"Auf Gefühle kann man sich nicht verlassen"

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Eva Jaeggi ist eine der großen Psychologinnen unserer Zeit. Im Gespräch mit dem KURIER erzählt sie, was gelungene Partnerschaften heute ausmacht – und was sie zusammenhält.

Sie hat in den 70er-Jahren Aufklärungsbücher geschrieben, in den 80er-Jahren ging es um die Krisen älter gewordener Eltern und später um die Heilung von zerbrochenen Herzen. Eva Jaeggi ist seit mehr als 50 Jahren eine der führenden deutschsprachigen Psychologinnen in Liebesangelegenheiten. In ihrem neuesten Buch "Liebe und andere Wagnisse" (Verlag: fischer & gann, 19,99 €) beantwortet die in Wien geborene und in Berlin lebende 82-Jährige Fragen über das Leben in Beziehungen. Im Gespräch mit dem KURIER erzählt sie, wie sich Beziehungen verändert haben und warum Partner nicht einfach austauschbar sind.

KURIER: Liebe und Glück werden oft verwechselt – was unterscheidet die beiden voneinander?

Eva Jaeggi: Es gibt sehr viele Ansprüche, dass uns Beziehung und Liebesbeziehungen glücklich machen. Und das tun sie ja auch oft, vor allem in der Zeit der Verliebtheit, wo der Glückspegel ungemein steigt. Aber sich darauf zu verlassen, dass dieses Glück andauert und dass man immer auf einer Woge von Seligkeit schwimmt, ist ein Anspruch an eine Partnerschaft, der nicht erfüllt werden kann. Der Alltag wird immer wieder Sorgen bringen, es wird immer wieder Differenzen geben. Aber eine gute Partnerschaft zeichnet sich dadurch aus, dass man sich immer wieder sagen kann, ich bin trotzdem glücklich mit dem oder der anderen. Das Glück definiert natürlich jeder ein bisschen anders: Für den einen ist Glück verbunden mit überschwänglichen Gefühlen und für den anderen mit dem Gefühl der Stetigkeit.

"Auf Gefühle kann man sich nicht verlassen"
Eva Jaeggi
Die Geschlechterrollen und Beziehungsmodelle haben sich über die vergangenen Jahre sehr stark verändert – gilt das auch für die Probleme, die Paare haben?

Ja, natürlich. Vor allem mit der Emanzipation der Frauen, ihrem Anspruch, sich auch ein eigenes Leben beruflicher Art aufzubauen und das auch noch sehr oft mit Familiengründung zu verbinden. Ein übergreifendes Thema ist, dass jeder seine eigene Entwicklung in einer Partnerschaft verfolgen darf und dass der andere einem dabei hilft und nicht im Weg steht.

Gibt es denn Beziehungs- oder Familienmodelle, die besonders gut funktionieren?

Nein, es gibt keine Modelle, von denen man sagen kann, so muss es sein. Weil die Beziehungsformen sehr vielfältig sind und weil jeder einen Anspruch auf seine sehr individuellen Entwicklungsmöglichkeiten hat. Es kann sehr gut funktionieren, dass die Frau diejenige ist, die Karriere macht und der Mann eher zurücksteckt. Das hängt von den Personen ab, wie ehrgeizig oder zurückhaltend sie sind. Aber es kann natürlich auch katastrophal enden, wenn der Mann dann den Anspruch hat, zu seiner persönlichen Entwicklung gehört, dass nur er im Beruf durchstartet. Modelle in dem Sinn kann man also nicht favorisieren oder verwerfen. Es kann auch das Modell funktionieren, Frau geht in Haus und Kinderarbeit auf und macht das Heim gemütlich. Das ist zwar ein Modell, das es nicht mehr sehr oft gibt, aber unter Umständen gibt es Personen, für die dieses Modell geeignet ist. Weil es heute eben so individuell ist.

Welche Kriterien muss eine Partnerschaft heute noch erfüllen?

Es braucht eine gewisse Verbindlichkeit. Wenn man sich auf eine bestimmte Art des Zusammenlebens direkt oder implizit geeinigt hat, dann muss eine gewisse Loyalität da sein – auch zu dem Versprechen, das man damit gegeben hat. Und eine Anerkennung, wo jeder dem anderen zubilligt, dass er das, was man sich vorgestellt hat, auch wirklich realisieren kann. Und in welcher Weise man dann die Beziehung lebt – ob das eher eine offene Beziehung ist, wo viele andere Menschen teilnehmen, wo vielleicht sogar Sexualität nicht ausschließlich gelebt wird – das ist wiederum eine Sache der Vereinbarung und hängt von den persönlichen Möglichkeiten der Menschen ab, die eine Beziehung leben.

Man unterscheidet oft zwischen Vernunft und Emotionalität. Wie vernünftig darf denn Liebe sein, bzw. wie emotional?

