Und noch ein Penis!

Alles ist möglich im und mit Web 2.0. Neuester Schrei im Kosmos der Selbstdarstellung: Chatroulette. Eine Website, die per Kamera und völlig anonym Fremde mit Fremden verbindet. Der Selbstversuch beweist:
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Von den geschätzten 20.000 Usern pro Abend sind gefühlte 19.980 Männer. Davon zeigt so zirka jeder zweite nichts, außer seinen Penis.

Irgendwann - denkt man - hat sich's mit den Selbstversuchen. Das Leben scheint wie ein bunter, nahezu vollendeter Regenbogen aus Verrücktheiten, Verkehrsteilnehmern und Vögelfreiheiten. Man hat gesoffen, gefastet, 1.000 Liebesbriefe von Hand geschrieben, Religionen, Verlobungsringe, Männer, zuweilen auch Frauen verbraucht, Dauerwelle und orthopädisch unkorrektes Schuhwerk getragen. Alles getan, alles gesagt, alle(s) erlebt. Sogar den Pilgerweg. Im Schatten dieser Sattheit ließe es sich gelassen Tee trinken, Hesse lesen und Eigenbau-Paradeiser ernten. Aber dann: Kommt dieses depperte Web 2.0 daher! Als gigantische Einladung zu Selbstversuchen und Versuchungen des Selbst: Facebook, Twitter, Chatrooms, Datingbörsen. Pam. Pam. Pam. Eine mentale Erektion, die größte Orgie seit Erfindung des Geschlechtsverkehrs. Und das alles mehr oder weniger ohne Schwarzkappler - denn Kontrollinstanz gibt's so gut wie keine. Na denn, Selbstversuch, Klappe, die 24.000te, rein dienstlich, eh klar. Wir treten im Singleportal als dauergeiler Traum in Blond auf, um zu schauen, was passiert. Wir basteln in Facebook an der Marke Eigenbau und onanieren mental. Wir twittern gehaltvoll Sinnloses. Wir produzieren uns am Schauplatz des Exhibitionierens. Und wär's der Zeigefreudigkeit noch immer nicht genug, gibt's jetzt Chatroulette. Als Tiefebene in den Untiefen des Internets. Das geht so: Per Zufallsgenerator werden Menschen aus der ganzen Welt zusammengewürfelt - anonym. Mit dem Ziel, zu chatten. Ist das Gegenüber nicht gefällig: Mit der Taste F 9 geht's weiter. Pam. Pam. Pam. Einer geht also noch, die Selbst-Versuchung betreffend. Ein Glas Weißen - ab zur Webcam: www.chatroulette.com. Gemma! Unten links sehe ich mich selbst. Oben links, die jeweiligen "Chatpartner" - eine echte Perlenreihe: 1. Zwei Burscherln, graugrün wie Dinkelbrei. 2. Ein Mann mit dem Blick eines Drogenhändlers. 3. Ein Mädchen mit Pickeln. 4. Mehrere Menschen mit mehreren Bierflaschen. 5. Ein Penis, erregt. 6. Noch ein Penis, schlaff. 7. Zwei Penisse. 8. Ein Mann mit einem Penis in der Hand. 9. Ein Zettel mit der Aufschrift: Show me your tits. 10. Einer, der aussieht, als würde er mir in der Sekunde seinen Penis zeigen wollen. Die harten und auch weniger harten Fakten: Chatroom ist nix anderes als eine halbsteife Pimpferlparade, eine Peepshow für Bedürftige. Nicht, dass mich so viel Vorhautnähe jetzt schocken würde - man hatte ja im Laufe eines Frauenlebens doch die eine oder andere Begegnung mit einem Glied. No news, also. Doch mit ein bissl Pech onaniert mir so einer doch glatt den Bildschirm zu. Ich schließe das Volks-Theater ohne Bedauern - aber verwundert. Jeden Abend, lese ich nämlich, geben sich 20.000 Menschen - gefühlte 19.980 davon sind Männer - diese Form von Reality TV. Voyeurismus reloaded - dagegen wirken die Ungustlspatzerln, die im Park den Trenchcoat lüften, harmlos. Nicht, dass ich das gut finde, aber die haben wenigstens ein Gesicht! Mann. Wenn das die Zukunft der Kommunikationskultur ist: merci, non. Dann lieber doch Paradeiser ernten. Und ab und an einen Porno schauen, der mehr zeigt, als ein paar Nudeln in Notlage.

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