ihr Saatgut freilich längst aufgegessen), müssen die Familien bis zur nächsten Ernte "durchgefüttert" werden. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie es schaffen.

World Vision Österreich bittet um Spenden: PSK 90 890 000, BLZ 60 000 Kennwort: Hungersnot in Westafrika

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