Die Kunst, sich auszuziehen

Ruhe vor dem Sturm: Boylesque-Tänzer Jacques Patriaque
Beim Boylesque-Festival entledigen sich Männer ihrer Kleidung – und hinterfragen Geschlechterrollen.

Seit sich Dita von Teese mit bunten Nippelquasten in einem übergroßen Martiniglas rekelte, weiß man, was Burlesque ist: die kunstvolle Art, sich auszuziehen, ohne am Ende komplett nackt auf der Bühne zu stehen. Auch wenn schlussendlich nur ein knappes Höschen und Nippelschmuck überbleiben.

Den "kleinen Bruder" des erotischen Tanzes kennen nur wenige – Jacques Patriaque möchte das ändern. Zum dritten Mal veranstaltet er heuer das "Vienna Boylesque Festival" (ab heute im Wiener Stadtsaal, siehe unten), bei dem nationale und internationale Künstler in aufregenden Kostümen ihre Hüften schwingen und die Zuseher in vergangene Zeiten versetzen sollen. Boylesque, das ist Burlesque mit männlichen Tänzern – "männliche Nackerpatzln", lacht Patriaque. Er ist der einzige Boylesque-Tänzer Österreichs. Noch. Denn die Szene wächst, berichtet der 36-Jährige. "Das Mekka des Boylesque sind die USA, aber der Trend kommt langsam nach Europa."

Die Kunst, sich auszuziehen
Boylesque
Die Kunst, sich auszuziehen
Jacques Patriaque

Auch Heterosexuelle

Für das dreitägige Spektakel, von Gery Keszler einst als "Mini-Life-Ball" tituliert, castete Patriaque mehr als 200 Bewerber, darunter "sehr viele Männer. Das war früher anders". Mit einem weit verbreiteten Klischee möchte der Wiener aufräumen: "Nicht alle Boylesque-Tänzer sind schwul. Boylesque passiert unabhängig von der sexuellen Orientierung." Inzwischen gebe es auch viele heterosexuelle Männer, die mit ihrer Sexualität, ihren Reizen spielen wollen. "Es geht darum, über den persönlichen Tellerrand zu blicken und mit stigmatisierten Geschlechterrollen zu spielen." Der Song-Contest-Sieg von Conchita habe dem Thema einen enormen Auftrieb gegeben.

Klischees hinterfragen

Apropos Conchita: Mit Tom Neuwirth ist Patriaque eng befreundet, vor einigen Jahren gaben sie einander medienwirksam das Jawort – allerdings nur als ihre Alter Egos Jacques und Conchita. Die Verwandlung ist bei Patriaque, der mittlerweile von all seinen Freunden mit seinem Künstlernamen angesprochen wird, nicht so extrem wie bei der bärtigen Sängerin: 40 Minuten braucht er für Haare und Make-up, bevor er auf die Bühne geht.

Die Kunst, sich auszuziehen
Boylesque

"Ich liebe aufwendige Kostüme und Requisiten, den Überraschungseffekt", schwärmt Patriaque. Darauf achtet er auch, wenn er Künstler für sein Festival auswählt. "Es geht nicht um den perfekten Körper. Wichtig ist, dass jemand Emotionen hervorrufen kann. Das merke ich in den ersten Sekunden." Er selbst wird heuer eine Nummer namens "Water Orgasm" aufführen: Autowaschen im goldenen Jumpsuit, wie man es sonst von drallen Hollywood-Blondinen gewöhnt ist. "Ich möchte Klischees hinterfragen."

Und wie reagieren die Wiener auf das schrille Fest? "Unser Publikum ist bunt gemischt", erzählt Patriaque. "Wien ist zwar weltoffen, aber doch konservativ. Nach dem Motto: ‚Was der Wiener nicht kennt, frisst er nicht.‘ Die Leute müssen erst einmal erfahren, dass es so etwas gibt." Für die Horizonterweiterung ist es übrigens nie zu spät: Der älteste Festival-Besucher war 92 Jahre alt.

Hommage an das Kaffeehaus

Das dritte Vienna Boylesque Festival steht unter dem Motto "Café Boylesque – Sissy Boys & Tom Girls". Am Mittwoch, 18. Mai, und Freitag, 20. Mai., um 19 Uhr treten im Wiener Stadtsaal (Mariahilfer Straße 81, 1060 Wien) verschiedene Burlesque- und Boylesque-Künstler auf. Anschließend finden After-Show-Partys statt. Am Donnerstag, 19. Mai, werden Workshops zum Thema angeboten. Infos & Tickets: www.viennaboylesquefestival.com

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