Wie YouTuber das Essverhalten von Teens beeinflussen
So fängt der Tag gut an: Avocado-Toast, Kokosmilchreis, Joghurt mit Früchten – geht es nach den Videos manch junger YouTube-Stars, würden Teenager ihren Vitaminvorrat bereits vor der Schule abdecken.
BarbaraSofie hat mehr als eine Million Fans, knapp ein Drittel hat ihre Tipps für ein gesundes Frühstück angesehen. "Ich habe in den vergangenen Monaten versucht, ein bisschen bewusster auf meine Ernährung zu achten und habe beim Frühstück angefangen. Davor habe ich eher Zucker-Cornflakes gegessen", erzählt die 23-Jährige den Zuschauern. "Inzwischen esse ich meistens Porridge, das ist eigentlich Haferbrei, aber Porridge klingt cooler. Ich ersetze die Milch durch Kokosmilch und den Zucker durch Kokosblütenzucker", flötet sie in die Kamera.
Anna Hofbauer (14) sieht sich solche Videos gerne an, doch umgesetzt hat sie die Rezeptideen nicht: "Bei den Youtubern sieht das ganz einfach aus und sie sagen immer, wie schnell es geht. Aber in der Früh habe ich keine Zeit dafür, mir solche Gerichte zuzubereiten. Und in meiner Klasse haben fast alle berufstätige Eltern, da bekommt kaum jemand ein großes Frühstück oder eine spezielle Jause." Anna mag die Videos von BarbaraSofie und anderen Youtuberinnen trotzdem: "Sie spricht über viele Themen: Lernen, Schminken, Fitness, Ernährung und macht Scherze."
Ein Großteil von BarbaraSofies Snapchat-Fotos zeigt Essen. Ihre Zuschauer mögen Videos wie "5 einfache Snack-Ideen für Schule und Uni". Auch die Youtuberin TheBeauty2go gibt ihren 800.000 Fans immer wieder Tipps für die Lunchbox, und xLaeta zeigte 1,2 Millionen Zuschauern ihr "supercooles und superstylishes Gurken-Limettenwasser", das gut schmeckt und gut zu ihrer grünen Flasche passt.
14 Tage ohne Essen
Manchmal entstehen in der Youtube-Szene skurrile Foodtrends, so Anna: "In vielen Videos werden Getränke von Starbucks selbst gemacht oder Smoothies zusammengemixt. Der letzte Schrei sind lustige ‚Squishy-Challenges‘, bei denen Gummi-Spielzeug und echtes Essen verkostet werden." Auf DoJos Spielwelt probieren Vater und Tochter eine andere Vergleichsvariante aus: echtes Essen und die pürierte Form.
Mit spezialisierten Ernährungs-Bloggerinnen wie der Studentin Gerid Rux beschäftigen sich Anna und ihre Freundinnen (noch) wenig. Auf Instagram inszeniert sich die Wienerin Rux als Fitness-Vorbild, in ihrem Blog stellt sie Work-outs und Rezepte vor – und ihre modelmäßigen Kurven. So hält sie auf einem Foto zwar eine Portion Cornflakes in die Kamera, bei ihrem straffen Bauch kann man sich jedoch kaum vorstellen, dass sie die tatsächlich essen würde.
Das Video "14 Tage nichts essen" von Miss Nici hat Anna jedoch gesehen. Zu Jahresbeginn bekam die Youtuberin mit ihrem Video über ihre Detox-Saft-Kur 850.000 Klicks und 3500 Kommentare – darunter viele negative wie "das ist gefährlich", "dumm" und "unverantwortlich" – so sieht es auch Anna.
Ernährungswissenschaftlerin Karin Loibner beobachtet verschiedene Entwicklungen: " Youtube und Instagram haben einen wichtigen Stellenwert. Vor allem Mädchen beobachten genau, was ihre Vorbilder machen. Manche sehen sich das kritisch an, aber viele lassen sich blenden. Problematisch wird es, wenn man den Eindruck bekommt, dass sich alles nur um Fitness und Essen dreht" (siehe rechts). Bei Burschen gibt es ebenfalls zwei Extreme: jene, die schon in der Unterstufe mit einem Fitnessprogramm anfangen, und die weniger ambitionierten Couch-Potatoes.
