Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien

Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien
Der Mensch hinter der Methode war Judo-Kämpfer, Charmeur und Kettenraucher.

Das Foto des siebzigjährigen israelischen Premierministers, der am Strand des Badeorts Herzliya Kopfstand machte, ging 1957 um die Welt. Der notorisch unsportliche Ben-Gurion, der zeitweise unter derart starken Rückenschmerzen gelitten hatte, dass er in der Knesset, dem israelischen Parlament, nicht ohne Hilfe aufstehen konnte, wurde von Moshé Feldenkrais nicht nur geheilt. Weit mehr als das.

Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien
Ben-Gurion, der Staatsgründer Israels, wurde zum eifrigsten Schüler des Moshé Feldenkrais und dessen Methode, mittels derer der zuvor vom Hexenschuss gebeutelte Staatsgründer "nicht nur Freude am Zionismus, sondern am eigenen Körper" fand. Er lernte Kopfstand sowie die Einsicht, dass "bewegliche Körper mit beweglichen Gehirnen einher gehen". Feldenkrais-Fan Ben-Gurion übte täglich und ließ selbst den US-Präsidenten Eisenhower warten, wenn es Zeit für seine Übungsstunde war.

Körper & Geist

Wer war dieser Moshé Feldenkrais, dessen Nachname wir stets mit der Methode in Verbindung bringen und dabei meist nur vage wissen, dass sie irgendetwas mit der Einheit zwischen Körper und Geist, mit der "Muskulatur der Seele" zu tun hat? Dessen Anhänger Staatspräsidenten, aber auch Musiker wie Yehudi Menuhin, Dichter wie Paul Celan oder die Ethnologin Margaret Mead waren?

Der Journalist und Judaistik-Experte Christian Buckard hat sich nun dem "Menschen hinter der Methode" gewidmet. Pointengespickt und reich an politischen Hintergründen, vermag diese Biografie auch jene zu begeistern, die sich nicht vorrangig mit Selbsterkenntnis-Forschung beschäftigen.

Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien
Buckards Buch bietet ein Panorama israelischer und europäischer Geschichte aus der Perspektive eines Mannes, der sich nicht einordnen ließ, dessen Prinzip es war, Prinzipien über zu Bord werfen. Moshé Feldenkrais, der Selbsterkenntnis für den Schlüssel zur Heilung hielt, hatte wenig mit Geboten und Verboten am Hut. Er rauchte wie ein Schlot – zwei Packungen pro Tag, auch, während er Stunden gab –, futterte gerne und übermäßig, überschritt schon als junger Mensch gerne die Grenzen der jüdischen Speisevorschriften (in Bratislava kostete er Speck – welche Köstlichkeit!) und war stets ein Mann der Frauen. Wendig trotz seiner Korpulenz, konnte Feldenkrais noch als älterer Herr schwere Ziegelsteine mit der Handkante zerschlagen. Darüber hinaus, beschreibt sein Biograf augenzwinkernd, neigte er zur Angeberei und brüstete sich gerne mit jüngeren Frauen. Dass man ihn, nachdem er jahrzehntelang um Anerkennung gerungen hatte, ab den Siebzigern geradezu als Guru verehrte, war ihm allerdings nicht recht: Denn selbstständiges Denken ist Grundvoraussetzung für erfolgreiche Behandlung!

Lebenslanges Lernen, Begeisterung am Entdecken und Neugierde zeichneten Feldenkrais aus: Mit über 60 lernte er schwimmen und Klavier spielen. Eine Philosophie, die er von seiner Mutter übernommen hatte. Sheindel Feldenkrais hatte mit 80 noch mit Ölmalerei begonnen. Sie fand, jeder Mensch könne auch im hohen Alter alles erlernen.

Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien
Geboren 1904 in der Ukraine, sprach Feldenkrais nicht gerne über sein Aufwachsen. Erst als alter Mann, als außer ihm nur noch seine Schwester Malka und sein Bruder Baruch am Leben waren, schrieb er seine Biografie und bekannte sich zu den Abenteuern, aber auch den schmerzhaften Erlebnissen seiner Jugend, die von Verfolgung und Judenhass geprägt war. Mit 14 Jahren wanderte er nach Palästina aus, schuftete in Tel Aviv als Bauarbeiter und geriet in Straßenkämpfe mit feindlichen Arabern: Jiu Jitsu und die Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung wurden lebensrettend für ihn. Seine Reise führte ihn später nach Paris, wo er Elektrotechnik studierte und den japanischen Kampfkünstler und Judo-Erfinder Kanō Jigorō kennenlernte. Dank dieser Freundschaft und einer vermeintlich unheilbaren Knieverletzung entdeckte der promovierte Ingenieur, was Forscher erst seit wenigen Jahren belegen können: dass Körper und Geist eine Einheit bilden, dass es eine "Muskulatur der Seele" gibt und das Gehirn durch bestimmte Bewegungsabläufe beeinflusst werden kann.

Leben & Tod

Moshé Feldenkrais: Aus Prinzip gegen Prinzipien
COVER
Im Juli 1984 starb Feldenkrais infolge mehrerer Schlaganfälle. Wenige Monate zuvor hatte er noch Kurse gegeben. Makaber, aber bemerkenswert die Schilderungen von Feldenkrais’ Beerdigung in Tel Aviv: Gemäß der Tradition wurde der Leichnam ohne Sarg, nur in ein Leinentuch gehüllt, beigesetzt. Da die Totenstarre schon eingesetzt hatte, standen einzelne Gliedmaßen geradezu widerständig vom Körper ab. Moshé hätte das gefallen, meinten seine Freunde, er hätte Spaß gehabt an dieser ausgezeichneten Beerdigung. "Und so", resümiert sein Biograf, "gelang dem Rebellen Moshé Feldenkrais auch im Tod, wonach er im Leben gestrebt hatte: Den Menschen das Schwere etwas leichter zu machen."

Begriffe wie „ganzheitlich“ sind heute selbstverständlich. Der aus der Ukraine stammende Ingenieur, Forscher und Selbstverteidigungsspezialist Moshé Feldenkrais (er war der erste europäische Träger des Schwarzen Gürtels in Judo) entdeckte das bewusstheitsschärfende Potenzial der leichten Bewegung lange, bevor die Hirnforschung das Zusammenspiel von Körper und Geist erkannte.

Seine Methode hilft heute weltweit kranken und gesunden Menschen, ihre Möglichkeiten zu erforschen. Dieses körperorientierte, pädagogische Verfahren fußt auf dem Gedanken, dass sich mittels Selbstwahrnehmung grundlegende menschliche Funktionen verbessern und Schmerzen reduzieren lassen. „Sich selbst zu erkennen, scheint mir das Wichtigste, was ein Mensch für sich tun kann“, war Feldenkrais’ Motto. Im Zentrum der Methode steht die Annahme, dass sich Lernen auch über die Kindheit hinaus fortsetzen lässt. Feldenkrais verbrachte einen Gutteil seines Lebens damit, andere Menschen zu lehren, wie man leichter, seinen eigenen Möglichkeiten gemäß, lebt. Er war überzeugt davon, dass er kein Nervensystem, keine Augen, keine Arme und keine Psyche heilte, sondern immer den ganzen Menschen. In seiner Behandlung ging es nicht um Symptome oder Diagnose, sondern um Begegnungen. Natürlich kann man mit Feldenkrais keine Karies oder keinen Grauen Star behandeln. Doch Büroangestellte lernen schmerzfrei zu sitzen, Musiker lernen zweckmäßige Bewegung, Schauspieler etwa angemessene Koordination von Atmung und Bewegung. „Die Feldenkrais-Methode ist wunderbar, wenn auch ein bisschen langweilig“, erklärte Schriftsteller Yoram Kaniuk seine Erfahrung mit der Behandlung, die seine Rückenschmerzen geheilt hatte: „Eigentlich liegt man dabei nur. Aber du ziehst daraus sehr viel Energie, du weißt vorher ja gar nicht, dass du all diese Muskeln überhaupt besitzt!“

Weltweit wird die Methode in Gruppenstunden, aber auch im Einzelunterricht praktiziert. In Wien etwa im Feldenkrais-Institut Taborstraße. www.feldenkraisinstitut.at

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