„Madonnen_Mütter_Mätressen“ – dieses Motto gab Cordula Nossek, die nennt die Kuratorin dem vierten Internationalen Figurentheaterfestivals der Künstlerinnen, das derzeit im Wiener KosmosTheater läuft.
Klassisches und Historisch-Fiktives
Sie selbst spielte am Freitag die Abendvorstellung – mit Frank Panhans: „Faust. Wer hat Angst vor Gretchen?“ Lustvoll und oft mit totalem Körpereinsatz spielt das Duo – über weite Strecken mit dem – stark gekürzten – Originatext Goethes nicht nur das Streben nach Erkenntnis, das Spiel mit Gut und Böse, sondern nicht zuletzt jenes der körperlichen Anziehung zwischen Faust und Gretchen.
Herma Phettberg
Ebenfalls eine klassische Theaterfigur nimmt sich Julia Raab – im Titel und dann doch auch im Spiel her: „Die Dicke – spielt Medea“. Wobei im Zentrum nicht die Medea-Geschichte steht, sondern „Die Dicke“. Mit Maske und rundum kostümmäßig ausgestopft, stapft, nein vielmehr schleppt sich die Protagonistin mit einem Einkaufstrolley voller Zeugs auf die Bühne. Eine Mischung aus „Sandlerin“ und weiblicher Ausgabe des Wiener Originals Hermes Phettberg – den die Berlinerin aber gar nicht kannte – agiert sie fast in Slow Motion. Schritt für Schritt, Bewegung für Bewegung, die stets uranstrengend wirken, verbannt sie für eine Stunde jeden Anflug von Hektik aus dem Theaterraum. Produziert gleichzeitig aber auch keine einzige Sekunde Langeweile, schafft absolute Konzentration des Publikums auf jede Kleinigkeit. An und mit dieser Figur, die Julia Raab irgendwann eingefallen ist, „hab ich lange und viel – auch im öffentlichen Raum – gearbeitet“, sagt sie nach der Vorstellung dem Kinder-KURIER. „Die Reaktionen waren für mich wichtig. Viele Leute haben gar nicht meine Maske, aus der ich nur wenig raussehe, bemerkt.“ Oft war sie mit Abwendung konfrontiert.
Medea kam erst später. Mit Musik der Oper Médée von Luigi Cherubini aus einem alten Radio-Kassettenrekorder, einem – natürlich viel zu engen und daher nur außen angelegten Glitzerkleid, einem eleganten schwarzen Mantel und zwei Puppen erzählt Raab – alles ohne Worte – dann auch die Geschichte der von König Iason verstoßenen Ehefrau, die – der antiken Sage nach – daraufhin ihre Kinder getötet hat.
Ob „Die Dicke“ nun diese Geschichte nachspielt, sie sich vielleicht gar als Medea sieht, oder einfach nur mit den Utensilien spielt – da ist vieles offen. Nicht offen ist hingegen, dass diese Stunde vielleicht auch bewirken kann, eine aufs erste abstoßend scheinende Person nach und nach vertrauter, jedenfalls interessiert(er), wohlwollender zu betrachten. Vielleicht auch einmal im echten Leben?
Paradeis-rünstig
In ihrer unnachahmlichen direkten und dialekthaften Art erzählte zum Abschluss „frau franzi“ die Shakespeare’sche „mägbess“-Geschichte – dividierte in einen harten mord- und blutrünstigen Ritter im Berufs- und einen zarten Waschlappen im Privatleben auseinander, der den herrschsüchtigen Ansprüchen seiner angetrauten Lady nie Genüge tun konnte. Nicht lange herumgefackelt, setzt sie in entscheidenden Momenten – verfremdet durch Schattenspiel unter dem Tisch – zu tödlichen Stichen und Hammerschlägen auf Paradeiser an. Die Art wie sie spielt – und vor allem ihre professionelle Dialektsprache, die vieles direkter auf den Punkt bringt, provoziert Lacher am laufenden Band.
