Die Sexkolumne im Weblog: Überdrüber!

Oft einmal steckt hinter einem lockeren Scherzchen zum Thema Penislänge traditioneller, männlicher Größenwahn, der augenzwinkernd toleriert werden kann. Heute geht in Sachen Sexualität schon fast gar nix mehr ohne das Prinzip Messlatte.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

An sich sind besoffene Männer, die gerade 50 geworden sind, nicht zwingend lustig. Denn was sie tun, ist oft einmal nichts anderes als der blauäugig-verzweifelte Versuch, der Zeit und den Alterungsprozess eine zu kleben. Etwa, indem sie maximal unvernünftig werden und in zwielichtigen Bars gegen vier Uhr morgens Unsinn plauschen. In so einem Umfeld dramatischer Verzweiflung wurde ich unlängst Zeuge einer dann doch recht komischen Szene. C, das fortgeschritten launige Geburtstagskind, brachte dem Rest der fortgeschritten launigen Runde vor, was er bald zu tun gedenke. Sich nämlich sein bestes Stück tätowieren zu lassen - der Länge nach, what else? Und zwar mit dem 22-Zeichen-Wortmonstrum "Garmisch-Partenkirchen". Herr C weiter: "Und wenn sich's noch ausgeht, wovon ich ausgehe, dann kommt noch ein Freistaat Bayern dazu." Sodann schwenkte Cs Blick zum besten Freund, um Allerwichtigstes zu ergänzen: "Gell und bei dir wird's dann wohl eher nur ein Ulm?!" Nun ja. Mag sein, dass es sich dabei um einen alten Herrenwitz für runde Anlässen gehandelt hat, er ist mir bisher erfolgreich entgangen. Ich lächelte, nicht ohne dabei - müde - zu denken: Ob 50 oder 5 - ohne Zipfelspiele ist bei Burschen nix. Selbst im Scherz - ein Hauch monomanischer Größenwahn schwingt stets mit. Gerade beim Sex, da geht's ja schon fast nicht mehr ohne die volle Dosis Leistungsdenken. Der lebt geradezu zwänglerisch vom Stilmittel der Übertreibung und Superlativierung. Ich weiß ja nicht warum, aber es reicht den Menschen nicht, wenn zwei sich einfach nur paaren und es schön dabei haben. Es reicht nicht, zwei dafür wunderbar geeignete, durchschnittlich dimensionierte Brüste oder einen normal engagierten Penis in wechselnden Härtegraden zu haben - nein, die müssen entsprechend dimensioniert sein, mehr können, besser "performen" - sich im Imponiergehabe messen. Dauererigiert, X-Large, steinhart, multipel kommend, bist du deppert-mäßig. Wo Sex drauf steht, muss alles noch geil-ultimativer daherkommen, groß und mächtig, tief und ausdauernd, hulkartig und aufgeblasen. Irgendwie scheinen wir uns zunehmend einzureden, dass Sex - schlichter, normaler, feiner Sex von normalen Menschen - nicht mehr in unser von Höchstmaßen definiertes Denken passt. Also wird das Sexuelle geprägt von einer pornografisch gezeichneten Gigantomanie, die uns glauben lässt, wir und unser Treiben müsse überdrüber sein. Da rennen sie auch schon alle zum großen Tuning: G-Punkte werden auf Faschingskrapfengröße gespritzt, Penisse zu hyperreaktiven Gemächten hochstilisiert, die Unmengen an Ejakulat in unvergesslicher Schlagobersqualität produzieren. Selbst das wunderbare Naturereignis "Höhepunkt" bleibt davon nicht verschont - einmal ist da lang schon keinmal. Oft, öfter, gemma gemma! Dass da Körper und Seele kapitulieren und protestieren - kein Wunder. Druck ramponiert Lust, Begehren, Sinnlichkeit. Denn Sex ist vor allem eines: Nicht-Leisten-Müssen. Und Genuss, dem man sich hingeben sollte, ohne darüber auch nur eine Sekunde nachzudenken, welche Haltungsnote dabei rausschaut.

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