Depression: Dem Suizid knapp entkommen

Nach zwei Depressionen möchte Gregor S. anonym bleiben. Dass er seine Depression „delegierte“, rettete ihm das Leben.
Ein Banker durchlitt zwei Depressionen. Dem Suizid entkam er nur mit fremder Hilfe. Mit seinem Buch will er Betroffenen helfen.

Im Jahr 2011 erkrankte der Banker an einer schweren Depression – es war das zweite Mal in seinem Leben. Jetzt erzählt der 42-Jährige unter dem Pseudonym Gregor S. in "D-Day – 24 Stunden der Entscheidung" von seinem Leiden, dem Tag, an dem er Selbstmord begehen wollte – und seinem Sieg über die Depression.

KURIER: Können Sie heute die Situation beschreiben, in der man überlegt, das Leben zu beenden?

Gregor S.: Ich sehe es schon sehr abgebrüht – als Teil von mir selbst. Ich leugne es nicht und kann damit umgehen, daher das Buch. Man ist währenddessen ein anderer Mensch. Das war nicht ich. Ich bin ein sehr positiver Mensch. Damals war ich schwer krank. Je schlimmer die Depression ist und je länger sie dauert, desto konkreter werden die Selbstmordgedanken. Zuerst zieht man es nicht ernsthaft in Betracht, aber irgendwann erwischt man sich bei der Überlegung: Fenster, Strick oder 6. Stock? Das ist während einer Depression leider völlig normal.

War es eine Entscheidung zum Weiterleben oder eine gegen den Selbstmord?

Ich habe nicht wirklich eine Entscheidung getroffen. Bei mir war der Überlebenstrieb zu dem Zeitpunkt zum Glück um eine winzige Spur größer als der Todeswunsch. Eigentlich habe ich die Entscheidung delegiert. Ich konnte für nichts mehr garantieren, deshalb ging ich ins Krankenhaus, damit die Ärzte entscheiden, wie es weitergeht. Das gab mir Sicherheit. Ich musste dort nicht mehr funktionieren. Meine beste Option war, die Entscheidung an die Besten auf dem Gebiet zu delegieren. Das empfehle ich jedem, der überlegt, sich umzubringen.

Wie geht es Ihnen heute?

Ausgezeichnet. Die Depression hat damals ganz plötzlich begonnen, es waren drei Monate furchtbaren Leidens und binnen Stunden war es vorbei. Seitdem geht es mir wieder gut, wie fast immer. 98,4 Prozent meines Lebens ging es mir konstant gut mit üblichen Höhen und Tiefen, nur 1,6 Prozent sehr schlecht.

Wieso kam es dann zu dieser Depression?

Es gab bei mir keinen Auslöser. Weder einen Todesfall noch eine Kündigung noch sonst etwas. Es lief privat gut, es gab nicht besonders viel Stress. Es lag auch nicht an meiner Kindheit. Ich habe das mit meiner Gesprächstherapeutin erforscht – ich habe mich immer behütet gefühlt. Meine Depression war klassisch biochemisch begründet. Bei mir arbeiten die Neurotransmitter im Gehirn nicht so, wie sie sollten. Das sieht man daran, dass es plötzlich und ohne Vorwarnung aufgetreten ist.

Zum Verständnis: Was ist der Unterschied zu anderen Formen der Depression?

Früher hieß es exogen oder endogen – entweder ein äußerer Auslöser wie ein traumatisches Ereignis oder aus der gehirneigenen Biochemie heraus. Heute sagt man, dass jeder beides hat. Auch wenn es ein hoher biochemischer Anteil ist, kann man nie ausschließen, dass auch ein Teil des Auslösers psychischer Natur ist. Jeder trägt Komplexe und Unsicherheiten in sich – auch ich. Aber bei mir lag es zum Großteil an der Biochemie.

Was würden Sie tun, wenn wieder eine Depression käme?

Ich könnte gar nicht mehr als beim letzten Mal tun. Ich wusste bei meiner zweiten Depression sofort, was los war. Ich ging am selben Tag zum Neurologen und begann, meine Antidepressiva zu nehmen – letztendlich das Einzige, das man kurzfristig machen kann. Die wirken nur leider nicht gleich. Schneller geht’s nicht.

