Winnetou-Fieber: Helden auf Spurensuche in Kroatien

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Heute Abend startet der neue Winnetou-Dreiteiler. Im Juni treffen sich jährlich Fans der Urfilme, um Drehorte, Darsteller und Devotionalien zu sehen. Zu verehren.

Heute ist die Straße asphaltiert, über die einst Pierre Price und Lex Barker ritten. Damals stellten Apachen auf dem Weg in die Schlucht Paklenica den Banditen eine Falle, heute kommt einem ein holländischer Camper entgegen.Damit ist eigentlich alles über Glanz und Verwesung des Winnetou-Kultes erzählt.

Aber Zvonimir lebt vom Erzählen, also spricht er immer weiter. Der Kroate grinst wie einst Film-Clown Sam Hawkens und hält seine Mappe hoch wie die heilige Schrift: Das Szenenfoto aus "Winnetou 1" ist kaum zu erkennen, zu stark vergrößert, außerdem spiegelt die Folie. Aber zwanzig Bleichgesichter starren und erkennen darauf einen Filmmoment, den sie auswendig kennen. "Hier war die Szene, wo Old Shatterhand in den Hinterhalt gelockt wird." Zvonimir führt seit Jahren als Guide Winnetou-Fans an Drehorte. Jetzt gerade wenden sie ihre Köpfe abwechselnd zu seiner heiligen Mappe und zur Engstelle der Straße. Ahs und Ohs durchziehen die Schlucht.

Winnetou-Fieber: Helden auf Spurensuche in Kroatien
Winnetou Reportage Drehorte und Fans, Juni 2016, anlässlich Neuverfilmung Dezember 2016 RTL, (c) Axel N. Halbhuber, honorarfrei einmalig für Reportage, dann auf Anfrage
Seit einiger Zeit ist der Juni im Winnetou-Mekka Mittelkroatien der Jahreshöhepunkt, mehr als hundert Fans treffen sich dann für eine Reminiszenzenwoche. Dabei fotografieren sie Löcher in der Erde, in denen Brückenpfeiler steckten, über die Lex Barker im Film ritt. Solche Orte spürt Ulrich "Facebook-Profil Ulli Tou" Wirsing auf. Der Flugzeugmechaniker, Anfang 50, pflegt seinen Pierre-Brice-Look und hat – natürlich – schon "als Kind unter der Bettdecke Karl May gelesen". Die Faszination hielt und mit dem Internet entdeckte Wirsing: "Man ist nicht alleine." Er organisierte 2009 ein erstes Winnetou-Fest in Deutschland, zu dem 10.000 kamen. Das motiviert. Heute hängen in Souvenirshops zwischen Pierre-Brice-Devotionalien vereinzelt auch "Ullitou"-Kühlschrankmagneten.

Als vor fünf Jahren der erste Klassiker sein 50. Jubiläum feierte, brachte Wirsing 120 Fans aus zwölf Nationen an die kroatischen Originalorte und mit Pierre Brice zusammen. "Für mich ist es noch immer wie ein Traum, dass ich am Schluss der eine Fan von Hunderttausenden war, der so nah bei ihm war. Und dass ich der Erste war, der am Sarg stand." Wenn Wirsing so etwas sagt, schaut er ernst und trocken. Ironie hat hier nichts verloren, auch nicht bei der mittlerweile fünften Reise, für die Fans 849 Euro pro Woche zahlten – für "Quartier, Programm, Poster und Autogrammkarten". Und ein Garantie-Einzelbild mit angereisten Promis. (www.winnetoufeste.de)

Reich der Illusion

Zvonimir hat seine Gruppe weitergeführt, einer sagt in einem Anflug von Selbstreflexion zum anderen: "Selbst ne kleine Kerbe im Stein ist ne Sensation. Wir sind schon verrückt, oder?"

Keine Antwort.

Das ist nur konsequent. Der gesamte Winnetoukult basiert auf Illusion, Karl May war nie bei Indianern, die Filme wurden alle in Europa gedreht. In Kroatien gab es damals wie heute keine Büffel. Gefilmt wurde immer im Sommer, das trockene Kroatien kommt der Prärie am nächsten. Andere Drehorte in Spanien, Frankreich und Bosnien bekamen schon damals nur unbedeutende Szenen und sind auch heute Nebenschauplatz. Winnetou-Museum, berühmte Seen und Wasserfälle, Winnetous Sterbestelle – das alles ist hier. Und ernährt Zvonomir.

Die Sterbestelle inszenierte Ullitou Wirsing für seine Jünger im vergangenen Jahr als Highlight: Die Szene, als Winnetou Brice stirbt, wurde am Originalort nachgestellt, mit Wirsing im Kostüm. Eineinhalb Stunden dauerte es, bis alle ihr Foto mit dem siechenden Indianer hatten. "Ich hatte schon eine richtige Starre", sagt Wirsing.

