Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne

Szenenfoto aus "Patricks Trick", Next Liberty (Graz)
Grazer Jugendtheater Next Liberty zeigte bei „Patricks Trick“ erstmals ein Stück mit Simultan-Übersetzung in Gebärdensprache.

Update 6. Februar 2017, 13.22 Uhr: Ergänzt um Link zu den Aufführungen in Gebärdensprache im Wiener Figurentheater Lilarum.
Update 15. Februar 2017, 15.44 Uhr: Ergänzt um Gastspieltermine im Wiener Theater Akzent.

Der eine oder andere Satz auf Englisch – weil vom Englischlehrer die Rede ist. Der eine oder andere Brocken Kroatisch, weil die Hauptfigur Patrick auf den coolen Danijel trifft, vor dem alle anderen Angst haben und weil er mit dem „kroatischen“ Boxtrainer als einer der wenigen in ein wirklich gutes Gespräch kommt. Und dann natürlich diverse Sprachfärbungen des Deutschen – das alles ist in jeder Aufführung der sehr dichten, trotz des ernsthaften Themas neben der Spielfreude und dem Spielwitz sehr humorvollen Inszenierung von Kristo Šagors „Patricks Trick“ im Grazer Jugendtheater Next Liberty zu hören.

Aber: Am vergangenen Samstag (4. Februar) kam eine weitere Sprache hinzu – eine, die „nur“ zu sehen, dafür aber die gesamte Stunde auf der Bühne präsent war. Erstmals wurde live und simultan in Gebärdensprache übersetzt. Rund fünf Dutzend Besucherinnen und Besucher konnten so das Stück überhaupt erst genießen – was sie sichtlich – auch lange nach der Aufführung im Foyer noch zum Ausdruck brachten. So manch andere, die Gebärden- und Lautsprache beherrschen, hatten aber auch viel mehr von dieser Aufführung. Aufgrund einer hochgradigen Hörbeeinträchtigung würden sie sich gerade bei diesem Stück schwer tun. Die beiden Hauptfiguren reden nicht selten gleichzeitig, durcheinander und schlüpfen blitzschnell in andere Rollen. Doch dazu später.

Vielschichtiges Stück

Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
Szenenfoto aus "Patricks Trick", Next Liberty (Graz)
Zunächst zu „Patricks Trick“. Zwei junge Typen spielen mit einem kleinen Ball so etwas wie Fußball-Tennis über einen gelben Balken. Von denen gibt es noch drei weitere. Das war's an Bühnenbild. Aber das hat's in sich – vom Ballspielplatz zur Wohnung, zur Schule, zum Boxring, zu was auch immer – wenige Handgriffe der beiden einzigen Darsteller (in die meisten Rollen schlüpft Michael Großschädl) reichen, um den Schauplatzwechsel zu etablieren.

Die 11-jährige Hauptfigur (Christoph Steiner) kriegt zu Hause ein geheimnisvoll im Flüsterton geführtes Gespräch seiner Eltern mit. Er, der sich so sehnsüchtig einen Bruder, aber einen größeren wünscht, bekommt – vielleicht – ein Geschwisterchen, aber... Irgendwas stimmt da nicht. Sorgenvolle Eltern, ein anderes Mal ist die Rede von Trisomie, von Behinderung, von nie richtig sprechen lernen können... Und so macht sich Patrick selbst auf den Weg, sucht Rat und Hilfestellung – landet bei den schon erwähnten und etlichen weiteren Personen. Der aber, mit dem er am meisten redet, ist der noch ungeborene Bruder, der ihn um Hilfe bittet. Und als die Eltern sich endlich entschließen, ihrem Sohn zu eröffnen, was Sache ist, gibt er sich nicht nur als der Coole, der sie stärkt, er ist es auch schon geworden: „Ich wollte zwar immer einen großen Bruder, jetzt bin ich selber der größere Bruder!“

Live-Übersetzung

Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
Patricks Trick, Next Liberty, Gebärden-gedolmetscht
Und nun zurück zur Spezialvorstellung. Da es gerade in diesem Stück viel um Sprache, sprechen lernen geht: „Wo und wie hast du Deutsch gelernt?“, fragt Patrick den Boxtrainer. „Genau wie Du, ich bin hier aufgewachsen!“, kontert dieser. Großes Thema ist natürlich in diesem Stück der künftige neue Erdenbewohner, Patricks Bruder, der sich vielleicht insgesamt mit dem Sprechen-lernen schwer tun könnte. Deswegen entwickelte das Grazer Jugendtheater Next Liberty gemeinsam mit dem österreichischen Gebärdensprach-DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen-Verband sowie dem steirischen Landesverband der Gehörlosenvereine dieses Pilotprojekt. Zwei ausgebildete Dolmetscherinnen besuchten Proben, sprachen im Vorfeld mit den Schauspielern UND mit Gebärden-Muttersprachler_innen. Mit der reinen Übersetzung ist es ja nicht getan. Noch dazu wo sich manches nicht eins zu eins dolmetschen lässt, wie etwa Mareidi Pibernik dem Kinder-KURIER erklärt. „Bei Reimen wie ene, mene, mu“, wo dann die Hörenden lachen, musst du dir was einfallen lassen, damit den Schwer- oder Nicht-Hörenden klar ist, weshalb die anderen lachen.“ Oder wenn ein Fantasiewort geboren wird wie „rauschelbäräugig“ wie ihre Kollegin Eva Anderhuber-Tutsch anschaulich illustriert.

