Häuser mit Geschichte
Florian Kotanko hat schon viele kuriose Anfragen bekommen. Journalisten, die sich nach Adolf Hitlers Schulzeugnis erkundigten, Fernsehteams, die das Taufbecken in Braunau filmen wollten. Am häufigsten aber wurde der 64-jährige Obmann des "Vereins für Zeitgeschichte Braunau" nach dem Weg zu Hitlers Geburtshaus gefragt.
Häuser wie dieses sind, wenn darin kein Mozart oder Goethe geboren wurde, ein unerwünschtes Erbe. In Städten wie Predappio oder Gori, den Geburtsorten von Benito Mussolini und Josef Stalin, ist im Laufe der Jahrzehnte ein Personenkult entstanden.
Image
Herbert Posch, Museologe und Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in Wien, ist überzeugt, dass sich eine Gemeinde der Geschichte nicht einfach entledigen kann. "Eine Stadt ist nicht dafür verantwortlich, wer hier geboren ist. Aber sie muss mit dem Image, das sie im Nationalsozialismus und schon davor bekommen hat, umgehen und sich positionieren." Und: "Geburtsstätten sind der Ursprungsort, sie markieren den Beginn von etwas. So etwas findet sich in der katholischen Religion durch Kontaktreliquien. Es ist mit magischem Denken und Geniekult verbunden. Diese Symbolik wurde auch von den Nazis gehypt."
1938 kaufte Reichsminister Martin Bormann im Auftrag der NSDAP Hitlers Geburtshaus und richtete ein Kulturzentrum samt Volksbücherei ein. Nach Kriegsende wurde es an die Eigentümer zurückgegeben, die es 1912 erworben hatten. Sie vermieteten es an den Staat. Zuletzt wurde das Haus als Betreuungsstätte für Menschen mit Behinderung genutzt.
Florian Kotanko war sowohl in Gori, dem Geburtsort Josef Stalins, als auch in Predappio. "In Italien wird anders mit dem Faschismus umgegangen. Das ist nicht vergleichbar mit Österreich. Die neofaschistische Bewegung ist dort eine anerkannte politische Richtung." Eine Vertreterin dieser Bewegung ist Alessandra Mussolini, Enkelin des Diktators. Die Sängerin und Schauspielerin ist auch aktive Politikerin in der Partei "Popolo della Libertà" (Volk der Freiheit, Anm.).
Vision
Die Auseinandersetzung mit dem "Hitlerhaus" birgt Gefahren, aber auch Chancen. Der Politologe Andreas Maislinger hat seit Jahren eine Vision. Er will in der Geburtsstätte ein "Haus der Verantwortung" errichten, in dem drei Bereiche aufgearbeitet werden: Die Verantwortung gegenüber der NS-Vergangenheit, die Probleme der Gegenwart und die Bewältigung der Zukunft. Für sein Vorhaben konnte er bereits zahlreiche prominente Unterstützer aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik finden. Dennoch bleibt sein Vorschlag vorerst auf Papier.
Die Idee eines russischen Abgeordneten, der 2012 das Haus kaufen und abreißen lassen wollte, hält Historiker Posch für absurd. "Der Stein des Anstoßes wäre zwar weg, aber man darf nicht unterschätzen, wie mächtig eine Leerstelle sein kann. Man kann nicht einfach ein Wohnhaus oder eine Bank draufsetzen. Die Geschichte wird man nicht los, wenn sie entsorgt wird."
Das hat auch die Gemeinde in Predappio erkannt. Eine aktuelle Schau (bis 31. Mai) beschäftigt sich mit dem Werdegang des einstigen Sozialisten Mussolini zum Faschisten. Ein wissenschaftliches Komitee versucht sich dem bekanntesten Sohn der Stadt kritisch anzunähern – eine Chance, das Image aufzubessern.
In Braunau beschäftigte sich ein Arbeitskreis mit der Zukunft des Geburtshauses. Kotanko, der als externer Berater beigezogen wurde, sieht Handlungsbedarf. "Ob es ein Museum oder ein Haus der Verantwortung wird – es sollte unbedingt einen Hinweis auf den historischen Bezug geben." Herbert Posch: "Mit dem Aufstellen von Denkmälern ist es nicht immer getan – sie nehmen den Menschen das Gedenken nicht ab. Man könnte daher etwas schaffen, das ihnen anbietet, sich aktiv damit zu beschäftigen."
Das Künstlerpaar Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz errichtete 1986 ein Denkmal gegen den Faschismus im Hamburger Stadtteil Harburg. Die 12 Meter hohe Blei-Säule lud Passanten ein, darauf mit ihren Namen zu unterzeichnen. Je mehr Unterschriften sie trug, desto mehr wurde sie in den Boden eingelassen, bis sie restlos verschwand. Die Idee: Wir nehmen euch das Gedenken nicht, wir bieten an, euch aktiv damit auseinanderzusetzen.
Vor rund 24 Jahren starben Rumäniens ehemaliger Diktator Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena in einer Militärbasis, 100 Kilometer von Bukarest entfernt. Nach einem gerichtlichen Schnellverfahren wurden sie am 25. Dezember 1989 erschossen. Der Ort des Geschehens ist nun auch für Besucher zugänglich.
Die Eisenbetten sind noch an der gleichen Stelle, ebenso die provisorische Anklagebank. Einschusslöcher an den Wänden zeugen von der Exekution. Ein Video zeigt Ausschnitte des Prozesses gegen Ceausescu. "Unser Ziel ist es, die Dinge so zu zeigen, wie sie geschahen - ohne den Prozess, das Leben der Ceausescus oder ihren Personenkult zu kommentieren", sagt Museumschef Ovidiu Carstina im Interview mit dem Spiegel.
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