Weil man nichts dagegen tun kann, war es für Ihre Angehörigen bestimmt eine schwierige Zeit. Wie gehen sie im Nachhinein damit um?

Ganz gut. Ich thematisiere meine Depression möglichst wenig. Vor allem für meine Lebensgefährtin war es ein Trauma, das mitzuerleben. Der Partner hat ein absolutes Ohnmachtsgefühl. Ich schreibe auch unter Pseudonym, damit meine Angehörigen diese Zeit nicht noch einmal durchleben müssen.

Währenddessen konnten Sie Ihre Liebe nur "zur Kenntnis nehmen", schreiben Sie. Haben Sie sich je bei Ihrer Lebensgefährtin entschuldigt?

Man ist währenddessen zu keiner Gefühlsregungen fähig. Ich habe mich danach aber nie entschuldigt, ich habe mich bedankt. Weil ich nichts dafür konnte – das weiß meine Freundin auch. Ich habe nichts Falsches gemacht, ich war krank. Man entschuldigt sich ja auch nicht dafür, Krebs zu haben. Aber ich habe mich bedankt, aus tiefstem Herzen.

"Das Schlimmste: Dass man mir sagt, ich solle mich zusammenreißen." Wie sollen Angehörige mit einer Depression umgehen?

Zuerst sollte man sich mit Literatur eindecken, um zu sehen, dass es sich um eine normale Krankheit handelt. Phrasen wie "Positiv denken!" sollte man vermeiden, die sind am schlimmsten. Der Depressive würde ja so gerne, kann aber nicht. Man sollte wissen, dass man die Krankheit gar nicht verstehen kann, wenn man noch nie eine Depression hatte. Man braucht also kein schlechtes Gewissen zu haben.

Diagnose und Behandlung

Fast ein Fünftel der Österreicher erleidet irgendwann in seinem Leben eine Depression. Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit und eine durchgehend gedrückte Stimmung sind nur einige der Symptome. Frauen sind dabei 2–3 Mal so häufig betroffen, bei Männern ist jedoch die Selbstmordrate höher. Die Dunkelziffer ist nach wie vor extrem hoch.

Schuld an der Erkrankung sei eine biochemische Störung der Neurotransmitter, erklärt Univ. Doz. Dr. Udo Zifko, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Mangelt es dem Gehirn an den Botenstoffen Serotonin, Noradrenalin und/oder Dopamin, werden Empfindungen wie etwa Freude nur noch schwach wahrgenommen, in schweren Fällen bleibt jegliche Gefühlsregung aus.

Mithilfe der richtigen Medikamente sei die Depression aber sehr gut behandelbar, so Zifko. Mittels sogenannter Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wird der Abbau von Serotonin verzögert, der Spiegel kann langsam auf ein normales Level gebracht werden. "In der Regel dauert es etwa 2–3 Wochen bis eine Besserung fühlbar wird." Die Nebenwirkungen seien im Vergleich zu älteren Präparaten harmlos, lediglich vermehrtes Wärmegefühl, Schwitzen und leichte Magenprobleme wie Völlegefühl seien gelegentlich aufgetreten. Ein weiterer Vorteil: Es besteht keinerlei Suchtgefahr. Eine Psychotherapie sollte trotzdem unbedingt gemacht werden, da eine Beteiligung von psychischen Faktoren nie ausgeschlossen werden kann.

Eine klare Diagnose ist oftmals nicht einfach zu stellen. Nur durch eine ausführliche Anamnese des Haus- oder Facharztes können Herkunft und Art der Depression geklärt werden. Gibt es mehrere Depressionsfälle in der Familie, aber keine emotionalen Traumata wie einen Todesfall, handelt es sich oft um eine biochemisch begründete Erkrankung.

Wenn eine solche bereits öfter als ein Mal aufgetreten ist, könne man heutzutage mithilfe eines Anti-Epileptikums gut vorbeugen, um einen wellenartigen Krankheitsverlauf zu verhindern. Zifko: "Ich bin mittlerweile ein großer Fan davon, da es auch hervorragend gegen Angststörungen wirkt – einer häufigen Begleiterscheinung von Depressionen."

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