Warum das Tamagotchi heute überholt ist

Warum das Tamagotchi heute überholt ist
Vor 20 Jahren revolutionierte das Plastik-Ei die Spielzeugwelt – ein Hype, der so nicht mehr möglich wäre.

Es piepte, wenn es hungrig war. Es piepte, wenn es spielen wollte. Und es piepte, wenn es sich nach dem Essen erleichtert hatte. Das Betriebsgeräusch der Tamagotchis, die in regelmäßigen Abständen von ihren Besitzern umsorgt werden mussten, war Mitte der Neunziger für Millionen Jugendliche (und deren Eltern) ein ständiger Begleiter. Jetzt, 20 Jahre nach der Markteinführung, ist das digitale Tierchen in die (Online-)Shops zurückgekehrt: Der deutsche Drogerieriese Müller hat das schlüsselanhängergroße Kult-Spielzeug neu aufgelegt – etwas kleiner als das Original, jedoch mit dem gleichen verpixelten, aus heutiger Sicht unlesbaren Mini-Display. Und genauso nervtötend.

Menschlicher Instinkt

"Ein kleines Stück Roboterleben in Händen zu halten, war Mitte der Neunziger etwas ganz Neues und Besonderes – dadurch ist damals ein extremer Hype entstanden", analysiert die Psychologin Natalia Ölsböck. "Jeder wollte dabei sein und ein Tamagotchi haben." Etwa 80 Millionen Kunststoff-Eier gingen nach Verkaufsstart weltweit über den Ladentisch – für die japanische Herstellerfirma Bandai ein Mega-Erfolg. Die Idee lieferte die damals 30-jährige Mitarbeiterin Aki Maita: In der Enge des japanischen Alltags war es vielen Kindern nicht möglich, ein Haustier zu halten – die pflegebedürftige Kreatur im Plastikgehäuse entpuppte sich als idealer Kuschel-Ersatz.

"Dieses virtuelle Kümmern, das ‚Vermenschlichen‘ eines technischen Wesens hatte es bis dato nicht gegeben", sagt Ölsböck. In der Ära von CD-Player und Festnetztelefon stellte das piepsende Tierchen eine technische Sensation dar. Dem Erfolg des Tamagotchis – "Tamago" ist Japanisch und bedeutet "Ei" – liegt auch ein menschlicher Instinkt zugrunde, erklärt die Psychologin: "Verantwortung für jemand anderen zu übernehmen, ist in uns allen angelegt – zum Glück."

Heute, zwei Jahrzehnte später, wäre ein derartiger Erfolg trotz Neuauflage und Retro-Sehnsucht nicht mehr möglich, ist Natalia Ölsböck überzeugt. Das Smartphone sei einfach eine zu starke Konkurrenz: "Heute haben wir ja alle so ein Ding, um das wir uns ständig kümmern müssen und das ständig klingelt oder vibriert, weil jemand was von uns will. Diesen extremen Stress und Druck, diese enorme Reizüberflutung, der wir heute ausgesetzt sind, gab es in dieser Form damals nicht. Sich um das Tierchen zu kümmern, war nett und niedlich. Heute würden wir das nicht mehr so lange aushalten."

Retro-Trend

Das Kaufargument für ein Tamagotchi sei heute ein komplett anderes als vor 20 Jahren, glaubt Ölsböck – eher "ein romantischer Blick zurück in die coolen Neunziger" als die Faszination für ein virtuelles Geschöpf, das einem Ei entschlüpft und gepflegt werden möchte. Der Retro-Flair zog schließlich schon beim Kult-Handy Nokia 3310, das im Mai diesen Jahres neu aufgelegt wurde und nach wenigen Tagen vergriffen war.

Ähnlich wie beim Trend-Spielzeug des vergangenen Sommers – dem Fidget Spinner – oder der Pokémon-Go-Hysterie vor einem Jahr klang der Hype ums Tamagotchi nach der Markteinführung im Jahr 1997 relativ rasch ab. Trotz Versuchen der Herstellerfirma, das Spielzeug-Ei zu modernisieren, verschwand es in den Nullerjahren komplett von der Bildfläche. Die Idee einer virtuellen Welt lebte in Computerspielen wie "Sims" oder "Farmville" weiter. Apropos: Jene, die das Ei nicht mehr mit sich herumtragen möchten, können sich die offizielle Tamagotchi-App herunterladen – auf das Smartphone.

Game Boy Die erste mobile Spielkonsole der Firma Nintendo wurde 1989 erstmals vorgestellt und weltweit ca. 120 Millionen Mal verkauft. Am Anfang war der Game Boy übrigens nur mit einem Spiel erhältlich: Tetris.

Polly Pocket Bereits Anfang der Achtziger entwarf ein britischer Designer die Miniatur-Puppenstube für seine Tochter – zehn Jahre später übernahm eine Spielzeugfirma das Konzept und machte die bunten Plastikdosen zum Spielzeugtraum einer ganzen Mädchengeneration. Heute werden sie im Internet als Sammlerstücke verkauft.

Pokémon-Karten 20 Jahre vor Pokémon-Go brach auf den Schulhöfen das Tauschfieber aus. Die Karten basierten auf dem berühmten Videospiel von Nintendo; seltene Exemplare erzielten später hohe Auktionspreise.

Furby Die plüschige Mischung aus Maus, Katze und Eule eroberte in den späten Neunzigern die Kinderzimmer. Furby beherrschte 800 Wörter, reagierte auf Streicheleinheiten und wackelte mit den Ohren. Die bis dato letzte Generation – mit App – kam 2013 auf den Markt.


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