Wie Kinder bei Eltern bleiben können

Wie Kinder bei Eltern bleiben können
SOS-Kinderdorf Wien feiert Geburtstag. Und begleitet zunehmend Eltern, um den Kindern zu helfen.

Die Zahl gibt zu denken: 3768 Kinder und Jugendliche waren in Wien Ende des Vorjahres in Fremdbetreuung, also nicht bei ihren leiblichen Eltern. Die Zahl steigt, vor fünf Jahren waren es um 448 weniger. Was größtenteils durch die wachsende Stadtbevölkerung zu erklären ist.

Doch bleibt die Frage: Wie kann die Zahl sinken?

Seit Jahren suchen alle Beteiligten die Lösung dafür in verstärkter Arbeit mit gefährdeten Familien. Die Stadt Wien setzt auf Familienintensivbetreuung und MAF – Mobile Arbeit mit Familien. Demnächst möchte auch das SOS-Kinderdorf Wien diese Arbeit aufnehmen, erklärt Leiter Erwin Roßmann: "Das heißt, in die Familie hineinzugehen. Das Ziel ist, dass die Kinder in den leiblichen Familien bleiben sollen."

Wie Kinder bei Eltern bleiben können
Kurier Grafik Fremdunterbringung Kinder und Jugendliche in Wien
Das passt zur Philosophie, mit der SOS-Kinderdorf vor genau zehn Jahren, am 22. September 2006, in Wien angetreten ist: Man baute nicht das übliche Dorf, sondern bezog Wohnungen in unterschiedlichen Wohnhäusern. "Wir orientieren uns immer am üblichen Sozialraum von Familien. Und die Wohnung in einem Wohnbau ist die Form der meisten Wiener." Man startete 2006 mit einer Kinderdorf-Familie, erreichte schnell die geplanten 40 Kinder und betreut heute in Wien fast 160. Und ist damit das größte Kinderdorf Österreichs. Das Zentrum liegt im FamilienRathaus in Jedlesee, die Wohngruppen und Familien sind über den 21. und 22. Bezirk verteilt.

Nachbarschaft

Von Beginn an setzte man auf vielfältige Lösungen, etwa das betreute Wohnen für Jugendliche (siehe unten). Oder eben darauf, Kinder mittelfristig wieder in die leibliche Familie zurückzuführen. Roßmann: "Außerdem wollten wir niederschwellige Angebote für Familien in der Nachbarschaft. Aus diesem Gedanken entstand unser Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort wird ganzheitlich mit Familien gearbeitet, sowohl der bei uns untergebrachten Kinder als auch externen." Die Einrichtung ist eine von drei dieser Art in Wien und Ansprechpartner für fast 500.000 Wiener. Derzeit werden über 500 Familien pro Jahr betreut. Als zusätzliche niedrige Hürde schuf man das Café Floritz im gleichen Haus für Begegnung und unverbindliche Information. Schulen, Ärzte, Sozialdienste und Krankenhäuser machen Familien darauf aufmerksam, verpflichten kann man niemanden. Das Motiv: Prävention. "Solche Einrichtungen können die eine oder andere Herausnahme eines Kindes aus der Familie verhindern."

Wie Kinder bei Eltern bleiben können
Erwin ROSSMANN, Interview, SOS Kinderdorf Wien,
Kommt es doch zur Herausnahme, ist die enge Arbeit mit den leiblichen Eltern besonders sinnvoll, wenn auch nicht immer einfach, sagt Roßmann. "Wir haben gesehen, dass es Kindern besser geht, wenn sie wissen, auch ihren Eltern wird geholfen." Entscheidend sei, dass man dafür auch eigene Sozialpädagogen braucht, die man im kommenden Jahr zusätzlich anstellen will. Auch diesbezüglich funktioniere die Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der MAG 11 sehr gut, die in Wien für die Kinder- und Jugendwohlfahrt zuständig ist. Roßmann: "Ein Betreuer soll sich um das Kind kümmern und ein anderer um die Eltern. Wenn das derselbe ist, gerät er in ein inneres Dilemma."

Die gemeinsame Arbeit mit Eltern und Kindern – zumindest ein Ansatz, wie die Zahl sinken könnte.

Termine: Zur Arbeit mit jugendlichen Flüchtlingen hat das SOS-Kinderdorf Wien demnächst zwei Termine. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Fonds Soziales Wien und der MAG 11 sucht Kinderdorf Gastfamilien für diese Jugendlichen. Dazu gibt es am 23. September einen unverbindlichen Infoabend. (17 Uhr, 1120 Wien, Schlöglgasse 10 / Top 4, Info: sos-kinderdorf.at/Gastfamilien. Am 24. September gibt es den Event „#gleicheChancen – echte Hoffnung“, Info dazu unter sos-kinderdorf.at/gleicheChancen.

Man kann Valerie Bartonik „französische Jungregisseurin“ nennen, auch wenn sie darüber lacht. Aber die 23-Jährige lebt in Paris, spricht fließend Französisch und finalisiert gerade den Kurzfilm, der ihr Regiestudium besiegelt. Davor hat sie schon Film in Montpellier studiert, nebenbei studiert sie Tschechisch und Internationale Beziehungen.

Ihr beachtlicher Weg war steinig. Bis neun lebte sie mit den Eltern in Wien, nach deren Trennung mit der Mutter und den beiden Schwestern in der Steiermark. Sie wollte zurück in die Stadt, lebte beim Vater, es kam zu Problemen.

KURIER: Wie war Ihre Kindheit?

Wie Kinder bei Eltern bleiben können
Valerie Bartonik, Wien am 24.08.2014
Valerie Bartonik:Es gab sehr schöne Momente, aber sie war durchwegs schwierig. Mir war nicht klar, dass es nicht funktionieren würde, bei meinem Vater zu leben. Ich musste selber feststellen, wer er wirklich war. Ich lief zwei Mal weg, dann haben wir uns geeinigt, dass ich in ein Mädchenwohnheim ziehe, wo ich mich aber auch nicht wohlgefühlt habe. Dann kam die Lösung, dass ich im „Betreuten Wohnen“ des Kinderdorfs lebe.

Waren alle einverstanden?

Es war mit meiner Mutter vereinbart, mein Vater hat zugestimmt. Er hatte persönliche Probleme mit Alkohol und Medikamenten. Der Ausstieg war auf alle Fälle notwendig. Es gab so viele Spannungen, auch mit meiner Mutter, weil ich den Vater idealisiert habe.

Wie lösten sich die Probleme?

Ich wusste immer, dass meine Mutter und mein Vater mich lieben. Und hatte regelmäßig Kontakt, wenn oft auch nur telefonisch. Dieses Fundament brauchst du, um Vertrauen in dich selber zu haben. Und meine Betreuerin Jasminka war wichtig, die hat mir Möglichkeiten für einen glücklichen Weg eröffnet. Es klingt komisch, aber es war eine Superzeit. Und die richtige Entscheidung. Die Distanz hat mich meiner Familie viel näher gebracht. Sowohl meiner Mutter als auch meinem Vater.

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