Psychologe: Was von modernen Müttern und Vätern erwartet wird

Teamwork ist beim Lernen wichtig.
Ein Gespräch über die Angst vor falschen Entscheidungen, schlechtes Gewissen und kindliche Entwicklung mit Harald Werneck vom Institut für angewandte Psychologie der Universität Wien.

KURIER: Eine Forsa-Studie hat ergeben, dass  für Eltern nicht mehr der Spagat zwischen Job und Familie  den meisten Stress verursacht, sondern  vor allem die hohen Erwartungen an sich selbst. Inwiefern spielt da auch die Angst vor falschen Entscheidungen mit hinein?

Harald Werneck: Von modernen Müttern wird erwartet, dass sie einerseits natürlich ihre Mutterrolle voll und ganz und möglichst perfekt wahrnehmen, andererseits aber auch – zumindest nach einer kurzen „Auszeit“ – sich beruflich etablieren. Von modernen Vätern wird ebenso erwartet, dass sie einerseits die klassische Rolle als Versorger der Familie wahrnehmen können, anderseits aber auch für ihre Kinder präsent und verfügbar sind. Mütter wie Väter neigen dazu, alle diese Erwartungshaltungen zu internalisieren. Gerade wenn es um die Familiengründung und familiäre Werte geht, die in unserer Gesellschaft nach wie vor einen hohen Stellenwert genießen, neigen wir oft zu überhöhten Ansprüchen, auch an uns selbst, und wollen alles möglichst perfekt schaffen. Verstärkt wird dieser Anspruch oft dann, wenn es sich um ein Einzelkind handelt, in welches viele Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen projiziert werden. Gerade dann wollen sich Eltern möglichst keine Fehler erlauben, was die in der Erziehung manchmal nötige Gelassenheit nicht eben erleichtert.

Psychologe: Was von modernen Müttern und Vätern erwartet wird

Harald Werneck

Schule stresst oft Kinder und Eltern gleichermaßen. Das „Gut-Durchbringen“ bestimmt den Alltag. Wie geht man am besten vor?
Ein Patentrezept, wie man Kinder und auch deren Eltern stressfrei durch die Schulzeit bringt, ist leider noch nicht erfunden. Das liegt auch an den höchst unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, wie verschiedene Begabungen, Persönlichkeiten und Temperamente der Kinder, unterschiedliche Erziehungsstile der Eltern, Persönlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer usw. Manche Kinder brauchen und wollen z.B. regelmäßige Erinnerungen und Kontrolle, um ihre Potenziale gut nützen zu können, bei anderen löst dies nur Widerstand und Widerwillen aus. Es muss hier also letztlich wohl individuell in jedem Einzelfall ein gemeinsamer Weg gefunden werden, der für alle zumindest akzeptabel ist. Und manchmal wirkt es vielleicht entlastend für Kinder und Eltern, sich bewusst zu machen, dass es ja angeblich Menschen geben soll, die ihr Leben auch ohne Vorzugszeugnis im Gymnasium gemeistert haben – wie z.B. Albert Einstein, dem sein Klassenlehrer prophezeite, dass nie in seinem Leben etwas Rechtes aus ihm werde …

Auch Freizeitstress – Stichwort Helikopter-Eltern – spielt heute eine große Rolle. Doch Eltern merken mitunter gar nicht, wie gestresst ihre Kinder sind. Was sind Anzeichen?  
Vielfältige Freizeitangebote, diverse Kurse, Vereine, etc. sind als zusätzliche Möglichkeit, individuelle Interessen und Talente zu fördern, natürlich einerseits sehr zu begrüßen, können aber tatsächlich insofern zur Falle werden, als sich Eltern oder auch die Kinder selbst Druck machen, davon Gebrauch machen zu müssen, und nicht erkennen, wann es zu viel des Guten ist.  Woran man sich orientieren kann und sollte, sind Gespräche und Rückmeldungen der Kinder selbst, was ihnen Spaß macht, und auffällige Verhaltensänderungen oder auch psychosomatische Probleme, die häufig auf Überforderungen hindeuten.

