Flüchtlingsquote: Ist eine Mehrheit möglich?

Flüchtlinge Sizilien
Die Kommission schlägt einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge vor. Wie stehen die Chancen auf Umsetzung?
Philipp Hacker-Walton

Philipp Hacker-Walton

Wie ernst ist es ihnen mit der Solidarität?

von Philipp Hacker-Walton

über die EU-Flüchtlingspolitik

Seit Jahren wird in Brüssel über eine EU-Flüchtlingsquote diskutiert, um jene Staaten, die besonders betroffen sind - derzeit etwa Italien, Griechenland und Malta -, zu entlasten. Besonders weit ist die Debatte nie gediehen. Nach dem jüngsten Migrations-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs hat es aber etwas Bewegung gegeben, erstmals liegt jetzt ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch.

Die Quote, die die EU-Kommission nun präsentiert hat, berechnet sich aus vier Kriterien: Je 40 Prozent zählen die Einwohnerzahl bzw. die Wirtschaftskraft eines Landes; mit 10 Prozent werden die Arbeitslosenquote und die Asylanträge der letzten fünf Jahre einberechnet.

Die Kommission schlägt vor, diese Quote zunächst vorübergehend einzusetzen (bis Jahresende will sie ein Modell für einen permanenten Verteilungsschlüssel vorlegen - wobei auch dieser möglicherweise nur in Ausnahmesituationen, etwa einem Flüchtlingsansturm wie derzeit, ausgelöst durch mehrere Krisen und Kriege, eingesetzt werden soll.) Wie viele Flüchtlinge im Rahmen des Pilotprojekts neu verteilt werden sollen, sprich: wie viele jedes Land aufnehmen müsste, ist noch offen.

Es geht also nach wie vor in kleinen, behutsamen Schritten vorwärts - und von einer tatsächlich vergemeinschafteten Flüchtlingspolitik, einem permanenten Verteilungsschlüssel für alle Schutzsuchenden, die nach Europa kommen, ist man noch sehr weit entfernt.

Und wie realistisch ist es, dass das Pilotprojekt zustande kommt?

Viel gehört hat man von der Kritik der Briten, die - wie erwartet - nichts von der Quote halten, sondern die Flüchtlinge auf ihren Booten lieber dorthin zurückschicken möchten, woher sie gekommen sind.

Die Briten sind in diesem Fall aber auch nicht entscheidend: Sie haben - wie Irland und Dänemark - per EU-Vertrag das Recht, sich an gemeinsamen Projekten, die die Justiz oder die Innere Sicherheit betreffen, nicht teilzunehmen.

Blendet man die Briten aus, gibt es noch immer genug Widerstand: Von der polnischen Regierung heißt es, es werde "keinerlei Zustimmung" zur Quote geben; auch Tschechien und die Slowakei lehnen sie grundsätzlich ab; ebenso die baltischen Staaten - und Ungarn.

Allerdings: Um die Quote zu Fall zu bringen, reicht das noch lange nicht.

Nötig ist eine Qualifizierte Mehrheit, das heißt konkret: 55 Prozent der teilnehmenden Mitgliedsstaaten müssen dafür stimmen - und sie müssen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung (der teilnehmenden Staaten) vertreten.

Geht man jetzt davon aus, dass Großbritannien, Irland und Dänemark ihr Opt-Out nutzen und nicht mitmachen; und dass alle, die sich bis jetzt dagegen ausgesprochen haben (Polen, Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn) auch dagegen stimmen werden - dann ist man von einem "Nein" noch immer weit entfernt.

In dieser Rechnung würden 18 von 25 Staaten dafür stimmen, die 84 Prozent der Bürger vertreten. Sprich: Noch fünf weitere Staaten müssten die Quote ablehnen, um sie zu Fall zu bringen.

Sieht man sich an, welche der Staaten, die sich bislang noch nicht zur Quote festgelegt haben, in der Vergangenheit besonders wenige Flüchtlinge aufgenommen haben, sprich: mit der Quote deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen müssten - dann sind das gar nicht so viele. Portugal müsste mit der Quote seine Anstrengungen erhöhen, ebenso Spanien und Rumänien. Aber selbst mit einem "Nein" dieser drei Staaten hätte die Quote noch eine (knappe) Qualifizierte Mehrheit im Rat.

Eng dürfte es bei der Abstimmung also auf jeden Fall werden - gut möglich, dass die Kommission das Quoten-Pilotprojekt noch auf eine überschaubare Zahl an Flüchtlingen beschränkt, um die Mehrheit zu sichern. Das Ringen um einen permanenten Verteilungsschlüssel wird dann erst so richtig los gehen - und mit Sicherheit zäh werden.

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