Manchmal ist sogar kein Bild mehr

Die Macherinnen von (K)Eine Begegnung mit dem Essen - samt Lehrerin
Starke, teils sehr beeindruckende Filme von Kinder und Jugendlichen bei den 19. "video- und filmtagen" von wienXtra.

Die Leinwand bleibt dunkel. Kein Bild. Nur eine Stimme aus dem Off. Eine sehr junge. Sie liest einen Satz vor: „wäre es ... zu überlegen, ob man nicht vielleicht mit der Hercules-Maschine abschieben könnte, denn dann könnten sie da drinnen schreien, so laut sie wollen."

Danach eine Zeichnung von einem Flugzeug. „Herkules“ heißt der Film, den rund zwei Dutzend Jugendliche der Handelsakademie Polgarstraße in Wien-Donaustadt produziert haben. Und der als einer von rund fünf Dutzend Filmen, die Kinder bzw. Jugendliche produziert haben, bei den "19. video- und filmtagen" im cinemagic in der Wiener Urania gezeigt wurden. Zurück zu „Herkules“. Der dauert nur eine einzige Minute.

Echtes Zitat

Manchmal ist sogar kein Bild mehr
Eine der Filmemacher_innen von "Herkules" mit kleinem Bruder

Der so ins Dunkel gesprochene Sager wirkt vielleicht sogar noch ärger als wäre er mit Bildern aus dem Parlament (wo er original fiel) oder von Flüchtenden unterlegt. So gehört die ganze Konzentration dem Gesagten. (Die Anmerkung woher der Satz stammt, nämlich von einer FP-Nationalratsabgeordneten in einer Plenarsitzung im Juni 2015, wäre allerdings noch gut gewesen!) Und dieses Nicht-Bild wird nach dem gezeichneten Flieger von einem starken Bild kontrastiert: Einige der Jugendlichen der Klasse setzten sich auf Sessel, meist ein wenig zusammengekauert, Gesichter verborgen. Und dazu wird aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zitiert, wonach jeder Mensch das Recht habe auf Freiheit, niemand dürfe der Folter... unterworfen werden... Und dazu die scheinbar verblüffende Erkenntnis: „... die haben wahrscheinlich nur Angst!“„Wir haben den Film in Persönlichkeitsbildung und Sozialkompetenz gemacht“, berichtet Özlem Özkan aus der 2AS der „Business Academy“.

Manchmal ist sogar kein Bild mehr
Herkules

Wie großteils technisch perfekt viele der Filme von Kindern und Jugendlichen sind, erstaunt immer wieder auch die Profis der Jurys. In jedem Vorführblock sitzen Jurorinnen und Juroren aus verschiedenen Bereichen des Filmschaffens und geben stets live Feedback. Neben technischer Ausgereiftheit überzeugen die von einer Vorjury ausgewählten Filme, die beim Festival gezeigt werden, aber auch durch die Storys, oder manchmal auch Nicht-Storys aber überraschenden Szenen und immer wieder auch durch ausgefallene, sehr kreative Zugänge zu bekannten oder auch Tabu-Themen.

Viel Politisches

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Hilfsbereites Wien

Was in diesem Jahr besonders auffiel: Der oben beschriebene Beitrag ist nur einer von mehreren, die sich mit politischen Themen auseinandersetzten. So drehten die 15-jährigen Enzo Holey, Sebastian Cermak und Michael Schön einen 10-Minüter unter dem Titel „Hilfsbereites Wien“. Dabei baten sie Freundinnen und Freunde im öffentlichen Raum Szenen zu spielen, in denen sie Hilfe benötigten: eine von zwei Krücken, die umfällt; eine Mappe mit fliegenden Blättern, die aus der Hand fällt; eine verlorene 2-Euro-Münze... Gegen Ende werden statistische Daten dieser filmischen Experimente eingeblendet. Und das ist doch bei manchen Beispielen ein wenig ernüchternd. Da hätte es am Ende den erhobenen Zeigefinger gar nicht mehr gebraucht.

(K)ein Essen

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(K)Eine Begegnung mit dem Essen

Hunger in Afrika – das machten Schülerinnen der HBLA Landwiedstraße in Linz zum Thema ihres Filmes „(K)eine Begegnung mit dem Essen“. Und wie! Eine einzige Kamera-Einstellung. Eine der Darstellerin sitzt am Tisch. Vor sich einen Teller mit einer Semmel. Sie greift zu. Und schwupps kommt ein Unterarm von links ins Bild, reißt ihr die Semmel aus der Hand, gibt einen Teil zurück. Der Vorgang wiederholt sich. Einmal von links, einmal von rechts kommen Unterarme und... Auf ihnen steht geschrieben: Belgien, England, Spanien, Italien, Portugal.

Zu diesem Film kamen die Schülerinnen zufällig. „Wir hatten nur Musik und kamen damit ins Medienzentrum (?). Die haben uns vorgeschlagen, doch einen Film für den Wettbewerb zu machen. Kurz überlegt. „Wir haben doch in der Schule erst über den Kongo gelernt, als der eine belgische Kolonie war“, meint die Sprecherin der Gruppe, Joy-Pia Mader. Die Hände mit den Ländernamen - „die haben wir irrtümlich mit wasserfestem Stift geschrieben, das ist eine Woche lang nicht runtergegangen“ - gehören Dilara Gül, Melanie Kaltenbach, Melanie Gruber und Morina Kosovare. Aufs Foto nehmen sie die Ermöglicherin, ihre Lehrerin Magdalena Rössler, mit aufs Foto.

