Hilfe, ich bin ein Psychopath!

In den Kopf geschaut: Ein Wissenschaftler auf der Suche nach der dunklen Seite seiner Persönlichkeit
Normalerweise untersuchte der Wissenschaftler James Fallon Verbrecher-Hirne. Bis er feststellen musste, dass auch in ihm ein Psychopath steckt.

Jim Fallon ist ein wirklich charmanter Mann. Und er ist ein preisgekrönter Neurowissenschaftler, Professor für Psychiatrie an der Universität Irvine/Kalifornien. Er hat es zum wissenschaftlichen Berater des US-Verteidigungsministers gebracht, zwei Biotechnologie-Firmen gegründet und drei Kinder mit der Frau gezeugt, mit der er seit 45 Jahren glücklich verheiratet ist.

Und er ist ein Psychopath.

Hilfe, ich bin ein Psychopath!
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Das sagen nicht etwa seine Neider. Das hat er selbst herausgefunden. Wie, das beschreibt er in seinem Buch "Der Psychopath in mir" (Herbig, 25,70 €), das jetzt auf Deutsch erschienen ist.

Oktober 2005: Hirnspezialist Fallon begutachtet für eine Studie über Psychopathen zahlreiche Hirnscans und sucht nach gemeinsamen Strukturen, die normale Menschen nicht haben. Und tatsächlich: Allen Verbrechern mangelt es an Aktivitäten im Bereich des Frontal- und Temporal-Lappens, Bereiche im Gehirn, die für Einfühlungsvermögen und Selbstkontrolle zuständig sind.

Irrtum?

Gleich daneben hat Fallon einen Stapel anderer Gehirn-Scans liegen – von Alzheimer-Kranken und Mitgliedern seiner Familie, die als Kontrollgruppe dienen. "An jenem Oktobertag setzte ich mich hin und analysierte die Aufnahmen meiner Familie", erzählt Fallon. Das letzte Bild war ungewöhnlich, der Prototyp eines Psychopaten-Hirns. "Da ich in meiner Familie keinerlei Verdacht hegte, dachte ich, dass die Aufnahme versehentlich in den falschen Stapel gerutscht war."

Heute weiß er, dass es sein eigener Hirn-Scan war.

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GENERIC CAPTION: James Fallon mobilizes existing stem cells (indoginous) which causes them to proliferate, migrate and eventually differentiate into new cells (shown by the red area back left) which fill in the damaged stoke area returning function to the stroke victim.
"Ich habe das Gehirn eines Psychopathen. Die Gene eines Psychopathen und eine Familiengeschichte voller gewalttätiger Psychopathen." Die schockierende Entdeckung seines psychopathischen Gehirns ließ dem Neurowissenschaftler keine Ruhe, und er forschte weiter: In seinem Stammbaum väterlicherseits finden sich mindestens sieben Mörder. Darunter Lizzie Borden, die in den USA eine Berühmtheit ist und Ende des 19. Jahrhunderts angeklagt war, ihren Vater und ihre Stiefmutter mit je 40 Hieben zerhackt zu haben.

Das Peinlichste an der Geschichte war für Fallon weniger, dass bald alle wussten, dass er aus einer langen Reihe gewalttätiger Irrer stammte, sondern, dass er vor seinen Gehirnforscher-Kollegen zu Kreuze kriechen musste. "Jahrzehntelange habe ich gepredigt, dass wir ein Produkt unserer Gene sind", sagt er, überzeugt, dass das soziale Umfeld den Charakter eines Menschen nur zu einem sehr geringen Anteil prägt.

In den darauffolgenden Jahren ließ James Fallon eine Frage nicht zur Ruhe kommen: Wie konnte er das Gehirn eines Serienmörders haben und dabei ein völlig normaler, erfolgreicher Mann sein? "Ich prüfte alle Fallstudien, die ich in der Literatur finden konnte und stellte fest, dass alle Psychopathen – einschließlich Diktatoren –, von denen psychiatrische Berichte aus der Jugend existieren, misshandelt oder missbraucht worden waren."

Fallons Fazit: Nur seine wohlbehütete Kindheit und seine Familie hätten verhindert, dass aus ihm ein gewalttätiger Mensch wurde.

Warnsignale

Heute ist es die feste Überzeugung des Gehirnforschers, dass nur Prävention helfe zu verhindern, dass aus Kindern mit psychopathischen Anlagen Gewalttäter werden. Es brauche Ärzte, die bei Kindern Warnzeichen erkennen. "Wenn sie etwa eiskalt durch einen hindurchschauen, als wäre man überhaupt nicht da, müssen wir dafür sorgen, dass diese Kinder nicht misshandelt und gemobbt werden. Damit verhindern wir, dass aus ihnen echt Psychopathen werden."

P.S.: Nachdem Jim Fallon sein Psychopathen-Hirn entdeckt hatte, bat er Familie und Freunde um eine ungeschminkte Einschätzung seiner Persönlichkeit, und die teilten ihm mit, dass sie seit Jahren versucht hätten, ihm zu vermitteln, dass er durchaus diverse psychopathische Züge zeige, manipulativ, charmant, aber unaufrichtig und oft kalt sei. Er mache andere gerne intellektuell fertig, sei ein schlauer Lügner und nehme sich maßlos wichtig. Weil er aber auch ohne Einfühlungsvermögen sei, hätte er es einfach nicht bemerkt.

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