Schauspielerisch nach (Aus-)Wegen suchen

Schauspielerisch nach (Aus-)Wegen suchen
"Jung - pleite - abgestempelt“ – ein Dutzend junger Leute erarbeitete in einem mehrmonatigen EU-Projekt mit AMS und Armutskonferenz Szenen zu diesem Thema, die nah an der Realtität sind. Nach mehreren Aufführungen in der Steiermark und in Wien ging dieser Tage die letzte Präsentation im Sozialministerium über die Bühne.
Schauspielerisch nach (Aus-)Wegen suchen
Ich hab eine Lehre als Friseurin ang’fangen, aber aufhör’n müssen, weil i an Ausschlag kriagt hab. Und jetzt hab ich noch immer nicht was Richtigs für mich g’funden“, ist die Ausgangsgeschichte der 17-jährigen „Bella“ in dem Forumtheaterstück „Jung Pleite Abgestempelt“. Rund ein Dutzend junger Erwachsener erarbeitete dieses Stück mit drei nicht gerade untypischen Schicksalen ausgegrenzter Jugendlicher in einem mehrmonatigen EU-Projekt ( EU-Social Experimentation ALEN Adult Life Entry Network: Empowerment and Activation of Young People in Disadvantaged Situations) . Viele eigene Erfahrungen bzw. solche aus dem Freundeskreis flossen ein. Bei den Aufführungen der Szenen haben Zuschauer_innen in einer zweiten Runde die Chance, „Stopp“ zu sagen und in eine der Rollen einzusteigen, um anders zu (re)agieren oder es wenigstens auszuprobieren. Das ist DAS Prinzip von Forumtheater.

Selbstbewusstsein stärken

Schauspielerisch nach (Aus-)Wegen suchen
... wo nicht alle Projektteilnehmer_innen dabei sein konnten.
Wobei die Entwicklung von Szenen, das (Vor-)Spielen zwar wichtige Elemente des Projekts waren, aber bei weitem nicht die einzigen. Sich und eigene Berufswünsche zu finden und vor allem an sich glauben zu lernen und Selbstwertgefühl – oft erstmals im Leben – vermittelt zu bekommen nannten einige der jungen Leute dem KURIER als wesentliche Erfahrungen des Projekts. Und aus eigenen Erfahrungen, der Arbeit an den Szenen, dem Rollenspiel und der Recherche Forderungen an die Politik zu entwickeln.
„Ich hab das erste Mal erlebt, dass ich so sein darf, wie ich bin“, meinte etwaTatjana Bliem(20) Wichtig für mich war auch, dass Spielerische, das aktiv sein können, dürfen, ja sogar müssen, sich zu bewegen, in die rollen zu schlüpfen, wieder ein bisschen Kind sein zu dürfen.“
„Alle, auch die Leiter, haben von Anfang an auf gleicher Augenhöhe miteinander geredet. Du hast dich auf einmal wichtig genommen gefühlt. Vorher war mir schon alles und waren mir schon alle wurscht, wenn ich durch die Straßen von Graz gegangen bin, hab ich gar niemanden mehr wahr genommen, aber da bin ich Schritt für Schritt wieder mitten ins Leben reingekommen“, schildert die 23-jährigeStephanie Leitingereinen wichtigen Aspekt des Projekts.
Bernhard Hufnagl, mit 19 einer der jüngsten Teilnehmer, gesteht „Ich hab mich vorher schon nicht einmal richtig vor die Tür getraut, so wenig Selbstbewusstsein hab ich g’habt. Durch das Vor-Spielen in der Gruppe, wo von Anfang an viel Vertrauen da war, ist das langsam besser geworden. Und mit jedem Mal, wo du für eine kleine Szene von den andern gelobt worden bist, bist du gewachsen.“ Selbst Kritik sei positiv gekommen, werfen die beiden anderen ein. „Da haben die anderen gesagt, schau mal, probier’s doch einmal eher so oder… Außerdem hast du gespürt, dass es alle anderen nur lieb mit dir meinen!“
„Ich hab für nichts gebrannt, hab eine halbe Lehre als Goldschmiedin, in die ich auch nur zufällig reingestolpert bin und eine halbe als Buchhalterin, aber was ich wirklich will? Hier in dem Projekt hab ich auch erstmals gelernt, meine Gefühle zu zeigen, raus zu lassen, damit um zu gehen, aber so, dass ich andere trotzdem nicht verletze. Wir hatten auch Affekt-Kontroll-Training. Mich haben diese neuen Monate persönlich sehr viel weiter gebracht, vor allem, dass ich nicht zum emotionalen Krüppel werde“, freut sich die 24-jährigeLivia Moser. „Am Anfang des Projekts wurden wir unter anderem gefragt, „Bist du der Mittelpunkt deines Lebens?“ Da hab ich spontan „nein“ gesagt. Heute bin ich auf dem besten Weg dazu, „ja“ zu sagen!“

