BG 19: Geschichte in Begegnungen erforschen

BG 19: Geschichte in Begegnungen erforschen
Leon-Zelman-Preis an Wiener Schule für Geschichte-Projekte

104 Schülerinnen und Schüler aus der Schule geschmissen, 21 Absolventinnen und Absolventen sowie zwei Lehrer ermordet. Ärger als jeder Amoklauf. Passiert in Wien. Im BG 19, in der Döblinger Gymnasiumstraße. Zwischen 1938 und 1945. Und ähnlich ging’s in vielen anderen Schulen zu. Weil die Nazis, die die Macht ergriffen hatten, Jüdinnen und Juden (und andere von ihnen als minderwertige oder feindlich eingestufte Menschen) ausrotten wollten, verwehrten sie ihnen gleich in den ersten Wochen und Monaten nach der Machtübernahme den Besuch normaler Schulen.

Noch Jahrzehnte nach der Befreiung von der Terrorherrschaft im April und Mai 1945 wurden diese Tatsachen mehr oder wenige verschwiegen. Erst rund 40 Jahre nach Beginn der 2. Republik begann in der einen oder anderen Schule die Aufarbeitung auch der eigenen Geschichte. Die Schulgemeinschaft des BG 19 zählte mit zu den frühen Aufräumern des geistigen Schutts. Und wurde dafür samt dem treibenden Geschichts- und Deutschlehrer Martin Krist kürzlich mit dem heuer zum zweiten Mal verliehenen Leon-Zelman-Preis feierlich im Wiener Rathaus ausgezeichnet.

Gemeinsam forschen

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Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern begann er früh die alten Schulkataloge aus den Archiven durchzuackern. Dabei kam man drauf, dass eben mehr als 100 Kinder und Jugendliche als Jüd_innen aus der Schule ausgeschlossen worden waren. Damals noch mühsam – Internet gab es noch nicht – versuchten die an Geschichte interessierten Jugendlichen mit ihrem Lehrer Informationen aufzutreiben, wer davon rechtzeitig flüchten konnten, überlebt hatte, vielleicht noch am Leben war. Briefe wurden verschickt. Und einige Antworten kamen. Unter anderem von Reinhold Eckfeld aus Australien. Mit ihm entstand ein länger dauernder Kontakt. Aus seinen Schilderungen, u.a. wie er als 17-Jähriger zur Zeit des Novemberpogroms (10. November 1938) verhaftet wurde, entstand „Letzte Monate in Wien“, ein Buch über seine Erinnerungen. Aus diesem lasen zum 75. Jahrestag im November 2013 Schüler_innen der achten Klasse. Eckfeld selbst hatte eine Videobotschaft aus Melbourne geschickt.

Begegnungen

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„Wir sind auch die Stationen zu Fuß abgegangen, die Herr Eckfeld beschrieben hat“, beschreiben Ania gleich und Linda Pietsch. Die beiden haben Anfang Juni maturiert und erinnern die Gäste und sich bei der Preisverleihung an die Geschichtsprojekte, die die meisten Schülerinnen und Schüler begeistert und oft weit über die Unterrichtszeit hinaus betreiben haben. „Man kann sich das gar nicht wirklich vorstellen, wie es war. Aber jedenfalls haben wir durch diese Lebensgeschichte und andere Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr verstanden und begriffen als es durch Schock-Bilder möglich gewesen wäre. Viele dieser Menschen haben auch Humor und Selbstbewusstsein ausgestrahlt. Vor allem haben wir gelernt, was wir aus der Vergangenheit für uns und heute mitnehmen können – gegen Rassismus und für Miteinander und Toleranz“, bringen die beiden Jugendlichen kurz auf den Punkt, was die Projekte brachten.

Brücken der Verständigung

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Und unterstreichen damit nur, weshalb die Schulgemeinschaft und der engagierte Lehrer mit dem Preis ausgezeichnet wurden, der auch das Wirken Leon Zelmans selbst ehrend gedenken will. Der Gründers des Jewish Welcome Services Vienna, der selbst in Konzentrationslagern überlebte, aber den Großteil seiner Familie verlor, wollte trotzdem nach dem 2. Weltkrieg eine Brücke der Verständigung zwischen Wien und den überlebenden Vertriebenen bauen, sie dazu bewegen aus allen Teilen der Welt doch nach Wien zu kommen und zu sehen, dass sich doch einiges geändert hat. Deswegen setzte er auch so stark auf die Jugend.

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