Lasst die Foren offen und gärtnert

Jürgen Klatzer

Jürgen Klatzer

Mit einem belehrenden Frontalunterricht werden Medien ihre verlorene Glaubwürdigkeit nicht zurückerobern.

von Jürgen Klatzer

über die Kommentarfunktion auf Websites

Leserkommentare sind in Redaktionen nicht besonders beliebt. Wer mag es den Journalisten verübeln? Sehr oft ist von "manipulierten Redakteuren", "Lügenpresse" und "Gleichschaltung" die Rede, von "absichtlichen Falschinformationen" und "schlechter Recherche". Aber nicht nur das. In Foren wird gegen flüchtende Menschen gehetzt, die Menschenwürde mit Füßen getreten und der Nazi-Begriff ist zum Synonym für "rechts" geworden. "Bellum omnium contra omnes" ("Krieg aller gegen alle"), würde Thomas Hobbes, der das Menschenbild im 17. Jahrhundert prägte, sagen.

Die Wurzeln des Übels haben Medienmacher schon treffsicher ermittelt: Trolle, Hetzer, die Meute. Wegen der unüberschaubaren Masse sieht man sich daher gezwungen, die Foren, aus denen es zu stinken scheint, abzudrehen. So einfach, so widerspruchslos, so frei von Selbstkritik. Dabei wird vergessen, dass sehr viele Medienhäuser nie verstanden haben, was die Kommentarfunktion eigentlich ist.

Eine Debatte zeichnet sich durch eine formale Vorgehensweise aus und wird in aller Regel von einem Moderator begleitet. Auch große Mediensites, die sich mit dem Tagesgeschehen beschäftigen, haben bestimmte Richtlinien, an die sich Leser halten müssen. In die Rolle des Moderators schlüpft jedoch eine Art "Tintenkiller", der Regelverstöße mit Löschung und im härtesten Fall mit einer Deaktivierung ahndet. So funktioniert es aber nicht.

Nur wenige Journalisten bringen sich aktiv in eine Diskussion mit Lesern ein. Der direkte Kontakt wird meist gemieden, weil es ein aufwendiger Service ist und man sich sowieso nur mit "Trollen" und Besserwissern herumschlagen muss. Ja klar, es gibt Kommentatoren, die zu Flüchtlingsexperten avanciert sind und glauben, sie verstünden vom Konflikt in Syrien weit mehr als jeder Auslandskorrespondent. Dass sich Medienmacher aber deswegen von der Debatte abwenden und das Forum schließen, kann nicht die Lösung sein - das ist pädagogisch nicht wertvoll und journalistisch schon gar nicht.

Moderner und aufklärerischer Journalismus muss vielmehr wie ein Gärtner sein, der seinen Garten dadurch zum Blühen bringt, indem er ihn pflegt, sich darum kümmert und von Unkraut, das alles Leben darin vernichtet, befreit. Das bedeutet nicht nur, entschieden gegen Verschwörungstheoretiker und Hetzer vorzugehen, die das Forum sehr wohl vergiften, sondern sich in die Debatte einzuschalten und auf Fragen einzugehen. Aber auch Leser haben eine Bringschuld: Es gibt Verhaltensregeln.

Ohne Frage, der Leserdialog kostet Zeit und Geld, und ist noch immer ein Experimentierfeld, das öfter beklagt als gefördert wird. Aber gerade in Zeiten, in denen das Vertrauen in Medien geringer ist denn je, ist mehr Dialog notwendig, nicht weniger. Denn mit einem belehrenden Frontalunterricht oder einer abgehobenen Einwegkommunikation kann die verlorene Glaubwürdigkeit nicht zurückerobert werden.

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