Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Kokos- statt Kuhmilch, Nüsse statt Getreide, Honig statt Zucker – Essen wie die Steinzeitmenschen boomt.

Müde und kraftlos statt energiegeladen und unternehmungslustig – so fühlte sich Fabian Pimminger immer, wenn er einen Teller Nudeln verdrückt hatte. Das kann’s nicht sein, beschloss der 24-jährige Student und stellte seine Ernährung um. Im Internet stieß er auf einen amerikanischen Paleo-Blog: Essen wie unsere Vorfahren, wie damals im Paläolithikum, vulgo: in der Altsteinzeit. Das sei der Garant für Gesundheit und Fitness. Denn, so die Theorie: Unser genetischer Bauplan ist seit 200.000 Jahren mehr oder weniger unverändert. Wir sind geborene Jäger und Sammler.

Evolutionsmediziner gehen sogar davon aus, dass unser Körper einfach nicht für die moderne Welt und ihre industrialisierte Nahrung gemacht ist. "Das hat sich irgendwie logisch angehört", sagt Pimminger, und so gibt es bei ihm zum Frühstück statt Cornflakes mit Haltbarmilch Nüsse und Früchte mit Kokosmilch oder Spiegelei. In seinem Blog lässt er die Netzwelt an seinen Erkenntnissen und Rezepten teilhaben (aboyfromstoneage.at).

Essen à la Paleo boomt: Artischocke, gefüllt mit Ratatouille und pochiertem Ei oder Steak Tatar vom Grasrind, mit lakto-fermentiertem Gemüse und rohem Wachtelei. Das also sollen unsere Vorfahren gegessen haben. Oder so was in der Art. Zumindest wird das diese Woche im "Sauvage" (Bild unten: der Vorspeisenteller auf Schieferplatte) gereicht.

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Eine Hand hält am Donnerstag (28.07.2011) in Berlin einen Vorspeisenteller, der auf einer Schieferplatte serviert ist. In Berlin Neukölln hat mit dem "Sauvage" (der/die "Wilde") das angeblich erste Restaurant in Europa eröffnet, das ausschließlich Gerichte anbietet, die es von den Zutaten her schon in der Steinzeit gegeben haben könnte. Nur der Kaffe, Elektro-Backofen und das Kochgeschirr sind neuzeitlich. Foto: Tobias Kleinschmidt dpa/lbn (Zu lbn-KORR:"Yabba Dabba Doo! - Essen wie die Flintstones" vom 12.08.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Im ersten Paleo-Restaurant der Welt, in Berlin, griff man bereits 2011 die Idee der Bewegung auf, die sich von Nordamerika aus verbreitet. Dass die Altsteinzeit extrem lange dauerte – von etwa 2,5 Millionen bis 10.000 Jahre vor Christus – macht schon klar, was eines der Hauptprobleme der Lehre ist: Es gibt keine einheitliche Steinzeit-Diät. Zu vielseitig waren damals die Gesellschaften und die klimatischen Bedingungen, die ganz unterschiedliche Lebensmittel hervorbrachten.

Ursprung

Der Begriff "Paleo-Diät" stammt ursprünglich aus den 1980er-Jahren. Die Anthropologen S. Boyd Eaton und Melvin Konner haben ihn geprägt. "In Botswana bei den Kung untersuchten sie, was Jäger und Sammler-Populationen traditionell essen", erzählt Silvia Kirchengast, Anthropologin an der Universität Wien. "Und sie vertraten die Ansicht, dass unser Körper genau darauf ausgerichtet sei. Viele unserer Zivilisationskrankheiten, von Übergewicht bis Allergien, resultieren daraus, dass wir Dinge essen, für die wir nicht adaptiert sind."

"Die Lebensweise, die der Mensch die längste Zeit praktiziert hat, war Jagen und Sammeln", bestätigt auch der Wissenschaftstheoretiker Franz Wuketits (Bild unten).

