Mythenberg: Athos-Regisseur im Interview
Gleich zu Beginn hat der Film eine Länge. Nach opulenten Luftaufnahmen von der autonomen Mönchsrepublik Athos und dem gleichnamigen Berg, untermalt von Mönchsgesängen, sieht man einen von ihnen zwei Minuten lang beim Morgengebet neben einer Kerze. Um 4 Uhr Früh ist es noch dunkel.
Dabei ist der Mythos schnell erklärt: Seit 1000 Jahren bewohnen Mönche, heute knapp 3000, den östlichen Teil der griechischen Halbinsel Chalkidiki – 43 km lang, maximal 8,5 km breit. Historische Rechte ermöglichen ein eigenes Parlament, das Gesetz des alten Byzanz, den julianischen Kalender und Selbstverwaltung. Der 2033 Meter hohe Gipfel im Südosten ist ein Bild von einem Berg und meist in schleierhaften Wolken versteckt. Der Zutritt zur Republik ist nur pilgernden Männern gestattet. Nicht Touristen, nicht Frauen, nicht weiblichen Tieren. Dafür aber Nicht-Orthodoxen.
Passt zur Nachdenklichkeit des Epiphanios, der mit Unterbrechungen seit 40 Jahren hier lebt. Im Film sinniert er: "Obwohl ich oft Schwierigkeiten und negative Gedanken hatte, würde ich wieder Mönch werden. Ich hatte auch starke Momente. Wie würden wir uns im Leben entwickeln, hätten wir keine Schwierigkeiten?"
Solche Fragen sind die tiefere Ebene von Athos. Deswegen kommen Menschen immer wieder, Bardehele bisher 20 Mal. "Wir brauchen Konflikte, um zu wachsen, müssen Nüsse knacken können." Tatsächlich kommt das der Idee des Pilgerns nahe: einen Weg gehen, dessen Bewältigung über der Vorstellung liegt.
Kloster oder Höhle
Viele Mönche leben in einem der 20 Großklöster oder in Skiten – Siedlungs-Gemeinschaften, die vom Mutterkloster abhängen. Jeder geht neben dem Gebet einem Handwerk nach, manche stellen Weihrauch her, andere malen Ikonen, Epiphanios keltert Wein und ist Koch seiner Gemeinschaft.
Das sei Ziel des Berges, glaubt Epiphanios: "Es gehört zum Wesen des Athos, Menschen zu helfen, sich zu sammeln und ihre innere Ruhe zu finden." Auch Regisseur Bardehle nahm eine Erkenntnis mit: "Die große Auswahl in unserem Alltag ist nur eine vermeintliche Freiheit. Gepaart mit unserem Ehrgeiz geiselt sie uns oft."
Man kann sagen, wir haben alles außer Schwierigkeiten, an denen wir wachsen können. Womit der Berg ins Spiel kommt, die meisten Gäste wollen ihn besteigen, erklärt Epiphanios: "Die Seele eines Menschen reinigt sich durch die Anstrengung."
KURIER: Gibt es einen Diskurs über das Verbot für Frauen, Athos zu betreten?
Peter Bardehle: Es gibt keine Diskussion darüber, dass Frauen von Athos ferngehalten werden. Darüber sind sich alle Mönche einig. Im Übrigen auch keine weiblichen Großtiere, Kühe etwa.
Das klingt weltfremd. Bekommen die Mönche etwas von der Welt mit?
Es gibt auf Athos kein Fernsehen und keine Zeitung, aber Internet und Handy, aber nur zu erlaubten Telefonzeiten. Die Jungen kennen sich in der Welt schon aus. Die Alten nicht, da stößt man auch in Gesprächen an Grenzen.
Ist die Offenheit der Gesellschaft zu Sexualität ein Gesprächsthema?
