Über die hohe Kunst des Small Talk
Verloren im Small-Talk-Dschungel – überhaupt in der Ballsaison. Nicht alle Menschen fallen als Plauderwastel vom Himmel direkt ins Partyleben. Konversation ist glattes Parkett. Doch das gehaltvolle Plauschen kann gelernt werden. Der Small Talk hat jede Menge Potenzial – als Brückenbauer mit beachtlichem Tiefgang. Im KURIER-Interview spricht Regina Jankowitsch, Buchautorin und Mediencoach, über die hohe Kunst des "kleinen Gesprächs".
KURIER: Er hat keinen allzu guten Ruf, aber viele brauchen ihn. Was verstehen Sie denn unter Small Talk?
Regina Jankowitsch: Für mich ist das Wort "Small Talk" der falsche Begriff. Es sollte vielmehr "Get-in-Touch-Talk" heißen. Das ist kurzes Austauschen, Kennenlernen, in Kontakt kommen. 10 bis 15 min, nicht länger – egal, auf welcher Veranstaltung. Warum es besser ein "Get-in-Touch-Talk" sein sollte? Weil alle Leute viel mehr davon haben und diese Art von Gespräch damit aus dem negativen Eck herauskommt.
Und warum steht er dort?
Geht’s auch anders?
Egal, ob Party, Ball oder Konferenz – der "Get-in-Touch-Talk" kann sehr charmant sein und unglaublich Spaß machen. Weil er die Möglichkeit gibt, neue Leute kennenzulernen. Dafür braucht’s nicht viel.
Sie sagen, dass jeder Mensch die Kunst des "Get-in-Touch-Talks" lernen kann.
Davon bin ich überzeugt.
Gibt es Themen, die besonders interessieren und funktionieren?
Alles, was die Veranstaltung, auf der man die Person trifft, anbelangt. Der Gastgeber/Veranstalter selbst, das Programm, das Essen sind immer gute Themen. Sowie: Was beschäftigt Sie gerade? Hier ergibt sich die Möglichkeit, etwas über sich zu erzählen, ohne ins Expertentum zu fallen. So kann ein Gespräch zustande kommen.
Beim Ball ein Kleid?
Absolut. Überhaupt von Frau zu Frau sind Komplimente immer das Gelbe vom Ei. Um authentisch zu wirken, sollte man aber mit seinem Kompliment in die Tiefe gehen, also nicht zu allgemein bleiben, sondern spezifisch, etwa: "Die Farbe Ihres Kleides ist besonders schön."
Was wären Themen, die sympathisch und echt wirken lassen?
Es oft gut, wenn man von sich etwas erzählt, was nicht so super ist. Wenn es etwas gibt, das eine Person nicht nur im Sonnenschein dastehen lässt – ein Stück Verletzlichkeit –, dann gibt das dem Gegenüber mehr Chance, auch etwas von sich zu erzählen, was für sie schwierig, kränkend oder verletzend war. Das ist keine Garantie, aber es öffnet.
Soll man als Fremder auf jemanden Fremden einfach zugehen?
Ja, das übe ich mit meinen Klienten sogar. Denn die meisten Menschen, die irgendwo alleine sind, freuen sich, wenn man zu ihnen kommt. Daher geht man einfach hin und fragt: "Entschuldigen Sie, darf ich mich zu Ihnen stellen?" So einfach ist das.
Und da bekommt man so gut wie nie ein Nein?
Kaum. Und falls wirklich, dann hat das sicher nichts mit Ihnen zu tun, sondern mit der anderen Person.
Erleichternd. Und was, wenn da eine Grüppchen steht, das sich offensichtlich bestens unterhält? Ich kann mich da wohl schlecht reindrängeln und sagen: Huhu, da bin ich?
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn die Gruppe in ein Gespräch vertieft ist, hilft es, freundlich um Erlaubnis zu fragen, ob man sich dazustellen darf. Oft lässt sich das aus der Entfernung ja gar nicht so erkennen. Manchmal reden die nur Quatsch und freuen sich, wenn da jemand Neuer kommt.
Und wenn die womöglich gerade was reden, was kein anderer hören soll, peinlich ...