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Franz Wuketits 18.12.2012, Wien, Interview
"80 bis 85 Prozent unserer Evolution waren wir Halbnomaden oder Nomaden – der Mensch musste sich alles selbst besorgen." 70 bis 80 Prozent der Nahrungsmittel, die wir heute kennen, gab es vor 25.000 Jahren noch nicht (siehe Zeitleiste oben). Daher raten Paleo-Fans zu frischem Obst und Gemüse, einem hohen Anteil an Nüssen und Wildtiere. "Keine gezüchteten, denn die gibt es erst seit 10.000 Jahren. Wildtiere bewegen sich viel und haben daher einen hohen Muskel-Anteil und einen geringen Fett-Anteil", sagt Kirchengast. Heute laufe die Fleischproduktion ganz anders: "Tiere können sich kaum bewegen und stehen nur im Stall". Was in unserer Ernährung überhaupt nichts zu suchen habe, seien Milchprodukte, die erst vor etwa 10.000 Jahre erfunden wurden.

Irgendwie logisch, doch die Theorie geriet in Vergessenheit – vielleicht auch, weil die Empfehlungen nicht praktikabel waren. "Soll man als Großstädter in einen Park gehen und sein Eichhörnchen jagen?", fragt sich Kirchengast. Doch dann griff Loren Cordain, Ernährungswissenschaftler aus Colorado, die Theorie auf, adaptierte sie zeitgeistig und schrieb das Buch "The Paleo Diet", das sich zur Bibel der Steinzeit-Diät-Bewegung mauserte. Kernbotschaft: Alle Lebensmittel, die die Landwirtschaft hervorgebracht hat, alle Getreide- und Milchprodukte, gelten bei den Paleos als Tabu – raffinierter Zucker und Salz sowieso.

Heute, zwölf Jahre später, ist der Trend längst auch hierzulande angekommen. Unzählige Buchneuerscheinungen zeugen davon (Geschichte unten).

Reine Lehre

Wer nun ganz strikt nur das essen will, was unsere Urahnen im Paläolithikum aßen, wird an einer simplen, aber unüberwindbaren Hürde scheitern: Das Essen von damals gibt es heute nicht mehr. Gezüchtetes Gemüse und Obst unterscheiden sich wesentlich von den alten Arten. Wer sich zudem darüber freut, in der Paleo-Bewegung eine Legitimation für endlosen Fleischkonsum gefunden zu haben, irrt übrigens: Forscher wissen, dass unsere Vorfahren vorbildlich ausgewogen aßen. Ihre Ernährung basierte auf je einem Drittel Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß.

Dass es jene ursprünglichen Lebensmittel nicht mehr gibt, ist auch Hauptargument der Paleo-Kritiker. Die US-Evolutionsbiologin Marlene Zuk verreißt die Bewegung in ihrem jüngsten Buch als "Paleofantasy". Moderne Lebensmittel seien meilenweit von den Originalen entfernt; "wir Menschen hätten sie verändert, um sie kalorienreicher, transportabler, süßer" zu machen. Kein Wunder: Je mehr Energie eine Mahlzeit enthält, desto besser schmeckt sie uns – auch ein Erbe der Evolution: Jene Urururururgroßeltern, die es schafften, am meisten Fettpölster zu speichern, überlebten und gaben ihre Gene an uns weiter.

Doch anders als heute wurden unsere Vorfahren die Reserve-Pölster wieder los: Ein Gramm Fett liefert 9,3 Kilokalorien Energie; mit einem Kilo davon joggt man 100 Kilometer weit – das war für Nomaden genug Energie, eine Antilope zu Tode zu hetzen oder vier Tage lang zu fasten. Wir werden diese Energiemenge beim Bummel durch den Supermarkt definitiv nicht mehr los. Daher ist Paleo für viele nicht nur Ernährungsform, sondern eine Lebensphilosophie. Zum Lifestyle-Trend gehört viel Sport, vor allem Krafttraining. Und das ist gut so, denn: Die Evolution hat es schlicht nicht so schnell geschafft, unseren Körper an das moderne Essen anzupassen. Wie schnell Anpassung vor sich geht, wird derzeit in Wissenschaftler-Kreisen übrigens heftig diskutiert. Anthropologin Kirchengast: "Die einen glauben, dass das sehr lange dauert, andere wiederum denken, dass es rascher funktioniert." Rascher? "Innerhalb von wenigen Tausend Jahren." So oder so eine Zeitspanne, die uns bis an unser Lebensende überfordert.

KURIER: Deckt sich die Steinzeit-Diät mit dem, was unsere Vorfahren gegessen haben?