Ich habe niemanden jemals über Sex reden hören, so wie wir in „unserer“ Welt unter Freunden darüber sprechen. Man fragt sich, ob die Mönche Sex vermissen, ob sie nicht vielleicht darüber reden müssten – aber sie tun es nicht. Ich habe auch keinerlei Anzeichen für praktizierte Homosexualität gesehen. Die zivilen Arbeiter hingegen, die die Mönche unterstützen in der Ernte oder bei Bauarbeiten, reden viel über Sex. Für sie ist es ein großes Problem, wenn sie auf Athos für vier oder sechs Wochen nur unter Männern festsitzen. Aber für die Mönche – und wir hatten wirklich eine enge Verbindung zu den Mönchen nach all diesen Jahren und sprachen mit ihnen über alles – für sie war Sex niemals ein Thema.
Wie viele Mönche leben derzeit in der Republik Athos?
Das kann man nicht genau sagen. Man spricht immer von über 2000, es werden aber eher 3000 sein. Dazu kommt noch eine große Zahl an Novizen.
Wie kann man sich diese Charaktere vorstellen?
Jeder Mönch hat eine Beziehung zur äußeren Welt, zum Beispiel eine Familie, der er zurückließ. Er muss die Verbindung zu dieser Familie, zu seinen Eltern und Geschwistern, abbrechen. Sie sprechen noch miteinander, aber die neue Familie besteht aus seinen Brüdern, die neue Wohnung ist die Klosterzelle und das Kloster. Dies verstehen zu lernen, ist für ein Leben im Kloster fundamental und für die Mönche sehr hart. Das ist auch der Grund, warum sie schwarz tragen. Es bedeutet, dass das weltliche Leben stirbt und ein neues Leben beginnt. Wenn die Schwester oder der Vater eines Mönchs krank wird, muss der Mönch den Abt fragen, ob er hinfahren darf, um den Kranken zu sehen. Wenn der Abt findet, er solle besser fischen oder den Garten umgraben, dann muss er fischen oder graben und kann seinen kranken Vater nicht sehen.
Warum macht man einen Film über einen so verschlossenen Ort wie Athos?
Ein Freund von mir ist mit einer Griechin verheiratet, er wusste vom heiligen Berg. Mit ihm fuhr ich hin. Wir blieben damals für drei Nächte, die übliche Aufenthaltsdauer für Pilger. Ich war sofort begeistert von diesem besonderen Ort. Wenn man in Dafni – das ist der Hafen der Mönchsrepublik – ankommt, fühlt man augenblicklich die andere Atmosphäre. Die Menschen dort haben ein anderes Zeitgefühl. Man spürt, dass sie sich demzufolge anders verhalten. Und mit jedem Tag verliert man mehr von seinen alltäglichen Gewohnheiten und Zeitplänen, denn die der Mönche sind komplett anders als jene, die wir in unserer Welt haben. Wenn wir später bei den Drehs mit einem Mönch eine Verabredung ausgemacht haben, hieß das nie, dass er auch da ist. Aber irgendwie hat es immer geklappt. Die Mönche stehen um 4 oder 4.30 Uhr morgens auf. Ich nahm an Gottesdiensten teil, die acht Stunden dauerten und die ganze Nacht durchgingen.
Es ist die erste Dokumentation über Athos in Spielfilmlänge. Wie sind Sie zu der Drehgenehmigung gekommen?
Es gab da ein grundsätzliches Problem – man bekommt keine Genehmigung. Deswegen mussten wir uns vorsichtig an eine Dreherlaubnis heranarbeiten. Ich wollte den Film nicht ohne das Einverständnis der heiligen Gemeinschaft machen und musste deshalb einen „byzantinischen“ Weg finden. Als erstes habe ich versucht, Vertrauen zu wichtigen Mönchen und Äbten herstellen. Wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat, hat man die Möglichkeit, in einem Kloster zu filmen. Der Abt verfügt über eine große Entscheidungsgewalt: Wenn er sich dazu entscheidet, jemandem eine Erlaubnis zum Filmen zu erteilen, übernimmt er gleichzeitig die Verantwortung für das ganze Film-Team und für das Ergebnis, also den Film. Schritt für Schritt haben wir es geschafft, Zugänge auf dem Athos für uns zu öffnen. Der entscheidende Moment war die Erlaubnis des Patriarchen von Konstantinopel in Form eines Segensbriefes für den Film. Wir brauchten allerdings ein paar Jahre dafür, also bei weitem mehr als die übliche Zeit für einen Film. Es war das langwierigste Projekt, das ich je anging.
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