Paaradox: Das Adieu

Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl
Eine Wohnung, zwei Arbeitsplätze – diese Herausforderung ist vorüber. Dabei haben wir uns gerade erst an das neue Miteinander gewöhnt.

Sie Phase 1 unserer Corona-Prüfung ist vorerst vorbei: Der Mann nebenan verlässt nun wieder täglich das Haus und tut als würde er mehr arbeiten als ich. Das hat mitunter etwas Theatralisches. Bereits beim Frühstück nippt er fahrig an seinem Kaffee, kräuselt die Stirn in  Dichter-Denker-Checker-Manier und spult verlässlich die Pfuh, so irre viel los-Nummer runter: Du, kann sein, dass es heute wieder später wird, bin in Sitzungen. Das mit dem Einkaufen werde ich heute wohl nicht schaffen. Jaja, diese Projäääkte, herjä aber auch – während ich erst gelangweilt im Kaviar stochere, dann im Beet mit den englischen Rosen in Yogaposen erstarre, um anschließend zu überlegen, welches Loch ich in welche Luft starren könnte. Also werde ich es wohl sein, die nach einem ausgiebigen Power-Nap, nachmittags  auf der Gabriele’schen Chaise longue, in die Kutsche steigt, um Nahrung herbeizuschaffen. Und Kaviarnachschub gegen die Fadesse.


Schreiend schreiten

Sonst noch was? Ein Geständnis vielleicht: Irgendwie geht er mir auch ab. Was ich am meisten vermisse, ist seine Art und Weise, zu telefonieren. In den Ohren das Headset, in der Hosentasche das Telefon, schritt er schreiend die Wohnung ab. Warum er nicht sitzend und allenfalls einen Hauch leiser telefonieren könne, erlaubte ich mir am vierten Tag unserer Bürogemeinschaft zu fragen. Bis heute habe ich keine klare Antwort darauf bekommen, stattdessen ein Bouquet verächtlicher Blicke, Sub-Ton: Was-weißt-du-schon-wie-man-richtig-Telefonkonferenzen-führt? Außerdem fehlt mir sein  Rascheln, das alle zwei Stunden signalisierte: Zeit für eine kleine Zwischenmahlzeit!  Jetzt raschelt nix, außer  ich selbst, wenn ich mir Reiswaffeln aus der Naschlade angle. Also rufe ich ihn an, weil ich seine Stimme hören möchte. Im Büro ist er nicht – stattdessen tagt er beim Würstelstand: dringende „Besprechung“. Herjä.  

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Er Die Szene hatte durchaus etwas Theatralisches. Ich zog mir nach sieben Wochen des gelebten Leiberltums ein Hemd an, packte Laptop und Unterlagen in eine Tasche (existiert übrigens das Phänomen des Aktenkoffers noch?) und nahm vor meiner Frau Adieu-Position ein. Die blickte von ihrem Porridge-Schüsserl auf, fuhr sich durchs dramatisch dichte Haar und sagte mit aller Leidenschaft: „Hm.“ Ein großes Wort, das in meiner Wahrnehmung wohl bedeuten sollte: Geh’ nicht, Schatz! Bleib’ hier! Bei mir! In meiner Nähe! Die Zeit war so so besonders, so schön! Ja, vermutlich war dieses „Hm“ genau jene Liebeserklärung, die sich nach 22 gemeinsamen Jahren zu einem zärtlichen Minimalismus verdichtet, der keinen weiteren Buchstaben vertragen würde. Ein „Hm“, das im Augenblick der nahenden Trennung eine ergreifende Entrücktheit als Folge romantischer Überwältigung zum Ausdruck bringt.

Irgendwie komisch

Weil diese vielen Gedanken durch den Kopf der Liebsten wirbeln. Wie: Hach, ich werde seine männlich-entschlossene Videokonferenz-Stimme vermissen. Die hingebungsvoll auf dem Esstisch verteilten Kabeln, Magazine und Notizblöcke. Die beglückend souveräne Nonchalance, mit der er, mein Superheld, Abgabetermine, Computerprobleme und Nahrungsmangel kommuniziert. Daher antwortete ich in geschliffener Schlagfertigkeit: „Was hm?“ Und sie: „Nix. Hm halt.“ Und ich: „Aha.“ Und sie: „Was aha?“ Und ich: „Hm.“ Und sie: „Irgendwie komisch alles.“ Womit sie ausnahmsweise recht hatte. Veränderung stand im Raum. Ich habe mich daran gewöhnt, gnä Kuhn während des Schreibens, Recherchierens, Denkens um mich zu haben. Als Schreiberin, Recherchiererin, Denkerin. Aber auch als Töpfeklapperin, Hundehaarsaugerin, Waffelknusperin und Klagelieddichterin (so ungünstig konnte ein Zeitpunkt nie sein). Jetzt ist Homeoffice Geschichte. Aber ihr „Hm“ nehme ich mit. Als unverzichtbares Lächeln.  

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