Was hinter dem "Anschlag" auf den Kakao steckt

Schulmilchprogramm: Was soll mit EU-Mitteln alles gefördert werden?
230 Millionen Euro aus dem EU-Budget fließen in Schulmilch- und Schulobst-Programme. Soll das der Gesundheit dienen - oder dem Absatz?
Philipp Hacker-Walton

Philipp Hacker-Walton

Was hat Vorrang: Gesundheit oder Absatz?

von Philipp Hacker-Walton

über das EU-Schulmilchprogramm

Man muss nicht gleich einen "sozialistischen Anschlag auf die Esskultur" vermuten, wie die ÖVP-Abgeordnete Elisabeth Köstinger dies tut, um die Geschichte spannend zu finden. Widersteht man dem Die-böse-EU-verbietet-den-armen-Kindern-den-Kakao-Reflex, dann geht es hier um eine grundsätzliche Frage, die es wert ist, ernsthaft disktutiert zu werden: Was soll mit EU-Mitteln - also Steuergeldern - eigentlich alles gefördert werden?

Die Vorgeschichte in Kürze: Aus dem EU-Budget werden jährlich 230 Millionen Euro für Schulmilch- und Schulobstprogramme in den Mitgliedsstaaten bereitgestellt. Bislang sind das zwei getrennte Programme, jetzt sollen sie (u.a. um die Bürokratie zu vereinfachen) zusammengelegt werden - und in der Behandlung von Kommission und Parlament wurde die Frage aufgeworfen, welche Produkte künftig noch gefördert werden sollen.

Der Agrarausschuss im EU-Parlament hat diese Woche dafür gestimmt, dass die Liste "gesünder" werden soll, sprich: Gewisse Produkte mit höherem Zuckeranteil sollen nicht mehr gefördert werden - u.a. eben Kakao, Vanillemilch, Erdbeermilch, etc. Das ist für Köstinger der "Anschlag auf die Esskultur" - und "sozialistisch" wird er offenbar dadurch, dass der Berichterstatter im Ausschuss der sozialdemokratischen Fraktion angehört und diese für eine Reform der Liste gestimmt hat.

Das Argument, das u.a. die Sozialdemokraten ins Treffen führen, klingt einleuchtend: Immer mehr Kinder sind immer dicker und ernähren sich immer ungesünder - da sollte man doch gerade mit Schulmilch- und Schulobstprogrammen möglichst früh versuchen, gesündere, weniger gezuckerte Lebensmittel schmackhaft zu machen. Ergo sollen Kakao & Co. von der Liste - sie würden ja auch nicht verboten, sondern einfach nicht mehr gefördert. Wahrscheinlich würden noch immer viele Kinder zum Kakao statt zur normalen Milch greifen - nur würde das eben nicht mehr mit EU-Geldern gefördert.

So weit, so logisch.

Diese Logik setzt allerdings voraus, dass es die oberste Priorität der Programme ist, gesunde Ernährung in Kindergärten und Schulen zu fördern.

Und genau das sehen eben nicht alle so. Im Gegenteil: In Ratskreisen ist dieser Tage zu hören, das Schulmilchprogramm sei doch ursprünglich als Maßnahme zur Absatzförderung, quasi als Hilfe für die Milchindustrie gedacht gewesen - und dabei solle es bitte auch bleiben. So kann man auch Köstingers Argumentation lesen: Auch sie verweist darauf, dass mit den Geldern im Schuljahr 2013/'14 79 österreichische Betriebe gefördert wurden.

Nach dieser Logik ist es dann tatsächlich ein "Anschlag" - wenn schon nicht auf die Esskultur, dann wenigstens auf die Absatzförderung: Laut Statistik der Agrarmarkt Austria ist der Kakao mit einem Anteil von 61 % mit Abstand das beliebteste Produkt im Schulmilchprogramm. Kakao und Fruchtmilch haben laut Köstinger zusammen gar einen Anteil von 85 %.

Angesichts solcher Zahlen geht es bei der Überarbeitung der Produktliste dann tatsächlich um die eingangs erwähnte Grundsatzfrage: Will man mit EU-Mitteln lieber den Zugang zu gesunder Ernährung fördern - oder schlicht den Absatz bestimmter Produkte?

Und noch eine eher grundsätzliche Frage stellt sich: Wo fängt "gesunde" Ernährung an bzw. was nimmt man als Maßstab?

Die Befürworter einer neuen Förder-Liste vergleichen normale Milch mit Kakao - und kommen zum Schluss, dass lieber die Milch gefördert werden sollte. Die Gegner wiederum vergleichen Kakao mit Cola - wobei der Kakao als "gesund" abschneidet. Oder, wie Köstinger sagt: "Gerade die Schulmilch ist ein Beitrag für gesundes, bewusstes Essen und vielleicht eine letzte Barriere vor Cola und Schokoriegeln."

Womöglich könnte sich die Aufregung um die geplante Reform der Produktliste auch als Sturm im, nun ja, Milchglas entpuppen: Wie aus Ratskreisen zu hören ist, will man versuchen, dass sich Frage möglichst gar nicht stellt. Mit einem formalen Einwand: Demnach wäre das Schulmilchprogramm laut Lissabon-Vertrag keine Angelegenheit, in der das Parlament mitentscheiden darf - sondern eine Sache allein für den Rat.

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