Ein Maiskorn in der Kehle: Der Tod ist läppischer, als man glaubt

Martín Caparrós’ „Die Ewigen“ : ein ungewöhnliches Buch über das Geschäft mit dem Sterben.
Was aus einem Menschen wird, der am Todestag des Präsidenten auf die Welt kommt.
Barbara Beer

Barbara Beer

Der Tod ist läppischer, als man glaubt.

von Barbara Mader

über Martín Caparrós’ „Die Ewigen“

Am 1. Juli vor 40 Jahren starb Juan Domingo Perón. Das traf sich gut, denn so hielt sich der Ansturm der Verwandten und Bekannten, die ansonsten unnötigerweise bei Geburten herumstehen, in Grenzen, als Peróns Namensvetter Juan Domingo Remondo wenige Stunden später im Krankenhaus der Gewerkschaft der Karosseriemechaniker zu Welt kam.

Dass Juan Domingo Remondo, genannt Nito, den selben Vornamen wie der argentinische Präsident trug, ist nicht nur kein Zufall, sondern gewissermaßen das Gegenteil einer Hommage:

Nitos Vater hasste Perón. Seinen Sohn nannte er Juan Domingo, doch justament nicht nach dem Präsidenten.

Es ist eine unerhörte, tabulose, stellenweise sehr komische Geschichte vom Aufwachsen im Argentinien der 70er und 80er, die der argentinische Schriftsteller Martín Caparrós in seinem Roman "Die Ewigen" erzählt. Allein schon die Schilderungen vom Sex-Leben der Eltern ...

Caparrós, der 1957 in Buenos Aires geboren wurde, 1976 ins Exil ging und heute wieder als Schriftsteller und Journalist in Buenos Aires lebt, berichtet von Nito, der schon in jungen Jahren viel über die Welt im Allgemeinen und über die Frauen im Besonderen lernt – aus den Telenovelas, die er nachmittags mit seiner wenig gescheiten Mutter sieht. Er muss mitschauen, weil sie Angst hat, etwas nicht zu verstehen.

Nito ist eine merkwürdige Mischung aus intelligent und naiv: Als in der Anfangseuphorie über den Krieg auf den Falklandinseln, in Argentinien Malwinen genannt, auch die Kinder Krieg spielen, mag niemand Engländer sein. Für Nito kein Problem: Er spielt gern Sterben, das kann er gut, das hat er aus den Telenovelas gelernt.

Sterbedatum

Später wird Sterben sein Geschäft: Als er dahinterkommt, dass sein angeblich verschollener Vater in Wahrheit überfahren wurde, sinnt Nito auf Rache. Auf seine ganz besondere Weise. Er schreibt dem Mann, der seinen Vater überfahren hatte, weil er Radiosender suchte anstatt auf die Straße zu schauen, einen anonymen Brief, in dem er ihm sein Sterbedatum ankündigt. "Lernen Sie, mit dem Tod zu leben."

Ein Maiskorn in der Kehle: Der Tod ist läppischer, als man glaubt

Nito entdeckt sein Talent, über das Sterben zu schreiben und nutzt es. Im Auftrag des Pfarrers lehrt er abtrünnige Gemeindemitglieder Gottesfurcht und erfindet Tode:"Der Tod wird Sie nicht nur ereilen, wie Sie es sich nie ausgemalt haben; er wird auch völlig läppisch sein." Der Mann, der erfährt, dass er an einem Maiskorn ersticken wird, lernt die Todesangst kennen und lässt sich wunderbar instrumentalisieren. Was sich auch ein größenwahnsinniger Performance-Künstler zunutze macht.

Caparrós dichter Roman ist ungewöhnlich, explizit, grauslich, lustig, unverschämt. Und voller Überraschungen.

KURIER-Wertung:

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