"Wir müssen alle menschlicher werden"

Dompfarrer Toni Faber entzündet die vierte Kerze am Adventkranz im Wiener Stephansdom
Toni Faber über den Sinn der Weihnacht und warum er Klagen über Hektik nicht mehr hören kann.

Mit 300 Obdachlosen feiert der Dompfarrer heute im Pfarrheim am Stephansplatz eine "Weihnacht der Einsamen", bevor er die Mitternachtsmette im Stephansdom hält. Eine Bescherung mit der Familie - Faber hat drei Neffen, mit denen er am Samstag noch Geschenke kaufte - wird es für ihn erst am 27. Dezember geben.

KURIER: Was ist das Geheimnis von Weihnachten?

Toni Faber: Dass Gott Mensch geworden ist – als Geschenk für jeden von uns. Als Antwort darf ich einen Schritt auf ihn zugehen. In erster Linie sollten wir nicht nur frommer werden, sondern vor allem menschlicher. Wenn die menschliche Würde so hoch geworden ist, dass Gott selbst Mensch geworden ist, müssen wir einander auch auf Augenhöhe begegnen – wachsam und aufmerksam, und einander Liebe und Hingabe schenken.

Eine Thematik, die aktueller ist denn je. 2014 war ein Jahr der Kriege und Konflikte.

Ja, ganz schrecklich. Herbergsuche passiert heute tausendfach. Gott sei Dank hat sich in Österreich schon ein bisschen was bewegt. Das Allerwichtigste ist aber, dass jeder für sich selbst beginnt. Nicht jeder wird die Möglichkeit haben, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen, aber jeder kann entscheiden, mit welcher Haltung er diesen Menschen begegnet, mit welcher Klarheit er auftritt, wenn andere schlecht darüber reden. Wer versucht, einen Menschen zu retten, rettet die ganze Welt.

"Wir müssen alle menschlicher werden"
Dompfarrer Toni Faber im Wiener Stephansdom am 18.12.2014.

Viele haben das Gefühl, dass man als Einzelperson ohnehin nichts tun kann.

Oft reden wir uns in eine Ohnmacht hinein. Ich muss ganz konkret mit meinem Nächsten beginnen. Es wäre toll, wenn nicht nur Obama und Castro einen Schritt aufeinander zugehen, sondern man selbst eine Versöhnung zulässt – wenn Weihnachten in einer Situation Frieden stiften könnte. Ich selber habe zwei Patenkinder, in Addis Abeba und Kalkutta. Das sind kleine Schritte, aber für diese Kinder ist es ein Schritt in ein neues Leben.

Viele Menschen feiern, obwohl sie nicht gläubig sind. Stört Sie das?

Ich schimpfe niemanden, der Weihnachten feiert. Dieses Fest ist so faszinierend, dass sich auch Ungläubige für das Programm Gottes interessieren. Sie finden es humanistisch nachvollziehbar, auch wenn sie die Gottesgestalt nicht so deutlich sehen. Wenn man einander beschenkt, sich Zeit nimmt, den Alltag unterbricht, dann ist das ein guter Anknüpfungspunkt, um zum Sinn seines Lebens zu finden.

Gerade in dieser besinnlichen Zeit klagen viele über Stress.

Ja, es gibt viele Termine, aber ich kann es gar nicht mehr hören, wenn die Leute sagen: Jessas, das ist so arg, ich hetze von Besinnung zu Besinnung. Weihnachtsfeiern sind ja eine tolle Gelegenheit, Menschen kennenzulernen und von diesen Begegnungen beschenkt zu werden. Es soll uns nichts Schlimmeres passieren als viele Feiern. Wir sollten froh sein, dass wir neben all dem Leid in der Welt noch Grund zu feiern haben.

Advent Jedes Fest bedarf einer Vorbereitung, sonst ist man nicht in der richtigen Stimmung. Wenn Gott kommt, soll er uns bereit und wach finden. Es tut gut, früher aufzustehen, eine Kerze anzuzünden, sich zu besinnen. Der Advent ist eine Möglichkeit der göttlichen Navigation, damit ich das Ziel meines Lebens nicht verfehle.

Weihnachten Die Nacht ist für uns Angst einflößend, eine Bedrängnis. Wenn in dieser unsicheren Nacht ein neues Licht aufleuchtet, ist es eine geweihte Nacht. Deswegen auch die Christmette: Mitten in der Nacht wird ganz bewusst ein Punkt gesetzt und gefeiert. Die Dunkelheit soll durchwirkt werden, von dem Licht, von einem Neuanfang.

Christbaum Nicht einmal 200 Jahre alt ist diese Tradition, die wie der Adventkranz aus dem Evangelischen kommt: die grüne Pflanze, die auch im Winter nicht das Kleid fallen lässt, die Hoffnung gibt. Die Kerzen sind ein Zeichen dafür, dass auch dann ein Licht leuchten kann, wenn manches dunkel scheint.

Geschenke Ein passendes Präsent oder ein gutes Festessen sind immer Ausdruck dafür, dass ich mich von Gott beschenkt weiß und aus dieser Freude selbst schenke.

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