Wir neigen sehr dazu, uns Dinge einzureden. Nach dem Motto: Die werden nicht heiß darauf sein, dass ich mich jetzt dazustelle. Wer sagt das, bitte? So lange man sympathisch und halbwegs freundlich hingeht und fragt, ist das nicht aufdringlich. Das wäre es, würde man sofort das Wort ergreifen. Hier muss man sich erst langsam integrieren – wie beim Zubereiten eines Teigs ist das. Zutaten langsam vermischen oder vorsichtig Schnee unterheben.
Man sollte sich ja mal von außen beim Small Talk beobachten können, das wäre vermutlich komisch.
Es ist interessant zu wissen, wie man wirkt. Ich mache gerne Übungen mit Kamera. Etwa: Erklären Sie mir in 10 Minuten, wer Sie sind und was Sie den Menschen Gutes tun. Da wird schön sichtbar, wie man agiert. Und sieht auch, dass man besser ist, als vielleicht vermutet. Und sympathischer.
Unangenehm ist, wenn beim Smalltalken der Faden verloren geht – verbunden mit der inneren Frage: Äh, was jetzt?
Am besten, Sie fragen dann etwas. Ein Satz mit einem Punkt ist immer schwieriger – denn was soll der andere darauf erwidern, außer vielleicht: aha? Die Wahrscheinlichkeit, dass vom Visavis etwas Befruchtendes kommt, ist geringer als im Falle einer offenen Frage. Weil da kann der andere erzählen – und alles kommt wieder in Fluss.
Apropos Fluss: Was hilft bei Gesprächspartnern, die nur von und über sich erzählen – womöglich ohne Punkt und Komma?
Zwei Möglichkeiten: Wenn das ein beruflicher Kontakt ist, ist das eher egal. Ergibt sich damit ein Geschäftskontakt, soll es so sein. Das muss man aushalten. Im Privatfall wird man sich dann irgendwann einmal verabschieden. Das Wichtige beim Small Talk ist ja – egal, ob das die Party ist oder der große Ball –, dass man nicht die ganze Zeit bei einer Person bleibt, sondern springt. Das kann man auch bei einem Alleinunterhalter tun.
Zuhören will wohl auch gelernt sein ...
Selbstverständlich. Gutes Reden mit jemandem – auch Wildfremden – bedeutet, dass man ganz genau zuhören können muss. Das geht nur, wenn ich mich auf das Gegenüber konzentriere und so gut zuhöre, dass mit dem Gesagten das Gespräch weitergesponnen werden kann. Da lässt sich viel machen – etwa mit der Tonlage. Oder auf der nonverbalen Spur, wo man gut hinsehen sollte. Das muss man beobachten. Ein Seufzer des anderen kann eine Botschaft sein. Das kann man negieren oder aber aufgreifen.
Wie wird man denn beim Smalltalken authentisch?
Hier beginnt die Kunst. Der Talk mit jemandem Fremden wird zu etwas Wertvollem, wenn man den Eindruck hat, da hört mir jemand zu. Damit sind wir dann auch schon bei der Authentizität. Authentisch sein heißt: Bei sich sein. Und bei sich sein heißt wiederum, dass ich mich voll und ganz auf die Person konzentriere, mit der ich es zu tun habe. Ich schaue dann nicht dauernd links und rechts, ob der Maxi, die Susi oder Graf Bumsti auch im Raum sind, weil ich mit denen auch noch unbedingt reden muss.
Genau das kommt so oft vor.
Stimmt. Den meisten Menschen ist dieses Verhalten allerdings nicht bewusst.
Wie sehr ist denn die Frage "Wie geht’s?" erlaubt?
Die könnte an sich brillant sein, wenn die Menschen auf das, was andere antworten, wirklich reagieren würden. Ein Beispiel: Wenn man sagt "Wie geht’s?" und jemand sagt "ganz gut", dann heißt das, es ist okay, aber nicht super. Hier könnte man nachhaken, da ging es erst richtig los.
Ist da nicht die Gefahr, dass man zu sehr ins Gegenüber eindringt? Es ist ja nur Small Talk!