Einen genialen Aufputz für dieses gut inszenierte Ideal findet er in Pierres Witwe Hella Brice. Kurz bevor sie ankommt, formiert sich die Schar zum Halbkreis und zückt ein Willkommens-Transparent. Ein Mann mit Sonnenbrille verleiht dem Moment Bedeutung, indem er die aufgeregten, aber besonnenen Rentner zurückdrängt und zurechtschiebt. Er heißt Marc und ist Ullitous Mann für das Grobe, ein Security, wie er im Strafgesetzbuch steht. Dann Hella, Wildlederhose, ledriges Gesicht, ein Strahlen, Applaus. Sie geht die Halbrunde, dann: "Es bedeutet mir so viel, dass ihr hier seid. Ich habe Gänsehaut. Jetzt weiß ich, dass ich nicht alleine bin", langsamer Blick gen Himmel, Tschüss und weg.

Mehr Zeit als die großen Stars wie Brice oder Uschi Glas bekommen die Fans von Gästen der ehemaligen Crew. In diesen Wochen wird jeder Tontechniker von früher zum Helden. Der Sohn eines Mitarbeiters von damals erzählt: "Mein Vater musste die Filme ja noch in den dunklen Säcken entwickeln. Er hat dabei viel geschwitzt."

Am tollsten sind für die Fans aber Darsteller kleiner Rollen. Die waren wirklich dabei und nehmen sich doch Zeit, weil sie wie Zvonimir ein wenig vom Ruhm naschen. Die Mittsechzigerin Gerdana ist so eine, sie doubelte als 16-Jährige Mimin Daliah Lavi beim Nacktsprung in die Krka Wasserfälle. Dort steht sie, mit mädchenhaften Seitenzöpfen, und zeigt für Fotos geduldig auf die Stelle, von der sie sprang. Später berichtet sie sogar zögerlich von einem jungen Brice, vor dem sie sich im Hotelzimmer verbarrikadieren musste. Aber solche Lästerungen wollen viele hier gar nicht wirklich hören.

Winnetou-Fieber: Helden auf Spurensuche in Kroatien
Winnetou Reportage Drehorte und Fans, Juni 2016, anlässlich Neuverfilmung Dezember 2016 RTL, (c) Axel N. Halbhuber, honorarfrei einmalig für Reportage, dann auf Anfrage

Zu viele Bäume

Verkleidungsrituale haben immer etwas Befremdliches, aber wer das hier ausspricht, wird mit einer Friedenspfeife erdolcht. Groupies mögen keine Scherze über ihre Idole. Nicht der Mann im schwarzen Hemd mit dieser Lederschnur um den Hals, Typus Westernkrawatte. Und nicht die Frau mit zu wenig Minirock um zu viel Hüfte, die lieblich von den Lederfransen umspielt wird.

"Die erste Convention" – Zvonimir nimmt das Wort in den Mund – "fand 2007 statt. Seitdem hat sich das entwickelt, vor allem in Paklenica". Der Nationalpark hat seinen eigenen Mythos, er wurde 1949 gegründet und zugleich gesperrt, Bunker, Kriegszeug, Geheimdienst. Für die Winnetou-Drehs öffnete Staatschef und Filmfan Tito den Park. Der neue Dreiteiler (siehe unten) wurde großteils an anderen Stellen gedreht. In Paklenica ist es heute zu grün, es gibt zu viele Bäume, "kein Wildwest-Flair", sagt Zvonimir.

An anderen Orten sieht es auch heute noch aus wie damals, vor allem am Mali Alan. An dem pittoresken Berg wurde viel gedreht, hier starb einst auch Brice. Und hier bekommt er heuer eine Gedenktafel. Hella hält eine Rose in der Hand und legt die andere an die Tafel. Ulli stellt sich dazu.

Sie: "Du siehst wirklich aus wie Pierre."

Er: "Wir sind ja beide gleich groß, der Pierre und ich. Er sagte einmal: Du bist mein kleiner Bruder, Ulli."

Seine Begeisterung ist echt. "Pierre sprach immer nur von Freunden und Familie. Nicht von Fans."

Winnetou-Fieber: Helden auf Spurensuche in Kroatien
Winnetou Reportage Drehorte und Fans, Juni 2016, anlässlich Neuverfilmung Dezember 2016 RTL, (c) Axel N. Halbhuber, honorarfrei einmalig für Reportage, dann auf Anfrage

Die Winnetoufilme

Zwischen 1962 und 1968 entstanden elf Winnetoufilme, gedreht wurde in vielen Ländern, aber nur Bosnien und vor allem Kroatien konnten den Kult vermarkten. Seit 2012 der erste Film den 50er feierte, pushten die Jubiläen den Erfolg und die Fanreisen nach oben. Nach den Originalfilmen gab es viele Fortsetzungen und Spin-offs, legendär die „Rückkehr des Winnetou“, wo Pierre Brice unsynchronisiert wieder spielte. Richtig erfolgreich war nichts davon. Im Vorjahr wagte sich RTL an den Stoff, Sonntag Abend zeigte man den ersten Teil. Die Kritiken vorab sind verhalten bis vernichtend.

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