www.interact-online.org
www.armutskonferenz.at
www.ams.at

Für den Bereich des Arbeitsmarktservices:
+ Mehr individuelles Job-Coaching, Sinn stiftende Kurse und Projekte, die das Selbstbewusstsein stärken.
+ Schulung für die Beraterinnen und Berater, nicht zuletzt in die Richtung, das sie mit ihren Klientinnen und Klienten auf Augenhöhe kommunizieren.
+ Nach passenden Lösungen für den einzelnen Menschen suchen, auch wenn das mehr Zeit braucht – die letztlich oft dann wieder erspart würde, weil es weniger oft zum Drehtüreffekt kommt – weggeschoben, wieder beim AMS usw.
+ Mehr Kompetenz beim Umgang mit MigrantInnen.

Für Schule und Bildung wünschen sich die Teilnehmer_innen dieses EU-Projekts:
+ Mehr Raum für Kreativität und Individualität, Respekt und Förderung/Aufbau von Selbstwertgefühl statt Runtermachen und demotivieren.
+ Mehr Schulsozialarbeit.
+ Auffangen von SchulabbrecherInnen – unter dem Motto: Hilfe statt Strafe.
+ Förderung von und mehr Peergroups sowie Anti-Gewalt und –Mobbing-Trainings und Workshops
+ Inklusion ALLER Jugendlichen: Maßnahmen zur Unterstützung und Förderung von vielfalt und zwar mit dem Blick auf individuelle Bedürfnisse UND auf die Stärkung des Gemeinwohls“.
+ Bessere pädagogische Schulung für LehrerInnen sowie bessere Unterstützung für „schwierige“ fälle und Situationen.
+ Ganztags- und gemeinsame Schule bis 16 mit hoher pädagogischer Qualität und kreativen Freiräumen.
+ Nicht gleich beim kleinsten Problem Psychopharmaka verschreiben.
+ Kürzere Wartezeiten für (Psycho-)Therapieplätze, die von der Kasse zu bezahlen wären.

Und generell an alle Erwachsenen gerichtet im Umgang mit Kindern und Jugendlichen:
Ernst nehmen, Respekt, Begegnung auf Augenhöhe und besonders Jugendliche nicht immer nur als „Problem“ sehen und bezeichnen, sondern anerkennen und fördern was sie auch alles können.

„Max“ zum Beispiel, Hauptprotagonist in einer der drei Szenen, ist ein toller Beatboxer. Doch hier interessiert’s keinen, weil er bei jeder Mathe-Schularbeit Schule schwänzt. Und sein Darsteller, Ivan Litvinkin, würde so gern Tontechniker werden, wurde bei der Suche nach einer Lehrstelle allerdings nicht fündig.

AMS-Chef Johannes Kopf überlegt, dieses Forumtheaterstück – wie ein früheres – vor Jugendbetreuerinnen und -betreuer des Arbeitsmarktservices aufführen zu lassen, verrät er dem KURIER. Eine Detailforderung will er jedenfalls aufgreifen und für ihre Realisierung eintreten: Die DLU (Deckung des Lebensunterhaltes) beträgt für Unter- 18-Jährige nur 9 Euro pro Tag und steigt nach der Volljährigkeit auf ein bisschen mehr als das Doppelte (20 Euro). Wer als Jugendliche/r in so ein Projekt einsteigt und währenddessen 18 wird, schaut aber durch die Finger, die Erhöhung gibt’s nicht. „Ich hab versprochen, das in den Verwaltungsrat zu bringen und eine Lösung zu suchen, auch wenn’s EDV-technisch nicht ganz einfach ist!“
Das müsse sich sicher machen lassen, meinte Sozialminister Rudolf Hundstorfer als der politisch dafür Zuständige zum KURIER. Immerhin entsendet er ja den Vorsitzenden im Verwaltungsrat. „Und dass es da und dort zwischen Beratern und Jugendlichen einmal nicht passt, das mag schon stimmen, wir haben 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ganz Österreich… da menschelt“s halt auch ein bisschen, aber das ist sicher nicht system-immanent. Und besser werden, ja das können wir schon immer, aber wir tun ja auch einiges, dieses Theaterprojekte sind ein so ein Beispiel.“

Methode überall einsetzen

„Ein Super-Stück“, ist die erste Reaktion der Wiener Gemeinderätin und Landtagsabgeordneten Tanja Wehsely, die Maßnahmen zur Ausbildungsgarantie in der Bundeshauptstadt koordiniert. „Das Forumtheater ist eine tolle Methode. Sie steigert nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern eröffnet auch Handlungsspielräume – durch eigene Aktivitäten und eigenes Tun der Jugendlichen. Solche und ähnliche Methoden sollten in alle Projekte und Maßnahmen einfließen und eingebaut werden“, wünscht sie sich für Jugendliche.

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