Warum arme Kinder arm bleiben

Kinderarmut in Österreich: Keine Randerscheinung mehr
Jedes vierte Kind wächst in einer sozial schwachen Familie auf – ohne Chancen auf Verbesserung.

Armut – das war in den 1980er-Jahren ein Randgruppen-Thema. "Heute ist sie mitten in der Gesellschaft angekommen", stellt Erich Fenninger von der Volkshilfe fest. Denn: "Jeder vierte junge Mensch unter 20 Jahren ist in Österreich arm oder armutsgefährdet."

Als sozial schwach gilt in Österreich zum Beispiel eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern, wenn sie weniger als 2.440 Euro monatlich zur Verfügung hat, Sozialleistungen wie Familienbeihilfe inbegriffen. Mit nur einem Gehalt geht sich das in Österreich selten aus. Eine Alleinerziehende mit einem Kind gilt als arm, wenn sie weniger als 1510 Euro im Monat auf dem Konto hat.

Dass sich Armut auf viele Lebensbereiche auswirkt, wissen nicht nur die Experten – auch die Österreicher selbst sind sich des Problems bewusst, wie das aktuelle Sozialbarometer zeigt (s. Grafik).

Schlechter Start

Besonders benachteiligt sind Kinder aus sozial schwachen Familien bei der Bildung. Das fängt schon lange vor der Schule an, betont Fenninger: "Ein neues Screening aus Deutschland, das am ersten Schultag durchgeführt wurde, hat das erschreckend deutlich gemacht. Mehr als 40 Prozent dieser Kinder haben einen geringeren Wortschatz und drücken sich schlechter aus als Gleichaltrige. Ein Drittel hat beim Erfassen von Mengen große Schwierigkeiten. Und jedes vierte Kind hat Probleme bei der Visomotorik – also dem Zusammenspiel von Augen und Händen bzw. Beinen."

Diesen Startnachteil machen die Kinder im Laufe ihres Lebens nur in Ausnahmefällen wieder wett. Im Gegenteil: "Die Schule ist ein System, das sozial schwache Kinder ausschließt, weil sich die Familien z.B. Sprachreisen nicht leisten können", kritisiert Fenninger. Seine Forderung deshalb: "Für diese jungen Menschen müssen diese Aktivitäten gratis sein. Zudem muss die Mindestsicherung erhöht werden." Eine Investition, die sich langfristig lohne, denn: "Wer eine gute Schulbildung hat, wird seltener arbeitslos und zahlt als Erwachsener mehr Steuern und Sozialabgaben."

Es geht aber nicht nur ums Geld, sondern auch um die Pädagogik: "Diese jungen Menschen bekommen in der Schule zu oft vor Augen geführt, wo ihre Defizite sind. Das schwächt das Selbstwertgefühl und führt dazu, dass ihre schulischen Leistungen noch schlechter werden."

Kein Wunder also, dass mehr als die Hälfte der Kinder aus armen Familien in die Hauptschule bzw. NMS wechseln, während es bei Familien mit hohem Einkommen nur jedes fünfte Kind ist. Überhaupt sei die Chance auf einen Aufstieg durch Bildung heute weitaus geringer als noch in den 1980er-Jahren.

Mehr Unfälle

Wer arm ist, ist auch häufiger krank und stirbt früher, was mit der schlechteren Ernährung und wohl auch mit der Wohnsituation zu tun hat. Wer beengt wohnt, bewegt sich weniger, weshalb diese Kinder oft ungeschickter sind. Was dazu führt, dass sie häufiger verunfallen, als ihre wohlhabenden Altersgenossen. Und sie haben häufiger psychische Probleme: 23 Prozent der "armen" Kinder sind davon betroffen, während es bei den "reichen" nur acht Prozent sind – diese leiden meist an zu hohen Erwartungen der Eltern.

Die Zusammenhänge zwischen Armut und sozialer Ausgrenzung sind übrigens jenen Österreichern besonders bewusst, die sozial schwache Familien persönlich kennen. Dass sich nur fünf Prozent der Österreicher selbst als arm bezeichnen, hängt laut Fenninger mit dem Bild von Armut zusammen, das viele haben: "Die denken an Obdachlose oder Kinder in Afrika, die kaum das Nötigste zum Überleben hat." Armut in westlichen Ländern bedeute hingegen, nicht an der Gesellschaft teilhaben zu können – etwa, wenn ein Kind keine Freunde einladen kann, weil die Wohnung so eng ist. Oder dass ein niederösterreichischer Jugendlicher noch nie in Wien war, weil sich Eltern das nicht leisten können.

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