"Terror"-Entscheidung: Das sagen Juristen und Philosophen

Kampfpilot Lars Koch (Florian David Fitz) steht vor Gericht.
In Deutschland wäre das Vorgehen des Piloten im Stück von Schirach nicht zulässig, glauben die Juristen. In Österreich wohl auch.

Je realer ein Szenario, desto faszinierender ist es. Auch wenn " Terror" eine erfundene Geschichte erzählt, wirkt sie nahe: Militärpilot schießt gekapertes Flugzeug ab, tötet Menschen, um andere zu retten, steht dafür vor Gericht.

Ein Verfahren, das sich Rechtsanwalt Dominik Leiter auch in der Realität vorstellen kann: "Wobei die Frage ist, vor welchem Gericht sich das abspielen würde. Geht es um die strafrechtliche Thematik oder darum, dass die Hinterbliebenen zivilrechtlich Geld fordern." Viel Schmerzensgeld wäre beim Einzelnen nicht zu holen, da würde man wohl das Bundesheer, also die Republik klagen. Leiter, Partner der Kanzlei bpv Hügel: "Der Pilot ist wahrscheinlich nur dem Bundesheer gegenüber haftbar. Da ist die Frage, ob der Bund entsprechende Maßnahmen getroffen hat, um den Abschuss zu verhindern."Aus seiner Sicht wäre das "Institut des entschuldigenden Notstandes" die richtige Verteidigung. Der Pilot schützt die 70.000 im Stadion vor dem Tod. "Entscheidend ist, dass es sich um gleichwertige Rechtsgüter handelt, nämlich das Leben. Und um die Frage, ob der Pilot wie ein vernünftiger Menschen im Rahmen der Umstände nachvollziehbar gehandelt hat."

Über dem konkreten Verfahren steht jedoch die Frage, ob es überhaupt eine Bemächtigung dafür geben kann, eine kleine Gruppe abzuschießen, um eine große zu retten. Gerhard Luf ist emeritierter Professor für Rechtsphilosophie an der Uni Wien: "Es geht nicht um Freispruch oder Schuld. Kann man eine solche Regel überhaupt aufstellen?" Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat es getan: "Demnach ist dieses Vorgehen nicht zulässig. Weil grundsätzlich die Würde des Menschen zu schützen ist." Diese Würde wäre für die 164 Passagiere das Leben und ist der oberste Wertungsgrundsatz. "Die deutsche Tradition folgt einem kantischen Ansatz (Anm.: Immanuel Kant, dt. Philosoph im 18. Jhdt.): Man darf den Menschen nicht zur bloßen Sache machen."

Österreich: offen

Ob die österreichische Verfassung überhaupt zulässt, dem Militär eine solche Abschussbefugnis einzuräumen, ist für Anwalt Leiter offen: "Es gibt dazu die Diskussion, wie das zu beurteilen wäre. Ich schließe mich der Meinung an, dass man den Abschuss nicht genehmigen dürfte." Aus ähnlichen Gründen wie in Deutschland.

Die Opferzahl wäre dabei nicht von Bedeutung: "Eine Abwägung der Zahl an Opfern ist schwierig und wäre wahrscheinlich nicht rechtszulässig." Nachsatz: "Als Verteidiger wäre aber meine Hoffnung, dass Geschworene die Zahlen abwägen würden."

Bleibt die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen – für den Rechtsphilosophen ein unlösbares Dilemma. Luf: "Das Individuum kann die tragische Entscheidung aus philosophischer Sicht nicht treffen. Aber wenn ich den Würdebegriff so sehe wie das Verfassungsgericht, lässt sich das moralisch nicht legitimieren." Man kenne in der Philosophie solche aporetischen – ausweglosen – Fragen, etwa das Beispiel der Schiffbrüchigen: Fünf springen in ein Boot, das aber nur vier tragen kann. Wen wirft man über Bord?Luf sieht bei solchen Fragen den Utilitarismus im Vormarsch, also die Abwägung nach Nützlichkeit. "Im Fall des Piloten verlangt das utilitaristische Kalkül eine Minimierung des Unglücks. Wenn ich die unbedingte Menschenwürde vertrete, kann ich dem aber nicht folgen. Trotzdem ist sichtbar, dass das Prinzip, Dinge verhandelbar zu machen, in der Gesellschaft stärker wird." In den USA etwa sei der Utilitarismus von der ethischen Tradition her ausgeprägter. "Dort würde man den Piloten sicher mehrheitlich als unschuldig betrachten." Und als Helden.