Alle haben was davon

Aber auch die hörenden Besucherinnen und Besucher hatten einen Zusatznutzen – nicht nur, dass viele erstmals die Gebärdensprache live erlebten, so manches Vokabel könnte hängen geblieben sein, beispielsweise das für „Milch“, das recht oft als Spitzname vorkommt – Daumen und Zeigefinger von der Faust nach oben und unten weg gestreckt und beide Hände in der Höhe des Mundes ein paar Mal auf- und ab bewegt – erinnert ein wenig an melken.

Zwei Formen von „Oida“

Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
Mareidi, Eva, Niklas und Caroline gebärden "Oida", wie es die beiden Dolmetscherinnen im Stück mach(t)en...
Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
... und nun so, wie es Caroline verschlug
Überlegen mussten beide auch wie sie „Oida“ übersetzen. „Das gibt’s so in der Gebärdensprache nicht, aber klar war, es musste was Cooles sein“ und sie ziehen gespreitzten Daumen und Zeigefinger ungefähr aus der Kopfhöhe vor der Brustleicht nach unten. Die 17-jährige Caroline steht vor der Bühne und zeigt, dass sie's anders gebärden würde und hält die rechte Hand flach vor das Herz – erinnert an die von vielen ähnlich (meist mit der Faust) verwendete „Respekt“-Geste.

Sie und Niklas (14), beides muttersprachlich gebärdend, aber auch der Lautsprache mächtig, erzählen im Gespräch mit dem KiKu, dass sie bisher mit ihren Schulen – Fachschule für Sozialmanagement die eine, HiB Liebenau der andere - „schon im Theater waren“. Niklas hatte manchmal eine eigene Gebärdendolmetscherin neben sich sitzen. „Aber ansonsten haben wir halt nicht immer alles verstanden.“ Die komplette Live-Übersetzung – zu der es vor der Vorstellung noch eine Einführung gab, bei der die Dolmetscherinnen die Schauspieler und ihre Rollen vorstellten - „war was ganz Neues. So haben wir“ so beide übereinstimmend „einfach alles verstanden.“ Wenn durcheinander und gleichzeitig geredet wird, ginge sonst einiges verloren.

Und zum Stück selber sind die beiden Jugendlichen auch in zwei Worten einer Meinung: „Komisch und cool“.

Weitere Stücke

Beide fanden's flott und gut. „Komisch“ war für Niklas, „dass sie so viele verschiedene Rollen gespielt haben“ und Caroline erklärte das mit, „dass nur zwei Leute gespielt haben“.

„Patricks Trick“ wird ein weiteres Mal, am 1. April 2017, live gedolmetscht. Das Next Liberty will aber auch weitere Stücke auf diese Art und Weise – direkt auf der Bühne – in Gebärdensprache zeigen. Auch dazu gab es einen Fragebogen für die Besucher_innen, die schwer oder nichts hören. Das Theater will wissen, welche Themen oder Theatergenres sie interessieren (würden).

Andere Theater

Jedenfalls ist diese Version sicher die bessere als jene, die das Theater der Jugend beim Stück „The Miracle Worker“ über Helen Keller, die im Alter von eineinhalb Jahren Seh- und Hörsinn verlor und dennoch später eine bekannte Schriftstellerin wurde, probierte: Untertitel – aber auf einem Monitor doch recht weit abseits der Bühne, so dass die betreffenden Zuseher_innen ständig ihre Köpfe hin und her drehen mussten: Hier geht's zur Kiku-Story über diese Wiener Aufführung.

Seit 2003 zeigt das Figurentheater Lilarum in Wien regelmäßig Vorstellungen mit Live-Übersetzung in Gebärdensprache (knapp neben der Bühne). Alle kommenden Termine der zweisprachigen Aufführungen findest du hier: http://lilarum.at/oegs.html

Obwohl seit dem Vorjahr Barriere-Freiheit gesetzlich verankert ist, hat sich hier in Österreich im Kulturbereich bislang recht wenig getan ;(

Compliance-Hinweis: Die Fahrtkosten von Wien nach Graz werden vom Theater Next Liberty übernommen.

Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
Szenenfoto aus "Patricks Trick", Next Liberty (Graz)
Patricks Trick
von Kristo Šagor
55 Minuten, ab 10 J.

Inszenierung: Helge Stradner
Patrick: Christoph Steiner
Sein (noch
ungeborener)
Bruder: Michael Großschädl

Ausstattung: Denise Heschl
Regieassistenz: Julia Zach

Live-Simultan Gebärdendolmetscherinnen: Mareidi Pibernik, Eva Anderhuber-Tutsch

Aufführungsrechte: Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin

Zwei Sprachen gleichzeitig auf der Bühne
Szenenfoto aus "Patricks Trick", Next Liberty (Graz)
Wann & wo?
Bis 17. Mai 2017
Nächste Vorstellung mit Gebärden-Übersetzung: 1. April 2017

Next Liberty, Graz:
Telefon: (0316) 8008-1129
nextliberty.com

Gastspiel im Theater Akzent in Wien
(ohne Gebärden-Übersetzung)
24. März, 10 und 19 Uhr
1040, Theresianumgasse 18
www.akzent.at

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