Promis

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Austieg rechts

Zu den politischen Streifen zählt auch der Eröffnungsfilm „Ausstieg rechts“. Er thematisiert Alltagsrassismus – diesfalls in einem Bus, den die beiden Filmemacher Rupert Höller und Bernhard Wenger gemietet hatten. Und dazu Schauspieler wie Cornelius Obonya und Thomas Maurer gewinnen konnten. Mit Ausnahme des überraschenden Schlusses ist der Film jedoch sehr vorhersehbar.

Einen Promi angeln konnten auch René Kmet und Marie-Luise Bohrer für „12 Points“. Christoph Grissemann gibt einen Familienvater, der sich über Conchita Wursts Song-Contest-Sieg als Zeichen für Offenheit und Toleranz freut. Als sein Sohn Jonas seinen Freund mit nach Hause bringt, … leider auch sehr vorhersehbar. Wiewohl Grissemanns ganz leise, aggressiv hingehauchtes „Raus“ stark ist und mehr trifft als hätte er geschrien und getobt.

Experimentell und doch konkret

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Blackout

Einer der mit Preisen bedachten Filme (und davon gab's einige) ist "Blackout". In weniger als vier Minuten schafft es Jasmin Selen Heinz mit Tanja Josić und Emily Poulter durch viele Zeitrafferaufnahmen, Überblendungen und ein wenig Schnellsprech konzentriert ein Gefühl dessen zu erzeugen, das sie auch aufs Korn nehmen: Hektik. Aber nicht nur Hektik als solches, sondern das gar nicht (mehr) Wahrnehmen anderer Menschen. Durch Einfärben eines Gesichtes verschwindet dieses im Hintergrund seiner Umgebung: Sichtbar gemachtes Blackout.

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Veronikas Entscheidung

Witz, Action, feine psychologische Studien und immer wieder auch Experimentelles zeigten andere der Top-Filme aus Kinder- und Jugendhand – und vor allem -kopf. Heavy ist Simon Maria Kubienas „Veronikas Entscheidung“. Inspiriert von Paulo Coelhos Bestseller „Veronika beschließt zu sterben“ inszenierte der 17-Jährige einen heftigen Film in berührenden, teilweise fast schon zu schönen Bildern.

Viel einschlägige Stimmung vermittelt auch „Gesichter einer Einsamkeit“ von Lin Wolf (17). Einsamkeit nicht nur als trist, sondern auch als mitunter sehr starke Momente, die durch eindrucksvolle Bilder sprechen.

In eine schräge Umgebung, eine aufgelassene Fabrik, die von den Bildern her schon Verlassenheit ausstrahlt, setzten Simone Hart und Michelly Matias ihr langsmaes gedichtartiges Werk „Etwas, das du nie aussprechen wirst“.

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Nichts

Eine (Nicht-)Liebesgeschichte – da gehen die Meinungen auseinander – ist „Nichts“ von Marie Luise Lehner und Philipp Bevanda. Der irgendwie poetische Streifen lässt sich viel Zeit – wie auch so manch anderer Beitrag. Mut zur Stille, die hier aber immer wieder eher zur endenden, nicht (mehr) vorhandenen Kommunikation eines Paares wird. Dass es sich dabei um zwei Frauen handelt, ist Nebensache.

Manipulation

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Visually Manipulated

Das eigene Medium und den Umgang damit hinterfragte Luca Amhofer. Der Steirer drehte eine Reportage am Rande einer Stadt – eher triste Bilder. Und muss gegen Ende die eigenen Bilder im TV sehen, die in einen ganz anderen Zusammenhand gestellt werden: Visually Manipulated.

Ganze Stadt

Fast eine ganze Stadt, nämlich Heidenreichstein im Waldviertel, ist Teil des Filmprojekts „Agent BBM7 – Lizenz zum flöten“ geworden. Die Theatergruppe KIT des niederösterreichischen Ortes und die Stadtkapelle sind Teil des sehr witzigen Agententhrillers mit ltztlich Live-Tanz-Performance während des Konzerts im Stadtsaal.

Lebendige Insekten

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Crawl

Viel Witz versprüht auch „Crawl“, vielleicht der weltweit einzige Lego-Animationsfilm mit lebendigen Mitspielern – Insekten – und eine Zwerg-Bartagame. Christoph und Lukas Gstrein sowie Lukas Haring (14) verlieren dabei zwar manchmal eine Geschichte – Erde nach der Apokalypse – aus den Augen, das tut dem Film aber keinen Abbruch!

Dauergäste

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Guilt

Handlung hingegen hat „Guilt“. Hier steuert – wie in den meisten Filmen der schon seit Jahren beim Festival vertretenen Gruppe Gurg (Wolf auf Dari, einer der großen Sprachen Afghanistans) – alles auf actiongeladene Kampfszenen zu. Perfekt gespielt, zwei Mitglieder des Teams betreiben auch Kampfsport. Vielleicht noch stärker als in bisherigen Filmen von Zeia, Joma und Yasin Gholam, Kathrin Schneller und Patrick Riesenberger sind sie „nur“ Teil einer auch schauspielerisch überzeugenden Handlung. Und die Action-Szenen sind neben ihrer Perfektion auch überspitzt und ziemlich witzig.

www.videoundfilmtage.at

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