Szenenfoto aus "Töchter des Jihad"

© Mark Mosman

Szenische Textmontage

Das Werben um junge Frauen

"Töchter des Jihad" im Wiener Kosmostheater: Herzhaft gespielte Textmontage aus Blogs und "Ratgebern" von und für junge Frauen, die von Europa in den IS ziehen.

von Heinz Wagner

05/05/2016, 04:36 PM

Die Kopie eines riesigen orientalischen Teppichs – zerschnitten und zerstückelt – hängt von der Bühnendecke, weitere große Teile liegen auf dem Boden. Darauf stehen drei Staubsauger, deren Rohre später zu Gewehren werden. Allein schon das deutet vor Beginn darauf hin, dass „Töchter des Jihad“ von Barbara Herold – wieder wie schon frühere Stücke – in ein ernstes Thema den einen oder anderen Schuss (pardon in diesem Zusammenhang) Humor einbringt. Die Vermutung/Erwartung wird nicht enttäuscht. Und keine Angst: Ihr Humor verniedlicht weder, noch macht er sich lächerlich. Und das Stück wandert auch nie nur am Rande der Verunglimpfung einer ganzen Religion, die praktisch von beiden Seiten in Geiselhaft genommen zu werden droht.

Allmächtiger...

Rein ins konkrete Stück: Das beginnt schon mit oft übersehenen Gemeinsamkeiten großer Weltreligionen: Großer Gott wir loben dich tönt als Choral im Hintergrund, während parallel „Allah is calling you!“ gerufen wird. Und noch eine „Religion“ wird mit dem Auftritt des Schauspiel-Trios sichtbar: Leicht verfremdete Symbole bekannter Weltmarken (Sport, Getränke, Fast Food).

Die eineinhalb Stunden, die sich um die Anwerbung von jungen Frauen in Europa für den sogenannten Islamischen Staat und das Leben in diesem drehen, bestehen praktisch ausschließlich aus der Montage von (übersetzten) Originalzitaten – aus Blogs und Videos , aus „Ratgebern“.

Bei der Leere ansetzen

Dazu zählt etwas gezieltes „Anquatschen“ junger Frauen in Foren durch Kämpfer, das Arbeiten mit psychologischer Zuckerbrot- und Peitsche-Masche – Anlocken und Druck – mit dem Versprechen auf das gelobte Land – irgendwie erinnert’s an Sekten. Und von Frauen vor Ort Ratschläge, was künftige Gotteskriegerinnen mitnehmen sollten, etwa Hygiene-Artikel. Bedenken chattender Mädchen wegen der Tötung anderer Menschen werden versucht zu zerstreuen durch das Schaffen eines „wir“ und „die“ – Gläubige gegen Ungläubige, Ansetzen an Zweifeln an oft sinnleerer, rein konsumorientierter westlicher Gesellschaften. Ein Mechanismus mit dem in freien, offenen, demokratischen, einigermaßen gleichberechtigten Gesellschaften aufwachsenden Mädchen und jungen Frauen sogar die totale Unterordnung unter die neuen kämpfenden Ehemänner verkauft werden kann.

Realsatire

Zitiert wird etwa aus dem Manifest der Frauenbrigaden Al-Khansaa, wobei es dabei nicht um kämpfende Bataillone, sondern um eine Art Religionspolizei geht, die über die Einhaltung der Regeln wacht: Die Frau, die dem (kämpfenden) Mann stets zu Diensten zu sein hat. Der Koran wird ausgelegt, wie’s die selbst ernannten Kalifats-Herrscher brauchen – selbstverständlich werden auch sämtliche sich aus dem Koran ergebenden grundsätzlichen Einwände islamischer Gelehrter ignoriert.

Und trotz des Ernstes musste die Regisseurin und Autorin kaum humoristische Noten extra einbauen, Zitate und Passagen aus den diversen „Ratgebern“ lesen sich teilweise wie Realsatire. Ein Lachen, das natürlich stets auch wieder im Hals stecken bleibt – „aber ich brauche den Humor in meinen Stücken, damit es verträglich bleibt. Und weil es mich selbst damit mehr berührt“, meint Barbara Herold nach der Premiere zum (Kinder-)KURIER.

Was? Wann? Wo?

Töchter des Jihad
Ein szenisch-dokumentarischer Bilderbogen über Kinder, Küche, Kalaschnikoff und das Leben im IS
Koproduktion von dieheroldfliri.at, KosmosTheater und Theater Reutlingen Die Tonne

Text, Regie: Barbara Herold
Es spielen: Peter Bocek, Maria Fliri, Diana Kashlan
Ausstattung, Video & Trailer: Caro Stark
Choreographie: Anne Thaeter
Regieassistenz: Lisa Suitner

Wann & wo?
Bis 14. Mai (Mi – Sa), 20:30 Uhr
KosmosTheater; 1070 Wien, Siebensterngasse 42
Telefon: (01) 523 12 26
www.kosmostheater.at

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