Making of Dictators
Von historischen Figuren geht Michal Svironi aus Israel aus. Die Bühne eine Art Zirkus-Manege, ihr verfremdetes Konterfei als weibliche „große Diktatorin“ (Chaplin spielte Hitler) ziert zwei rote senkrechte Fahnen mit Kreuzmuster. Ihr Traum als kleines Mädchen, so ihre gespielte Geschichte, sei es gewesen, Diktatorin zu werden, weil niemand mit ihr spielen wollte. Dann, so könnte sie alle dazu zwingen. Dem Publikum diktiert sie drei kurze Regeln für die knapp mehr als einstündige Show: Lachen auf Befehl, aufhören, wenn sie’s diktiert und sie zu lieben.
Eier(köpfe) von Osama bin Laden bis Kim Jong Un, von Mussolini bis Putin gebiet sie anfangs, bevor sie Adolph/Edi aus dem Schoß kriechen lässt, den sie als kleinen, beleuchteten Eingang in eine kleine Zirkusmanege zwischen zwei weiblichen baumelnden Bein-Figuren gestaltete. Der entwickelt sich – dank diverser Erziehungs-Camps, in denen er mit Pistolen, Maschinengewehren & Co. sich still beschäftigen soll, zum Monster, verliert sein Herz, „das stört nur“...
Schluss-Song – begleitet von der Schau- und Figurenspielerin, Sängerin und Musikerin selbst auf einem Akkordeon: „Als er geboren wurde, hatte er so viel Potenzial...“ Nicht zum Diktator geboren, sondern dazu gemacht/erzogen eben!
Revue über Klischees
Eröffnet wurde das Festival mit einer Art Nummern-Revue des Ensembles Materialtheater Stuttgart in Kooperation mit dem Théâtre Octobre Bruxelles. Die drei Frauen auf der Bühne reißen – mit ihren Figuren und Objekten – diverse Schubladen voller klassischer Klischees auf, spielen mit gängigen und Vorurteilen Frauen gegenüber – oder untereinander, machen sich darüber lustig – immer wieder auch mit einem Schuss Selbstironie.
Als rosa Schaf verkleidet, wird Wiedergeburt thematisiert. Das Schaf erkennt Benzindämpfe, trippelt zum Haus des Mannes, kommt drauf, hier hat sie im früheren Leben als Ehefrau gelebt – und es fühlt sich für Schaf und Ehemann bald so an, als wär’s wie einst ;)
Immer wieder versucht das Trio neue Perspektive auf Bekanntes zu eröffnen – und wenn‘s sein muss mit einer offensichtlichen Veränderung des Blickwinkels – durch einen schrägen Tisch und ebensolche Sessel, durch eine Drehung von Psycho-Couch und –Stuhl um 90 Grad in die Senkrechte. Womit das Fliegen recht leicht möglich wird ;)
So manches aber können selbst gute Künstlerinnen nicht erfinden – so erzählen sie nach der Vorstellung, dass die Szene, in der eine schildert, dass ihr jemand anstelle einer Gage eine Schönheitsoperation – Entfernung einer Zahnlücke – anbieten wollte, so tatsächlich passierte.
Donnerstag, 25. Februar, 19 Uhr Frauen lügen aus ihrem Leben Ensemble Materialtheater Stuttgart & Théâtre Octobre Bruxelles (DE/ BE) Theater mit Figuren und Objekten
Spiel: Annette Scheibler, Sandra Hartmann, Sigrun Kilger Regie: Alberto GarcíaSánchez Musik: Daniel Kartmann, Oliver Prechtl Figuren, Objekte: Annette Scheibler, Sigrun Kilger, Ute Kilger, Ensemble Ausstattung, Bühne: Luigi Consalvo, Ensemble www.materialtheater.de
Freitag, 26. Februar, 19 Uhr Cordula Nossek & Frank Panhans Dachtheater (AT/ DE) Theater mit Menschen und Puppen
Freitag, 26. Februar, 21 Uhr Theater Julia Raab (DE):
Die Dicke – spielt Medea Theater mit Maske und Objekten
Spiel, Ausstattung: Julia Raab Regie: Stefanie Oberhoff www.juliaraab.de
Samstag, 27. Februar, 19 Uhr Michal Svironi (IL) Dictator‘s Mom Theater mit Puppen und Objekten In englischer Sprache
Spiel, Text: Michal Svironi Puppen, Kostüm: Oksana Ianovitzki, Leonid Elisov Musik: Ofir Nahari, Matan Biton Lichtdesign: Johnny Tal www.lapassionatasvironi.com
Samstag, 27. Februar, 21 Uhr frau franzi (AT): mägbess
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