Gang-Konzert und berührende Doppelstunde

Gang-Konzert mit Moša Šišić, Stanko Marinković, genannt Jerry, Ljubiša Pelkić und zeitweise der Schülerin Dragana Žurž.
Roma-Schwerpunkt im Rahmen eines einwöchigen Zeitgeschichteprojekts in der Mittelschule Mira-Lobe-Weg (Wien). Viele Fotos und ein Video.

Beschwingte, zeitweise auch melancholische, ruhige Töne aus Geigen und Gitarren hallten an diesem Vormittag für rund eine Schulstunde lang durch die Gänge und durchs Stiegenhaus der NMS Mira-Lobe-Weg am Rande der Siedlung Rennbahnweg in Wien-Donaustadt. Vor dem Aufgang in den ersten Stock war eine kleine Tonanlage aufgebaut. Drei Musiker hatten ihre Instrumente mitgebracht. Zeitweise wurden sie von einer musizierenden Schülerin unterstützt.

Gang-Konzert und berührende Doppelstunde
Bildhafte Impressionen vom Konzert auf dem Gang der Mira-Lobe-MittelSchule in Wien-Donaustadt...
Die Stufen vom Erdgeschoß bis zum Treppenabsatz hinauf in den ersten Stock waren voll besetzt mit jugendlichen Zuhörer_innen. Weiter hinauf standen einige und am Gang im Erdgeschoß ebenfalls. Das Konzert spielte sich im Rahmen der Zeitgeschichte-Projektwoche „Was hat das mit mir zu tun?“ vor den Osterferien ab. Gekommen waren die drei Musiker Moša Šišić, Stanko Marinković, genannt Jerry und Ljubiša Pelkić. Zeitweise gesellte sich auch eine Schülerin dieser Schule zu dem Trio um mitzugeigen, Dragana Žurž.

Vielfältige Klänge

Gang-Konzert und berührende Doppelstunde
Gang-Konzert
Zu hören war ein musikalischer Mix aus Klängen vom Balkan, die ohnehin eine sehr große Vielfalt umfassen – von Gipsy bis türkischen Einflüssen, von Roma-Liedern bis zu spanischen Melodien. Und was die Musik schon auf einer sinnlichen Ebene vermittelte, fasst Šišić auch in Worte: Egal ob Bibel oder Koran, ob dieser oder jener oder gar kein Gott, egal woher, wurscht ob Mann oder Frau – es geht ums Mensch sein. Und, so der „Teufelsgeiger“, der zwar nicht hier, aber immer wieder bei Konzerten, seinem Instrument auch mit Kämmen, Stöckelschuhen und anderen Dingen anstelle des Bogens Melodien entlockt, er freue sich auch, dass nun immer mehr Mädchen Geige spielen, früher hätten die meisten Roma gemeint, das sei nur was für Buben und Männer. Außerdem betonte Šišić mehrfach, dass er Lernen für sehr wichtig halte.

Daran knüpfte auch Zeitzeuge Stefan Horvath an, der rund zwei Stunden mit Jugendlichen einer vierten Klasse sprach. Hochkonzentriert und sprichwörtlich mucksmäuschenstill war’s im Klassenzimmer – und wer 13-, 14-jährige Schüler_innen kennt ... ;)

Ausgeschlossen

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Stefan Horwath erzählt den Jugendlichen aus seinem bewegten Leben
Horvath, Vater eines jener vier jungen Männer, die im Februar 1995 von einer Bombe am Rande der Roma-Siedlung von Oberwart ermordet worden war, erzählte aus seinem bewegten Leben. Schon als Kind erlebte er hautnah Diskriminierung. Praktisch alle Roma durften in keine weiterführende Schule gehen. Sogar der Hauptschulbesuch war für ihn eine Ausnahme, die ein wohlmeinender Volksschullehrer für ihn durchsetzte. Die Aufnahmsprüfung für die Handelsschule bestand er – wie Jahrzehnte später eine Akteneinsicht ergab – hervorragend. Und wurde trotzdem abgewiesen. Eine bereits fix zugesagte Lehrstelle wurde ihm wieder kurzfristig entzogen – mit Hinweis auf seine Volkgsgruppenzugehörigkeit, um es harmlos zu formulieren.

Schriftsteller

Gang-Konzert und berührende Doppelstunde
Hier zeigt er die Kopie eines Klassenfotos aus seiner Volksschulzeit.
Und dennoch nahm Stefan Horvath vieles davon lange mehr oder minder hin. Erst mit der Ermordung der vier jungen Männer durch den Briefbomber Franz Fuchs begann er sich bewusst und intensiv mit dem auseinander zu setzen, was Roma und Sinti immer wieder angetan wird und mit ihrer Geschichte. Ab da wurde Stefan Horvath neben seinem Beruf auch zum Schriftsteller, wobei er mit Gedichten startete. Und er geht seither in Schulen, um Jugendlichen über seine Geschichte und die der Volksgruppe zu schildern. Mit schier noch immer beinahe unglaublich erscheinenden Erlebnisse. Einer seiner Söhne lebt seit rund zehn Jahren mit einer Gadže, wie Roma Angehörige der Mehrheitsbevölkerung bezeichnen, zusammen. Sie haben auch ein Kind. Und dessen Opa besucht die Familie nicht und nicht, wenn Horvaths Sohn daheim ist, weil er Rom ist. Und das in Österreich im Jahr 2015 ;(

Info-Tafeln

Gang-Konzert und berührende Doppelstunde
Dragana Žurž, Idris Ramadan, Toni Pakić und Daniel Lucić erklären einige der informativen Tafeln.
Im Klassenzimmer stehen und hängen mehr als ein halbes Dutzend informative Tafeln zur Geschichte von Roma, Sinti und anderen Zweigen dieser mehrere Millionen Menschen umfassenden Volksgruppe, die über viele Länder verstreut leben. Dragana Žurž, Idris Ramadan, Toni Pakić und Daniel Lucić vertrauen dem Kinder-KURIER an, „dass selbst für uns vieles neu war, das wir in dieser Woche gelernt haben – von den Sprachen bis zu dem, wie Roma immer wieder und immer noch beschämt und verspottet werden“.

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