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Franz Wuketits 18.12.2012, Wien, Interview
Franz Wuketits: Da wäre ich vorsichtig. Was ist Steinzeit-Diät überhaupt? Unsere steinzeitlichen Vorfahren haben sich wahrscheinlich vielfältig ernährt – sie haben gefressen, was sie zwischen die Zähne bekommen haben, denn sie konnten sich nicht auf irgendwas kaprizieren. Sie haben sicher keine Getreideprodukte gegessen, weil die damals noch nicht angebaut wurden.

Der steinzeitliche Lebensstil umfasst aber noch viel mehr?

Richtig, man muss ihn in Zusammenhang mit viel Bewegung sehen. Der Steinzeitmensch konnte sich keine Pizza in seine Höhle bestellen, er musste seinem Essen nachlaufen, es suchen, es ausgraben. Das war ziemlich anstrengend. Man geht davon aus, dass altsteinzeitliche Menschen etwa zehn Kilometer pro Tag gelaufen sind. Auf das kommen wir heute nie. Und unser Körper hatte noch zu wenig Zeit, sich an den modernen Lebensstil anzupassen. Wir sind die erste Generation, die Ernährungsberatung braucht.

Paleo-Diät wird oft mit viel Fleischkonsum gleichgesetzt ...

... in gemäßigten Zonen, wo es öfter mal kalt ist, wurde wohl mehr auf Fleisch zurückgegriffen als in tropischen Regionen. Doch die Leute waren sicher Allesfresser.

BUCHTIPP

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Franz Wuketis: "Wie der Mensch wurde, was er isst. Die Evolution menschlicher Nahrung". Verlag Hirzel. 20,40 €.

Auch, wenn die Diät so heißt – wer sein Leben auf Paleo umstellt, will weder wortwörtlich wie der Steinzeitmensch leben, noch sich so ernähren. Paleo ist ein Lebensstil, der Bewusstsein für natürliche Lebensmittel und den eigenen Körper propagiert. Industriell verarbeitete Fertiggerichte sind tabu. Ausgiebige Bewegung ist unverzichtbar.

Koch-Leidenschaft

Es braucht also eine gehörige Portion Disziplin und Leidenschaft fürs Kochen, um den Paleo-Trend zu leben. Allzu gerne wird die sogenannte Steinzeit-Diät mit purem Fleischkonsum gleichgesetzt – das ist schlichtweg falsch. Auch die Jäger und Sammler in der Urzeit haben viel Gemüse, Kräuter, Pilze, Nüsse und Eier gegessen. Gemieden werden bei Paleo allerdings Getreide- sowie Milchprodukte. Wer Laktoseintolerant ist und Brot oder Nudeln meidet, weil er davon vielleicht einen Blähbauch bekommt, ernährt sich quasi schon nach dem Paleo-Prinzip.

Die bewusste Beschäftigung mit frischen Nahrungsmitteln führt automatisch dazu, dass ihre Herkunft hinterfragt wird. Lieber ein Bio-Rindersteak als das aus Massenzucht. Lieber regionales und saisonales Gemüse als welches, das weit weg in einem Glashaus gezüchtet wurde. Wer nach Paleo lebt, füttert seinen Körper nur mit ausgesuchten, gesunden Nahrungsmitteln. Fast Food löst Ekel aus.

Für diesen Lebensstil ist Sport unverzichtbar. Paleo wird gerne mit Crossfit kombiniert, wo man mit Lkw-Reifen wirft oder aus dem Stand auf einen Kasten springt.

Welchen Sport man macht, ist der Paleo-Philosophie zufolge aber egal – genauso wie die Fleisch- und Gemüse-Präferenzen. Hauptsache weg von der degenerierten Bürohaltung und weg vom industriell gefertigten Chemiefutter.

BUCHTIPPS

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Paleo, Paläo

„Das große Buch der Paläo-Ernährung“ von D. Sanfilippo, B. Staley und R. Wolf, riva Verlag, 25,70 €

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Paleo, Paläo

„Der Paleo-Code“ von Romy Dollé, systemed Verlag, 19,99 €

Steinzeit-Diät: Kochen wie die Urururururoma
Paleo, Paläo

Paleo Power for Life“ von Nico Richter, Christian
Verlag, 29,99 €

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