IS zerstört Kulturgüter des alten Orient

In der arabischen Welt tobt ein Kulturkampf. IS-Vandalen ruinieren das Erbe der Menschheit.

Das ist ein kultureller Super-GAU. Diese Wahnsinnigen zerstören unser gemeinsames Erbe." Das sagt der Mainzer Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe und bezieht sich auf ein Internet-Video, in dem die Sunnitenmiliz altorientalische Kunstwerke im Museum der Stadt Mossul und an der Grabungsstätte Ninive im Nordirak mit Presslufthämmern zertrümmert.

"Die Torwächterfigur aus dem 8. Jahrhundert vor Christus ist ein überaus wichtiges Stück." Die Archäologin Irene Forstner-Müller ist ebenfalls schockiert. Die Ikone der altorientalischen Bildkunst gehörte zur Befestigung der Stadt Ninive, dem Zentrum des assyrischen Reiches, zeigt ein göttliches Flügelwesen – Lamassu genannt – und war das einzige erhaltene Tor aus dieser Zeit. Vorbei.

Steinzeit-Islamisten sind gerade dabei, die Geschichte der Menschheit zu zerstören. Im irakischen Machtbereich des "Islamischen Kalifates" gibt es allein in der Region Mossul etwa 1800 archäologische Fundstätten, darunter vier Hauptstädte der assyrischen Epoche, sowie 250 Kulturbauten des Altertums. 100 Kilometer südlich liegen die gut erhaltenen Reste der antiken Stadt Hatra aus der Parther-Zeit, die ebenso zum UNESCO-Menschheitserbe gehören wie die Tempelanlagen von Assur.

Wiege der Menschheit

Um die Tragweite der Verluste einschätzen zu können, muss man wissen, dass die Hochkultur des Alten Orients im 4. Jahrtausend vor Christus mit den ältesten Texten der Menschheit, geschrieben in Keilschrift, in Mesopotamien im heutigen Irak begonnen hat. Während die Menschen in Europa zu dieser Zeit im Dunkel der Geschichte verschwinden, sind in den altorientalischen Kulturen der Sumerer, Babylonier und Assyrer die ersten Staaten entstanden. Die Schrift, das Rad, die Bronze-Herstellung, die Großarchitektur, aber auch die ältesten Gesetze – darunter der Codex Hammurabi – sind dem Alten Orient zu verdanken.

Das jetzt veröffentlichte Zerstörungsvideo sei aber "nur die Spitze des Eisbergs", sagt der deutsche Kriminalarchäologe Müller-Karpe. Viel schlimmer seien die Plünderungen der archäologischen Stätten. Denn die von dort verschleppten und verhökerten Fundstück seien nicht dokumentiert und daher praktisch unauffindbar. "Und die im Fundkontext im Boden erhaltenen Informationen sind unwiederbringlich verloren."

Schmuggler bringen historische Zeugnisse wie Keilschrifttexte, Siegel, Metallgegenstände oder Keramiken, die aus alten Palästen, Tempeln oder Privathäusern stammen, außer Landes und verkaufen sie auf dem Schwarzmarkt. Syrien und Irak, zwei große Kulturnationen, erleben derzeit also nicht nur eine menschliche, sondern auch eine kulturelle Katastrophe.

Milliarden Dollar

Für den IS dagegen geht es ums Geschäft: Nach Einschätzung der UNESCO steht der Handel mit illegalen Antiken inzwischen an dritter Stelle der internationalen Kriminalität – direkt hinter Waffen und Drogen. Vor gut zehn Jahren schätzte man das Volumen, das mit geplünderten Antiken umgesetzt wird, auf sechs bis acht Milliarden Dollar. Inzwischen spricht man von mehrstelligen Milliarden-Beträgen. Tendenz steigend.

Wenn das Geschäft so einträglich ist, warum jetzt diese Zerstörungswut? Für Müller-Karpe ganz logisch: Natürlich finanziere der IS seine Waffen zu einem erheblichen Teil aus Antiken, sagt er im Interview mit dem KURIER: "Alles, was unverkäuflich ist – weil zu berühmt oder zu groß –, zertrümmert man medienwirksam, um der eigenen Klientel zu imponieren und um den Westen vorzuführen und zu verletzen."

Es sieht ganz danach aus, als wollen diese Fanatiker das Ende der Zivilisation. Der barbarische Kulturkampf mit Dynamit und Presslufthammer trifft daher nicht nur Christen und Juden, sondern auch moderate sunnitische und schiitische Muslime.

Einzig wahrer Islam

Ideologisch zählen die IS-Gotteskrieger zur salafistisch-wahabitischen Strömung des Islam, die ihre Wurzeln auf der Arabischen Halbinsel hat. Jede Darstellung eines Menschen sei Gotteslästerung, der ekstatische Tanz der Sufi-Anhänger Häresie sowie die Verehrung von Gräbern populärer Frommer unislamisch, weil Vielgötterei. Einzig Allah dürfe angebetet werden, dekretieren sie und träumen von einer Rückkehr zum "einzig wahren Islam" der Zeiten Mohammeds und seiner Gefährten. So weit die Rechtfertigung ihres Religionspuritanismus.

"Daneben stehen und zuschauen – das kann es nicht sein", sagt der Kriminalarchäologe. "Man macht sich mitschuldig." In der Regel seien Antike, die auf dem freien Markt angeboten werden, auch illegal. "Wer sie kauft, sponsert die Kultur-Zerstörung und das Köpfe-Abschlagen von Geiseln", sagt Müller-Karpe und prangert die laxe Strafverfolgung in Deutschland und Österreich an.

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