Warum der Mensch den Glauben fand

Warum der Mensch den Glauben fand
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass moderne Zivilisation ohne Gottesfurcht kaum möglich gewesen wäre. Gemeinsame Gebete und Rituale formten Gesellschaften.

Eine Zielscheibe, Klettbälle und eine unsichtbare Prinzessin namens Alice – das sind die Dinge, die es braucht, um Gott auf die Schliche zu kommen.

Wenn man Psychologe ist und Jesse Bering heißt.

Der Forscher bat 68 Kinder zum Experiment: Mit Klettbällen sollten sie auf eine Zielscheibe werfen. "Wer dem Zentrum am nächsten kommt, hat gewonnen", erklärte ein freundlicher Herr jedem Kind, um es dann allein im Raum zu lassen. Die Kleinen wurden natürlich sofort schwach und hefteten, kaum war der Aufseher draußen, die Bälle nahe dem Mittelpunkt an die Scheibe.

Aber würden die Kinder auch schwindeln, wenn sie von einem Geist überwacht würden, wollte Psychologe Bering wissen und erklärte einer Kontrollgruppe, dass eine unsichtbare Prinzessin Alice dort drüben auf dem Sessel sitze, die alles beobachte.

Und das Wunder geschah: Ab sofort waren die Kinder fromm und warfen nach den Regeln. Aber nicht alle. "Geister, so ein Blödsinn", hatten sie im Vorfeld erklärt. Allein im Zimmer kam der Zweifel, sie strichen über die Sitzfläche und wagten erst dann zu mogeln.

Über eine Kamera beobachteten die Forscher und Eltern, wie der Nachwuchs mit guten Geistern und bösen Anfeindungen rang. Psychologe Blessing vermutet: Die Anfälligkeit für Übernatürliches steckt in unserem Erbgut. "Wir tragen eine Art versteckte Kamera in uns, die uns an selbstsüchtigem Verhalten hindert."

Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich von unsichtbaren Prinzessinnen kontrollieren lässt. Und das ist sinnvoll, haben Forschungen ergeben: Gläubige sind umgänglich, lenkbar, hilfsbereit Fremden gegenüber und viel besser für Arbeit in großen Gruppen geeignet. Lauter Eigenschaften, die eine zivilisierte Gesellschaft braucht.

"Sobald der Mensch fähig war nachzudenken, hat er sich mit dem Rätsel, wo komm ich her, wo gehe ich hin, beschäftigt", sagt die Anthropologin Katrin Schäfer. Als sich die Forschung der Religionsfrage annahm, wurde es kompliziert: Je nach Fachgebiet gibt es unterschiedliche Zugänge zum Glauben: "Soziologen und Psychologen meinen, dass, wer glaubt, einen persönlichen Vorteil hat, zum Beispiel bessere Gesundheit. Evolutionsbiologen gehen von einem Vorteil auf Gruppen-Niveau aus. Man hält zusammen, unterstützt einander und stärkt so die Gemeinschaft."

Die Aufsicht Gottes

Die Frage, die Wissenschaftler derzeit beschäftigt: Hätte der Mensch überhaupt aus der Steinzeit herausgefunden ohne wachsame Götter? In Göbekli Tepe, in der Türkei (Bild unten), glauben sie, die Antwort gefunden zu haben.

Warum der Mensch den Glauben fand
Dort bauten Menschen vor 11.000 Jahren die ersten Tempel. Zu einer Zeit, als sie eigentlich noch als Jäger und Sammler in kleinen Horden herumzogen, kamen sie zu Tausenden zusammen, schleppten tonnenschwere Steine und lernten auf einer Großbaustelle gemeinsam zu arbeiten. In kleinen Gruppen war das leicht – man kannte einander, war verwandt, rackerte für den anderen und konnte sicher sein, es vergolten zu bekommen. Doch mit wachsender Größe wird jedes Gemeinwesen unüberschaubar.

So haben sich die Menschen unter die Aufsicht gemeinsamer Götter gestellt, glauben Religionsforscher. Das war der Durchbruch. Glaube machte den Weg frei für das Wachstum des Gemeinwesens; Fremde konnten Vertrauen zueinander fassen, denn unter göttlicher Aufsicht wird der Mensch kooperativ, ergaben psychologische Experimente. "Gesellschaftliche Normen sind ganz eng mit dem Weltbild und Seelenkonzept verbunden. Denn wie sonst soll eine Norm exekutiert werden? Wenn ich will, dass Leute gewisse Dinge tun, brauche ich Mechanismen – Respekt, Strafe", sagt die Kulturanthropologin Evelyne Puchegger-Ebner. "Mit Religion wird die Gesellschaft zusammengehalten."