Ich glaube nicht, dass das ein Gegensatzpaar sein muss. Das kann sehr wohl eine sehr emotionale Beziehung sein, da kann viel Liebe und Herzlichkeit sein. Und trotzdem können vor allem in Krisenzeiten vernünftige Überlegungen eine Rolle spielen. Etwa, wie wichtig ist es mir, dass wir zusammenbleiben, trotz kritischer Situationen. Oder ist es so unerträglich, dass es für uns beide besser ist, wenn wir uns trennen. Gerade in solchen Zeiten Bilanz zu ziehen, das ist immer eine Sache der Vernunft – das glaube ich, gehört in jede Beziehung hinein. Denn es gibt ja kaum Beziehungen, wo man keine Probleme miteinander hat.

Heute wird trotzdem oft kritisiert, dass Partner durch die vielen Online-Dating-Möglichkeiten austauschbar geworden sind. Sind Paare heute weniger fähig, kritische Situationen zu meistern?

Also so schnell austauschbar ist das alles nicht. Für die meisten Menschen ist es sogar ein ziemlich schwieriger Prozess, bis sie jemanden gefunden haben, mit dem sie sich wirklich wohlfühlen und mit dem sie ein gemeinsames Leben gestalten können. Und es bleiben ja auch viele Paare zusammen. Aber selbst wenn eine Beziehung mit den besten Vorsätzen für Familie und gemeinsame Zukunft gegründet wurde, kann man zur Erkenntnis kommen: Wir haben uns getäuscht. Und dass dann eine Trennung möglich ist, ohne dass großer Schaden entsteht, ist ein Fortschritt.

Viele Partnerschaften werden trotzdem unter widrigen Bedingungen aufrechterhalten – etwa wegen der Kinder oder gemeinsamer Investitionen. Wann ist der Punkt erreicht, wo man loslassen sollte?

Wenn es um Kinder geht, ist es immer abzuwägen. Dann kommt wieder Vernunft in die Beziehung hinein: Sind die Kinder in einem Alter, wo sie das schwer verkraften? Werden sie einen Mangel an elterlicher Fürsorge spüren? Oder sind sie schon älter, indem sie ihr eigenes Leben einigermaßen leben können, mit eigenen Freundschaften und Hobbys? Dann kann eine Trennung ganz vernünftig sein, wenn man das Gefühl hat, wir schaffen es überhaupt nicht, unser Leben aufeinander abzustimmen und immer wieder den Pegel der Zufriedenheit und des Glücks zu heben.

Heißt das, man sollte lieber zusammenbleiben, wenn die Kinder noch klein sind?

Es kann viel schwieriger sein, sich zu trennen. Es kann aber auch sein, dass den Kindern eher geschadet wird, wenn es eine Streitehe ist, wo gar nichts stimmt. Das sind sehr komplexe und schwierige Überlegungen. Und da sollte man möglichst mit Vernunft rangehen und unter Umständen mithilfe von Freunden oder sogar mit professioneller Hilfe. Auf jeden Fall ist die Trennung einer Beziehung, wenn kleine Kinder involviert sind, eine schwierige und sehr leidvolle Angelegenheit. Dass die Kinder gar nicht darunter leiden, ist eigentlich nicht anzunehmen. Man kann es nur so gestalten, dass die Kinder damit gut zurechtkommen können.

Sie haben schon früher darüber geschrieben, dass Therapeuten die Rolle von Seelsorgern und Pfarrern übernommen haben. Welche Bedeutung haben solche unabhängigen Dritten für Partnerschaften?

Der Blick eines Dritten kann unter Umständen hilfreich sein – es kann aber auch störend sein, wenn andere reinreden. Da muss man vorsichtig sein, denn mit Freunden ist es manchmal schwierig. Und Paare sind meistens imstande, Probleme unter sich zu klären. Es kann aber gut sein, wenn ein ganz unbeteiligter Mensch, der sich beide Seiten anhört, bei beiden die richtigen Fragen stellt und versucht, dem jeweils anderen klarzumachen, was seinem Partner fehlt, was er will. Da kann unter Umständen ein Unbeteiligter, bzw. professionell geschulter Dritter eine gute Hilfe sein. Aber natürlich muss nicht jedes Paar, das Schwierigkeiten hat, gleich zum Pfarrer oder zum Therapeuten gehen.

Der Titel Ihres neuen Buches lautet "Liebe und andere Wagnisse" – gibt es eine Liebe ohne Wagnis?

Ich glaube, das kann man ausschließen. Wenn man sich wirklich sehr fest an einen Menschen bindet, gibt es immer die Möglichkeit, dass die Gefühle nicht halten. Es gibt die Möglichkeit, dass man durch äußere Umstände getrennt wird, auch durch den Tod. Also sehr fest gebunden sein und sich verpflichtet fühlen und zu wissen, der andere hat sich auch verpflichtet, bei mir zu bleiben, mir beizustehen, wenn es kritisch ist – da können Enttäuschungen immer am Weg liegen. Denn überall, wo starke Gefühle sind, besteht auch die Gefahr, dass diese Gefühle schwanken und zusammenbrechen. Gefühle sind nichts, worauf man sich hundertprozentig verlassen kann.

Worauf sollte man sich verlassen?

Die Mischung aus Gefühl und Vernunft ist schon gut, aber in Beziehungen sind Sie nie ganz sicher. Das ist das Wesen von menschlichen Beziehungen.

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