Der Dauerbrenner Pizza ist auf Youtube ein großes Thema: In unzähligen Videos wird sie mit absurden Zutaten wie Erdnussbutter, Schlagobers oder Nutella belegt. Da passte die Schoko-Pizza von Dr. Oetker im Vorjahr gut dazu, sie wurde in vielen Youtube-Videos verkostet – die beste Werbung.
Bekannte Youtuber entdeckten das Essen als Marktpotenzial. Das Brüder-Duo Heiko und Roman Lochmann (die Lochis) brachte mit einer Fast-Food-Kette ein Eis heraus, in deutschen Supermärkten können die Fans von Minecraft-Spieler Concrafter eine Tiefkühlpizza mit seinem Smiley-Logo kaufen.
Körper-Vorbilder
Mehr Verantwortung für das Körperbewusstsein ihrer Fans beweist die junge Niederösterreicherin Angie Resch (21) in ihrem Blog HelloPippa. Die Veganerin reist, kocht und macht sich Gedanken über Nachhaltigkeit. "Ich gehöre zu der Sorte Menschen, die immer essen können. Auch im Hochsommer hab ich (leider) Appetit wie ein Mähdrescher", schreibt sie. Am liebsten mag sie Süßes, ihr Backbuch zeigt ihre Leidenschaft. Inzwischen muss sie sich glutenfrei ernähren, erzählt sie ganz offen ihre Krankheitsgeschichte.
Oft angeklickt wird derzeit auf Youtube das Lied "Not Heidis Girl" von Hamburger Schülerinnen. Sie protestieren gegen das Körperbild von Castingshows, erklärt Sängerin Lynne (14): "Klar bringt ‚Germany’s Next Topmodel‘ Spaß, während ich es sehe. Aber danach fühle ich mich falsch."
Auf ihrer Webseite Lebenshungrig berichtet Simone Happel von ihrem Leben mit Bulimie: "Diäten sind Einstiegsdrogen in die Essstörungen." Sie erzählt, warnt, informiert. Ernährungswissenschaftlerin Karin Lobner ist dankbar für solche Vorbilder: "Ich erlebe Mädchen, die sich ein ganz rigides Fitness-Regime auferlegen und jede Kalorie zählen. Sie sagen, sie essen ‚Low Carb‘, aber es ist ‚No Carb‘."
In eigenen Foren tauschen sich Mädchen mit Anorexie aus und verstärken den Ernährungsstress. In einem Blog erzählt etwa eine Magersüchtige, warum Hunger schön ist. "Solche Seiten werden immer wieder abgedreht. Jetzt entstehen WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Mädchen austauschen. Viele sind sehr einsam", erklärt Gabriele Haselberger von der Hotline für Essstörungen (WIG). Wie landen Jugendliche auf diesen Seiten? "Oft fängt es bei Ernährungstipps oder Abnehm-Blogs an und dann geraten sie immer weiter hinein."
Psychotherapeutin Harriet Vrana von der Mädchenberatungsstelle FEM warnt: "Es gibt keine Schule ohne Kinder mit Essstörungen. 90 Prozent der Mädchen sind mit ihrem Körper nicht zufrieden. Manche entwickeln bei der Ernährung einen enormen Leistungsdruck."
Unter Druck geraten Mädchen auch durch Vorbilder im echten Leben: "Wenn in einer Klasse ein oder zwei Mädchen anfangen, kippen andere mit hinein", so Lobner. TV-Serien prägen sie, je nachdem, "ob Mädchen das super-schicke ‚Gossip Girl‘ ansehen oder ‚Gilmore Girls‘ – wo Mutter und Tochter gemeinsam schlemmen."
Hotline für Essstörungen (WIG): 0800 20 11 20, hilfe@essstoerungshotline.at
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