Im schlimmsten Fall kann ein hoher Erwartungsdruck traumatisch werden und zu Ängsten, Depressionen oder Burn-out bei Kindern und  Eltern führen. Wie können Eltern  den Umgang mit ihren Kindern entstressen?
Patentrezepte wären unseriös. Aber Prinzipien könnten sein: z. B. sich selbst als Elternteil und die Kinder beobachten; hellhörig und offen Alarmsignale wahrnehmen; im Gespräch bleiben, gegebenenfalls Konsequenzen ziehen, Kurse stornieren oder die  Schule wechseln. Und möglichst immer auch ausreichend Zeit einplanen, die eben nicht verplant ist.

Wie können Eltern in dieser Hinsicht mehr Sicherheit gewinnen?
Von Donald Winnocott, einem berühmten britischen Kinderarzt, stammt das Konzept der „good enough mother“, womit er im Wesentlichen meinte, dass es eine gute Entwicklung des Kindes fördert, wenn die Mutter ausreichend auf die Bedürfnisse des Babys eingeht. Wichtig ist es aber, die enge Verbindung zwischen Mutter und Baby sukzessive angemessen aufzulösen – wichtig für eine gute Entwicklung sowohl des Kindes, als auch der Mutter. Die entlastende Botschaft an die Mütter, aber auch an die Väter ist, dass man auch als Elternteil nicht immer perfekt sein muss und es legitim ist, weiterhin auch eigene Bedürfnisse wahrzunehmen.

Haushalt, Job – Eltern haben oft das Gefühl, zu wenig Zeit für die Kinder zu haben, und ein schlechtes Gewissen deshalb. Bedeutet mehr Zeit mehr Qualität?
Ein gewisses Ausmaß an miteinander verbrachter Zeit ist wohl Voraussetzung, um die Zeit auch qualitativ hochwertig zu nützen. Gerade Kinder brauchen oft eine gewisse Zeit, um sich überhaupt einmal zu „öffnen“, bis Dinge zur Sprache kommen, die sie gerade beschäftigen oder die ihnen am Herzen liegen. Es gilt aber nicht automatisch: Je mehr Zeit Eltern mit Kindern verbringen, desto besser für die kindliche Entwicklung. Natürlich kommt es auch darauf an, wie die verfügbare Zeit genützt wird. Je weniger Zeit Eltern für ihre Kinder zur Verfügung haben, desto wichtiger ist es, diese bewusster und kindorientiert zu nützen. Das muss aber nicht die „supercoole Action“, der Ausflug in den Wurstelprater oder ähnliches sein, das kann auch einmal ein gemeinsamer Nachmittag in der Sandkiste sein, wo man sich einfach intensiv und möglichst ungestört dem Kind widmet, mit ihm spielt, plaudert, erzählt oder einfach zuhört.

Entspannen braucht nicht immer viel Zeit. Hier sind einige Tipps für zwischendurch.

  1. Atmen Tief in den Bauch einatmen und etwa doppelt so lange ausatmen, wie man eingeatmet hat. Einige Male wiederholen.
  2. Stress abschütteln Bei Sportlern funktioniert es bestens. Einige Male alle Gliedmaßen und den Körper durchschütteln. Das bringt alle Muskelgruppen in die Entspannung.
  3. Zeitlupe Wenn der Stress wieder einmal besonders groß ist,  für zwei Minuten alle Bewegungen ganz fließend und  langsam ausführen, wie in Zeitlupe.
  4. Gedankenreise Eine entspannte Position einnehmen, die Hände  vor das Gesicht halten und die Augen schließen. Holen Sie sich schöne Bilder aus Ihrer Erinnerung. Von einer Urlaubsreise, netten Menschen oder aus der Natur. Atmen Sie dabei bewusst ein und aus.

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