Es ist die Frage, wie man das sagt, da muss man oft gar keine explizite Frage gestellt werden, eine Andeutung reicht. Aber wenn Sie sagen "Was ist da mit Ihnen los, geht es Ihnen nicht gut?", dann hat das was Eindringliches.
Gibt es Fettnäpfchen?
Klar. Etwa eine Frau zu fragen, ob sie Kinder hat. Das kann ein heikles Thema sein – das verletzt manche nach wie vor. Von Mann zu Frau sind es natürlich aufdringliche Komplimente, die zu stark ins Körperliche hineingehen. Ich bin für Komplimente, aber das tut man einfach nicht.
Da steht man also mit seiner Sektflöte in der Hand und sinniert, ob das Glas und die Situation halb voll oder halb leer sind. Der Small-Talk-Optimist würde sagen: Packen Sie die Gelegenheit beim Schopf und suhlen Sie sich im Meer der Kontaktmöglichkeiten wie Hans im Glück. Plaudernd beseelt. Der Small-Talk-Pessimist signalisiert hingegen nur eines: weg hier!
Schön, wenn ein Mensch als Plauderwastel vom Himmel direkt ins Partyleben fällt, doch für den Rest gilt derweil: Gehaltvolles Plauschen will gelernt sein. Nicht wenige Menschen geraten in akute Krisenstimmung, wenn sie ein unverbindliches Gespräch führen müssen. Dann bleibt der „Geist der Konversation“ knallhart in der Flasche und Krampf macht sich breit.
„Kaltes Wetter, heute...“ Stimmt. „So kalt war es wirklich schon lange nicht mehr.“ Ja stimmt, ist mir noch gar nicht so aufgefallen. Aber ja... sehr lange nicht... „Ob das schon der Klimawandel ist?“ Hm, könnte sein.
Oder: „Schöner Tag, heute“ Stimmt, sehr schöner Tag. „Hm... hoffentlich ist es morgen auch noch so schön.“
Pause. Die pure Qual.
Also schlägt man irgendwann einmal nach, wo es doch heißt, die beiläufige Konversation baue Brücken. Small-Talk-Ratgeber gibt es reichlich – so manche davon mit reichlich platten Tipps. Etwa bei der Frage der absoluten „No-Gos“. Also Themen, die aus Sicht der Small-Talk-Dschungelführer so gar nicht gehen. Und dann steht da: „Vermeiden Sie Gespräche über sexuelle Vorlieben und Praktiken.“
Stattdessen wird angehenden Talk-Helden ans Herz gelegt, nach der aktuellen Urlaubslektüre zu fragen: „Und? Was lesen Sie so im nächsten Sommerurlaub?“ Blöd, wenn das Gegenüber das Lesen von Büchern längst eingestellt hat, weil es zu viel in Facebook small talkt.
Praktisch könnte das dann so aussehen: Im Rahmen eines 40-Minuten-Monologs erfahren Sie nicht nur etwas über die konsumierten Bestseller, sondern zugleich einen erschöpfend umfassenden Urlaubs-Erlebnisaufsatz. Wie genau, hängt davon ab, wem man gegenübersteht.
Typ Held doziert stundenlang über damit verknüpfte Tiefsee-Abenteuer auf einer Segeljacht im südchinesischen Meer.
Typ Anti-Held schildert detailgetreu die Wirkung mieser Muscheln an einem 40 Grad heißen Sommertag auf einer Insel ohne ärztliche Versorgung.
Typ „Um-jeden-Preis-Auffallen“ pfeift hingegen auf sämtliche No-Gos und schwadroniert sabbernd über seine zehnte Swinger-Kreuzfahrt.
Wenig verwunderlich, dass da so manche Small-Talk-Kritiker nicht müde werden zu betonen, wie ätzend das kleine, schmale Gespräch sei.
Ist es das? Natürlich nicht. Gekonnt und richtig gedacht, steht „small“ weder für seicht noch unseriös oder gar überflüssig. Sondern dient als Kulturtechnik der Horizonterweiterung. Und das sogar mit einem gewissen Tiefgang.
Kommentare