"Ich bin dann mal weg!"
Mit ziemlicher Sicherheit hatte Benjamin Franklin keine Ahnung, welche Bedeutung sein Bonmot aus seinem Buch "Ratschläge für junge Kaufleute" in ferner Zeit haben würde: "Time is money" – Zeit ist Geld. Im Jahr 1748 ein guter Rat, 2014 Slogan, Dogma, Doktrin – Symbol für Non-stop-Produktivität und Ökonomie. Und Erinnerung daran, dass jeder Müßiggänger nicht nur Minuten, sondern Moneten verliert.
Doch nicht nur deshalb wird es immer schwieriger für Menschen, zu rasten und runterzukommen – oder einfach nur "bei sich zu sein". Eine Tyrannei des Tuns hat die Kunst des Entspannens und Faulenzens verdrängt. Sogar im Urlaub. Denn längst sind Reizüberflutung, Gleichzeitigkeit im "Work around the Clock"-Modus selbstverständliche Ingredienzien des Seins. Die legt man nicht mit Stunde null an Urlaubstag Nummer eins ab. Und auch nicht nach vier Tagen. Die Kunst des Abschaltens und Entschleunigens braucht Geduld – und Hingabe.
Augenblicke auskosten
Selbst entdecken
Burn-out-Experten zeichnen rund um den modernen Typus des Überforderten das Bild des "verlorenen Selbst": Diese Menschen haben verlernt, ihre ureigenen Bedürfnisse zu spüren – bis hin zur totalen Verleugnung. Meist hat dies Verausgabung zur Folge – multipliziert durch die permanente Reizüberflutung als Resultat von Immer-Erreichbarkeit via Smartphone, Tablet oder Laptop. Ferien sind eine gute Gelegenheit, sich diesen fehlenden Anteil wieder zurückzuholen. Dafür braucht es vor allem eines: Zeit.
"Ein Urlaub, mit dem wir unser verlorenes Selbst wiederentdecken und stärken können, sollte erfahrungsgemäß zwei bis drei Wochen dauern. Kürzere Zeiten haben nur sehr geringen Erholungswert", sagt Remmel. Er erklärt dies mit den verschiedenen Erholungsphasen. Phase eins gilt als Phase des Ausruhens: Das Lösen von Anstrengung, Schnelligkeit, Multitasking, das Finden des eigenen Takts. In der Entdeckungsphase darf der Erholungssuchende neugierig sein – auf das, was er schon lange nicht mehr gemacht hat. Spielen, lesen, Musik hören, tanzen, Kulturerlebnisse oder einfach nur in einem Café sitzen oder im Gras liegen.
In Phase drei, der Aktivphase, geht es nicht darum, möglichst viel zu tun, sondern positive körperliche Erfahrungen und ganzheitliche Erlebnisse zu haben – an die man sich noch Wochen oder Monate später erinnert. Beispiele: eine Strandwanderung, Sonnenuntergänge am Meer, Rudern, Jausnen auf der Almhütte, ein Gipfelweg.
"Der Verzicht auf ein Handy, Tablet – die Verbindung ,nach außen‘ via Internet oder Nachrichten – kann diese sinnlichen Erfahrungen intensivieren", ist Remmel überzeugt. Der komplette Verzicht sei allerdings eine große Herausforderung und daher zusätzliche Stress- bzw. Spannungsquelle. Hilfreicher sei es, eine andere Form des Umgangs (siehe Tipps) zu finden. Ein weitere wichtige Zutat für einen erholsamen Urlaub sei "eigenleibliches Spüren" – in Form sinnlicher Erlebnisse: "Sehen, riechen, schmecken, hören, tasten – all das lässt Wachheit, Genuss, Zufriedenheit spüren. Und Glück."
Schon bisher bemühte er sich in den Ferien, nicht ständig online zu sein: "Im Urlaub habe ich nur alle paar Stunden eMail, SMS und Telefonanrufe angeschaut und dann bearbeitet. Aber das dauert immer länger, als man möchte."
Jetzt übernimmt für zwei Wochen seine Assistentin das Telefon und bearbeitet seine eMails. "Wenn etwas sehr wichtig ist, wird sich mein Büro-Partner darum kümmern", so sein Plan. Für absolute Notfälle hat die Mitarbeiterin die Handynummer seiner Lebensgefährtin. "Wären meine Kinder nicht mit mir im Urlaub, würde ich das Handy nicht zu Hause lassen, sondern müsste erreichbar sein", schränkt er ein.
Tempo reduzieren
Erst ein Mal in seinem Berufsleben war Plötzeneder eine Woche lang nicht erreichbar: "1997 war ich in Marokko zum Trekking und dort gab es keinen Empfang. Aber das war lange vor den Smartphones, als man ein eMail nicht sofort beantworten musste. Da ging das noch." Heute sei das Tempo ganz anders, da gebe es wenig Spielraum für Verzögerungen. Geschäftspartner erwarten schnelle Rückmeldungen, sogar im Urlaub. Er sei "ein totaler Befürworter von Ruhezonen", sagt der Dienstleister, der im Alltag nonstop verfügbar ist. Es gehe dabei nicht nur um die individuelle Entscheidung eines Menschen: "Es hat einen ganz anderen Entspannungsfaktor, ob Sonntag ist oder ob man an einem Mittwoch frei hat." Für ihn auch ein Grund, an der "jüdisch-christlichen Tradition eines arbeitsfreien Tages für alle" festzuhalten.
Wie seine Kunden reagieren werden, wenn er sie über seine Online-Auszeit informiert? "Da bin ich auch schon neugierig", lacht er. "Ich denke, sie werden es gut finden. Aber wenn bei ihnen eine Krise ausbricht, wollen sie mich wahrscheinlich trotzdem anrufen." Warum reist er gerade jetzt offline? Plötzeneder: "Diese Auszeit schenke ich mir zum 50. Geburtstag."
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