Warum der Mensch den Glauben fand
"Hadsch - Pilgerfahrt nach Mekka". Jeder großjährige Muslim ist verpflichtet, ein Mal in seinem Leben nach Mekka zu pilgern - so steht es in einer Koran-Sure. Die Pilgerfahrt zur Kaaba, dem wichtigsten Heiligtum der Muslime, ist mittlerweile auch für westliche Reiseveranstalter attraktiv geworden. Denn die zahlreichen im Westen ansässigen muslimischen Gastarbeiter und Einwanderer versuchen, ihrer religiösen Pflicht nachzukommen. Ralph Weihermann hat eine Gruppe in Deutschland lebender Muslime auf der Hadsch begleitet. Im Bild: die Kaaba in Mekka, zu der alljährlich hunderttausende gläubige Muslime pilgern. SENDUNG: 3sat, SO, 06.01.2008, 10:40 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung des ORF bei Urhebernennung. Foto:ORF/-. Andere Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der Abteilung ORF/GOEK-Photographie. Copyright:ORF-PHOTOGRAPHIE, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-14383.
Warum der Mensch den Glauben fand
Nur mit Kerzenlicht verfolgen am Samstag (11.04.2008) Gläubige den Ostergottesdienst in der Basilika Vierzehnheiligen im Landkreis Lichtenfels (Oberfranken). Der Gottesdienst zu Ostern wird mit Entzünden der Osterkerze begonnen. In der Basilika brennen nur die Lichter von hunderten Kerzen, die am Anfang der Messe über die Osterkerze entzündet werden. Foto: Marcus Führer dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk+++
Ein Vergleich von 74 Kulturen ergab: Je komplexer die Gesellschaft, desto eher verehrt sie allzuständige Instanzen, die die Anhänger mit Regeln und Ritualen disziplinieren. Daher dominiert heute der Gott der drei Weltreligionen (Bilder: islamische und katholische Gläubige), der soziales Wohlverhalten mit Erlösung belohnt. Man könnte sagen: Die Götter wuchsen mit ihrer Aufgabe.

Religionsforscher beobachten, dass strenge Regeln nicht schaden. So hat sich die Zahl der Mormonen seit den 1970er-Jahren verdreifacht. Religionen, die ihre Anhänger in Ruhe lassen, leiden dagegen unter Schwund.

Auch dort, wo Menschen sich gut versorgt fühlen, nimmt Religiosität rasch ab, in Frankreich oder Skandinavien etwa. Puchegger-Ebner, die in Mexiko Glaubensvorstellungen der Tarahumara-Indianer erforscht hat, hat eine Erklärung: "Dort gibt es keine Sozialversicherung. Der einzige Rückhalt, den diese Menschen haben, ist die Gemeinschaft." Im Rahmen von Ritualen versichert man sich der gemeinsamen Werte. "Die Gemeinschaft ist das Wichtigste, und sie sieht sich als wir. Der Rest sind die anderen."

Rituale sind menschliches Allgemeingut – "der Leim, der gesellschaftliche Gruppen zusammenhält", sagt Harvey Whitehouse von der University of Oxford, der ein Team aus Anthropologen, Psychologen, Historikern, Ökonomen und Archäologen aus Großbritannien, den USA und Kanada leitet. Whitehouses Team widmet sich bis 2016 in einer 3,7 Millionen Euro teuren Studie der Untersuchung von Ritualen, Gemeinschaft und Konflikten – z.B. in Libyen.

Die Forscher unterscheidet zwei Arten von Ritualen: 1. Routinemäßige Handlungen wie etwa Gebete in der Kirche. Sie lassen sich Kindern und Fremden leicht vermitteln und eignen sich gut dazu, Religionen, Stämme und Nationen aufzubauen. 2. Traumatische Handlungen wie Schläge, Narbenbildung oder Selbstverstümmelung. Sie erzeugen enge Bindungen zwischen jenen, die sie gemeinsam durchleben und eignen sich, kleine, stark engagierte Gruppen zu bilden – Sekten, militärische Einheiten oder terroristische Zellen.

Trotz dieser Vielfalt, glaubt Whitehouse, gehe es bei Ritualen immer um Gemeinschaftsbildung – und das räume ihnen eine zentrale Rolle bei der Suche nach dem Ursprung von Zivilisation ein.

Kommentare