Hightech als Hoffnung

Hightech als Hoffnung
Mit Hilfe eines Chips im Gehirn steuert ein Gelähmter seinen Arm. Durch seine Gedanken. MICHAEL HOROWITZ über eine Megawelle und Muskeln, die wieder gehorchen.

Sommer 2010. Ein fröhlicher Familienurlaub. Doch eines Morgens spült eine Megawelle den 19-Jährigen Ian Burkhart beim Tauchen mit voller Wucht gegen eine Sandbank. Der junge Amerikaner bricht sich die Halswirbelsäule auf Höhe des fünften Wirbels, er ist nach dem Unfall querschnittgelähmt, das Rückenmark durchtrennt – die Nervenimpulse des Gehirns laufen plötzlich ins Nichts.

Ian Burkhart hatte Glück, dass er den Unfall überlebt hat. Bald prophezeiten ihm Ärzte, er werde sein Leben lang gelähmt bleiben. Doch der Mediziner Ali Rezai, Vorstand der Ohio State University, wählte Ian als Versuchsperson aus, um mit seiner Hilfe ein Experiment zu starten, das Querschnittgelähmten einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft geben könnte: Ein Chip im Gehirn – ein Silikonplättchen, klein wie eine Erbse – steuert den Arm durch Gedanken. Ein mehr als 40-köpfiges Neurowissenschaftler- und Techniker-Team rund um Rezai testet eine Art Umleitung, einen Bypass um das zerstörte Rückenmark Ian Burkharts. Das Gehirn gibt den Befehl und seine Muskeln gehorchen. Der Chip im Kopf verarbeitet Signale aus dem Gehirn, wandelt sie in einen Algorithmus um, den der Computer versteht, und steuert eine mit 130 Elektroden versehene Arm-Manschette. Die Elektroden senden Impulse, welche die Muskeln stimulieren. Mühsam ziehen sie sich zusammen und entspannen sich wieder – es war das erste Mal seit dreieinhalb Jahren, dass die Muskeln taten, was Ian wollte. Eine unglaubliche Erfahrung für den Gelähmten, der nicht mehr damit rechnete, jemals seine Hände wieder bewegen zu können.

Vor genau zwei Jahren gelang es Ian Burkhart zum ersten Mal, mithilfe seiner Gedanken seine Hand zu öffnen und zu schließen. Jetzt ist er bereits in der Lage, komplexe Bewegungen durchzuführen. Er kann eine Flasche angreifen, sich einschenken und die Flüssigkeit umrühren. Er kann auf seiner Spielzeuggitarre klimpern. Und er kann Videospiele bedienen.

Hightech als Hoffnung. Prof. Gernot Müller-Putz von der Technischen Universität Graz, der für seine Brain-Computer-Interfacing-Forschung – also die Möglichkeit, Computer direkt über Gehirnströme zu steuern – mehrfach ausgezeichnet wurde, hat die Ergebnisse der US-Kollegen registriert. Glaubt aber, dass diese Technologie noch viel mehr Potenzial bietet. Studien mit Roboterarmen zeigen, dass Implantate im Gehirn wesentlich vielfältigere Bewegungen ermöglichen. Der Neurowissenschaftler arbeitet seit Jahren daran, Gedanken Gelähmter in Bewegungen umzusetzen. Bereits 2004 konnte er einem Patienten dazu verhelfen, mit dem eigenen Arm ein Weinglas zu heben, zum Mund zu führen und zu trinken. Ein Teil dessen, was Ian jetzt gelernt hat.

Doch die Forschung an Mensch-Computer-Schnittstellen steht noch ganz am Anfang. Eines Tages wird Hightech Querschnittgelähmten wirklich helfen. Doch bis dahin müssen Forscher noch einige Hürden nehmen. Bis zum drahtlosen System, das nicht nur in der Klinik, sondern auch einfach im Alltag zu bedienen ist. 2025 könnte es so weit sein, meint Prof. Müller-Putz. Und die Vision vom Gedankenlesen für ein lebenswerteres Leben für Gelähmte Realität werden.

Hightech als Hoffnung
Nick Annetta, right, of Battelle, watches as Ian Burkhart, 24, plays a guitar video game using his paralyzed hand. A computer chip in Burkhart`s brain reads his thoughts, decodes them, then sends signals to a sleeve on his arm, that allows him to move his hand.

Ein Chip im Gehirn macht es möglich: Der querschnittgelähmte Ian Burkhart kann wieder Gitarre spielen. Seine Hand steuert er mit Gedanken

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TU Graz, Prof. Müller-Putz & Prof. Mangard

Gernot Müller-Putz von der Technischen Universität Graz ist sicher: Das ist erst der Anfang, da geht noch viel mehr

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Metroverlag

Soeben erschienen:
Michael Horowitz
DIE WELT VON MORGEN
60 Visionen für ein besseres Leben
METROVERLAG 19,90 €


michael.horowitz@kurier.at

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