Was der Mensch in der Silvesternacht verträgt

Frisch und munter: Der Kaffeesieder kann auch am Ende des Nachtdiensts lachen
Pros(i)t! Zwei Experten, die wissen, wann es genug ist, geben Erfahrungen und Tipps zum Besten.
Von Uwe Mauch

Das Café Falk im transdanubischen Wien, kurz bevor die Wagramer Straße den Kagraner Platz küsst: Eines der letzten Kaffeehäuser Wiens, die von 0 bis 24 Uhr geöffnet haben, an 363 von 365 Tagen im schalttagfreien Jahr. "Nur am Heiligen Abend und in der Silvesternacht haben wir zu", erklärt der Kaffeesieder Wolfgang Falk. Seine Erklärung für die Schließzeit zum Jahresschluss leuchtet ein: "Weil ich mir und meinen Kellnerinnen die ganzen Fetten ersparen möchte."

Was der Mensch in der Silvesternacht verträgt
Fette sind im Dialekt der Vorstadt Betrunkene. Falk, der nach dem Tod seines Vater vor bald vierzig Jahren die Geschicke des Familienbetriebs (seit 1928) übernommen hat und sieben Nächte pro Woche Nachtdienst macht, beschreibt die Fetten so: "Ab 1,5 Promille hauen sie dir die ganzen Glasln um. Das wollen wir hier nicht." Wobei er auch "Leistungstrinker" wie jenen Donaustädter Bezirkspolitiker kennengelernt hat: "Der trinkt vier, fünf Bier, stellt sich dann vor die Leute und redet, ohne zu lallen."

Er selbst verzichtet im Dienst auf Alkohol: "Ich trinke im Kaffeehaus keinen Schluck." Ein Mitgrund, warum er mit seinen 58 Jahren auch noch um 6 Uhr in der Früh frisch und munter wirkt.

Heute, zum Jahreswechsel, wird sich auch der Kaffeesieder ein Schluckerl gönnen. Und niemand Geringerer als der österreichische Papst der Suchterkrankungsmedizin, Michael Musalek, will ihm davon nicht abraten: "Das Kriterium ist ja nicht, wie viel Alkohol einer in der Silvesternacht trinkt. Viel entscheidender ist das Vorher und das Nachher."

Populäre Irrtümer

Der Professor redet sich seit Jahren den Mund trocken, um all die Mythen rund um das Trinken zu entkräften. Auch im Café Falk, das bis in die 1970er-Jahre als berüchtigt galt (ab und zu spuckte hier ein allzu Unvorsichtiger einen Zahn aus), hört man dann und wann, dass man den Rausch gut mit Wasser und üppigem Essen vermeiden kann.

Musalek schüttelt dazu den Kopf: "Das Wasser hilft wie beim Kaffeetrinken gut gegen den Wasserentzug im Körper. Wer meint, mit Wasser und Essen die Wirkung des Alkohols zu verhindern, der irrt. Damit wird die Wirkung nur verzögert." Den Moment, wenn es genug ist, kennen beide, der Chef im Falk und der Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg (vom Volksmund immer noch "die größte Trinkerheilanstalt Europas" genannt).

Wenn das System kippt

Wolfgang Falk betont, dass er sich seine Stammkundschaft über die Jahre erzogen hat. So erfährt man heute in Kagran nur mehr die enthemmende, euphorisierende, schmerzlindernde Wirkung alkoholischer Getränke. Jene, bei denen das System regelmäßig kippt, bleiben längst aus – die muss der Suchtexperte früher oder später in Kalksburg zur Therapie begrüßen.

Was der Mensch in der Silvesternacht verträgt
Anton Proksch Institut, Musalek
Zu Silvester will Michael Musalek noch gesagt haben: "Es kommt nicht nur darauf an, wie viel man trinkt, sondern auch, was man trinkt." Getränke mit erhöhtem Methylalkohol und billigem Fusel erzeugen die leichteste Form der Hirnschädigung, vulgo den Kater: "Die Menschen sind dann besonders licht- und lärmempfindlich, emotional instabil, gereizt und leiden unter Konzentrationsschwierigkeiten."

Musalek will aber auch keine Spaßbremse sein, was im Land von 350.000 Alkoholkranken wohl auch einem Zugeständnis an traditionelle Gewohnheiten entspricht: Zwei, drei Flöten von einem Qualitätschampagner hält er zumindest bei gesunden Menschen für verträglich.

Und Wolfgang Falk? Der sperrt am Neujahrstag um 15 Uhr auf. Traditionell lädt er dann seine Gäste ein. Zu einer Runde Krapfen.

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