Ein Menschenleben opfern, um andere zu retten – ein ethisch-moralisches Dilemma, das schon viele Philosophen beschäftigt hat. Allen voran Philippa Foot. Die Britin skizzierte 1967 das bekannteste Gedankenexperiment, das „Trolley-Problem“:

Trolley ist der englische Name für Straßenbahn. In Foots Gedanken gerät diese außer Kontrolle und droht, fünf Menschen zu überfahren. Durch Umstellen einer Weiche kann die Straßenbahn auf ein anderes Gleis umgeleitet werden. Dort befindet sich aber eine weitere Person. Die Frage lautet: „Entscheiden Sie sich, die Weiche umzulegen, oder unterlassen Sie es, zu handeln?“ Claus Lamm, Neurowissenschaftler und Psychologe an der Universität Wien, hat sich mit diesem Experiment befasst. Hier würden zwei Grundpositionen aufeinandertreffen: „Aus utilitaristischer Sicht soll man so handeln, dass es möglichst wenig Leid gibt. Ein Utilitarist würde also die Weiche stellen, weil statt fünf Menschen nur einer getötet wird.“

Pflichtethik

Ein deontologischer Ethiker (= Pflichtethik) hingegen hält sich strikt an seine Grundregeln, etwa nicht zu töten. Ganz egal, welche Konsequenzen das hat, erklärt Lamm. „Darum könnte er sich auf den Standpunkt stellen: Wenn ich die Weiche umstelle, töte ich die Person am Nebengleis aktiv. Das widerspricht der Regel: Du sollst nicht töten.“

Da es ein moralisches Dilemma ist, gibt es keine richtige oder falsche Antwort: „Ganz egal, was man tut, es wird negative und positive Konsequenzen haben.“
Noch schwieriger wird es, wenn man sich mit der erweiterten Version des Gedankenexperiments befasst: Das Problem mit dem entgleisten Zug bleibt dasselbe, aber über die Gleise führt eine Brücke, auf der ein Fußgänger geht, der heruntergestoßen werden kann, um den Zug zu stoppen. Leider stirbt der Mann dabei. Bei Abstimmungen zeigte sich, dass 70 bis 80 Prozent der Menschen jene Variante bevorzugen, bei der sie die Weiche umstellen. Nur 25 bis 30 Prozent würden aktiv eine Person auf die Gleise stoßen und damit töten, obwohl die Konsequenz am Ende gleich ist: Eine Person stirbt, fünf andere leben weiter.

Was für die Menschen den Unterschied macht: „Jemanden hinunterzustoßen ist eine direkte Interaktion, das hat für sie einen größeren Effekt, als abstrakt einen Knopf zu drücken oder eine Weiche umzulegen.“

Ähnliche ethisch-moralische Dilemma spielen sich auch im echten Leben ab. Claus Lamm nennt die Rettungsaktionen im Mittelmeer als Beispiel. „Die Crew bekommt einen Notruf: ein Boot ist gesunken, mehr als 2000 Menschen sind im Wasser. Allerdings ist der Seegang gerade besonders hoch und es besteht die Gefahr, dass auch das Rettungsboot kentert. Nun muss entschieden werden, welches Risiko sie eingehen wollen. Entweder auf Kosten der Mannschaft aufs Meer hinausfahren und sie auch in Gefahr bringen, oder das Leid von einer anderen Personengruppe reduzieren.“

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