Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?

Jung "besetzte" Sitze der Abgeordneten im Sitzungssaal des Nationalrates
Reportage: 95 Teenager diskutieren über Umgang mit „Hate Speech“: Ja zu Regeln & Strafen. Noch besser, sagen viele, wäre mehr „soziale Begegnungen“.

Update, 11. November 2016, 22.05 Uhr: Ergänzung um Beschlüsse (Entschließungsanträge).

Was tun gegen Hass – nicht zuletzt im Netz? Bevor es kommende Woche eine Enquete des österreichischen Bundesrates zu diesem Thema unter dem Titel #Digital Courage gibt, diskutierten am Freitag 95 Lehrlinge aus 16 Betrieben mit 19 verschiedenen Berufen dazu. Für diesen Tag schlüpften sie in die Rolle von Abgeordneten. In fünf Klubs - gelb, weiß, violett, grau und türkis – sowie in zwei Ausschuss-Sitzungen und einer abschließenden Plenardebatte arbeiteten sie zu einem (noch?) fiktiven Gesetzesvorschlag. Damit sollte der § 283 des Strafgesetzbuches (Verhetzung) geändert werden. Unter dem Schlagwort Hate Speech-Gesetz ist vorgesehen, jene streng zu bestrafen, die zu Gewalt gegen Menschengruppen – Herkunft, Sprache, Religion, Geschlecht, Alter... bis Behinderung usw. – aufrufen, zu Hass gegen sie aufstacheln... Strafrahmen bis zu zwei und wenn es über Medien erfolgt bis zu drei Jahren. Die Geldstrafen stehen nun in der am Nachmittag beschlossenen Gesetzesvariante. Wer die Aufrufe zu Gewalt und Hass in Medien verbreitet muss mit höheren Strafen rechnen, ebenso „wer diese Taten als Person des öffentlichen Lebens oder als Autoritätsperson begeht.“

Sozialstunden vor oder statt Gefängnis

In der ersten Ausschuss-Sitzung hinterfragten Vertreter mehrerer Klubs, ob der Begriff Weltanschauung nicht zu schwammig wäre oder sich dahinter auch Neonazis oder IS-Sympathisanten verstecken könnten. Klub grau regte an, auf die Aufzählung von Gruppen zu verzichten, sondern nur „Menschen“ zu schreiben, weil vielleicht die eine oder andere Gruppe in einer Gesetzesformulierung vergessen werden könnte. Und praktisch alle fünf Fraktionen schlugen vor, auch Geldstrafen und vor allem Sozialstunden als Maßnahme vorzusehen.

Interviews

Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?
Samira Shady Sany
„Bisher hab ich mich nicht so direkt mit dem Thema beschäftigt“, meintSamira Shady Sany, Pressesprecherin des violetten Klubs zum Kinder-KURIER. „Klar, du begegnest in den sozialen Netzwerken Beschimpfungen, aber ich hab früher eher gemeint, man solle das nicht so aufbauschen, sonst wird’s nur ärger. Aber es wurde ärger und ich find’s gut, dass es dazu Regeln geben soll“, so die junge Erwachsene, die nach der Matura nun eine Elektronik-Lehre bei Kapsch macht. „Das direkte Ansprechen solcher Leute im Netz bringt oft nicht so viel, drum braucht es auch ein Verbot und Strafen.“
Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?
Ahmed Schierbauer
Ihr KollegeAhmed Schierbauer(Klub grau) ist da ein bisschen anderer Ansicht. „Es braucht schon Gesetze, aber ich kämpfe schon lange selber in den sozialen Medien dagegen, dass gehetzt wird und auch viele Falschmeldungen verbreitet werden. Im ersten Moment ist es dann oft nicht einfach, da schreiben dann viel so etwas wie ,Du hast ja keine Ahnung vom Leben‘. Aber wenn du dran bleibst, dann kommt’s schon auch vor, dass solche Leute dann irgendwann schreiben: ,eigentlich hast du recht!‘ Und das ist mir schon oft so passiert. Trotzdem ist es gut, dass wir hier heute über ein solches Gesetz diskutieren. Der Entwurf ist auch schon brauchbar, aber was auf jeden Fall noch gut wäre, dass Leute, die hetzen eher zu sozialer Arbeit zur Begegnung mit solchen Menschen angehalten werden. Erst dann kapieren sie hoffentlich, dass die anderen auch einfach Menschen sind.“
Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?
Dominik Wachter
Dominik Wachter(Klub weiß) absolviert seine Lehre bei Porsche in Wr. Neustadt. „Auf Facebook gibt’s leider viel zu viel Hass-Meldungen. Es wäre viel schöner, gäbe es viel mehr positive Nachrichten. Es ist sehr gut, dass da jetzt was dagegen getan werden soll, dass so viel Vorurteile verbreitet und gehetzt wird. Am besten wären aber soziale Stunden, weil 90 Prozent der Vorurteile kommen ja aus Unwissen. Wenn sich die Leute wirklich treffen, dann können solche falschen Urteile überwunden werden. Vor allem aber find ich gut, dass wir Jugendliche da selbst mitreden und diskutieren und Vorschläge machen können. Und wir hier im Parlament auch ganz ernst genommen werden. Wir vom Klub Weiß wollen aber auf jeden Fall auch noch das Aussehen reinbringen, weil wir finden, dass Hetze gegen Leute mit Piercings oder die dick sind oder... auch bestraft gehört.“
Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?
Patrick Moser
Patrick Moser(Klub türkis), Mediamarkt-Lehrling in Vösendorf: „Ich hab mich bisher schon mit dem Thema beschäftigt, du kommst dem ja eh nicht aus, aber nicht so ausführlich. Und man sollte sicher was dagegen tun. Die Überlegungen sind gut, aber bei den Strafen finde ich und unser Klub, dass vor allem soziale Arbeit helfen könnte. Wenn sich Hetzer mit Flüchtlingen zusammensetzen und sie erst wirklich kennen lernen, erkennen sie in ihnen hoffentlich die Menschen.“
Was tun gegen den Hass - nicht nur - im Internet?
Fabienne Glück
„Bisher ist mir das Thema eher am O... vorbeigegangen“, gestehtFabienne Glück(gelber Klub), Einzelhandels-Lehrling bei der Post, im Gespräch mit dem Kinder-KURIER. „Es war mir eher egal, mich hat’s nicht betroffen. Naja, aber jetzt“, so die Jugendliche nach dem ersten halben Tag im Lehrlingsparlament, „find ich schon, dass es eine wichtige Sache ist, was gegen den Hass zu tun, aber Gefängnisstrafen würd ich schon für übertrieben halten, weil für so manche andere Verbrechen gibt’s auch nur Geldstrafen. Vor allem würd ich Sozialstunden gut finden.“

Entschließungsanträge

In der Plenardebatte brachten mehrere Jung-Abgeordnete für diesen einen Tag insgesamt sieben Entschließungsanträge ein, vier wurden angenommen. In einem wird die Regierung aufgefordert, auch Mobbing per Gesetz zur Straftat zu erklären. Ein anderer wünscht Präventionsprogramme in Schulen mit externen Fachleuten zu den Themenkreisen Hass, Verhetzung, Rassismus und Nationalsozialismus sowie Zivilcourage. Ähnliches – nur erweitert um Workshops zur Konfliktvermeidung – verlangt ein anderer Beschluss. Schließlich solle es eine gesetzliche Verpflichtung geben, dass Betreiber_innen von Online-Plattformen strafbare Postings (Hasspostings) rasch löschen müssen.

www.demokratiewebstatt

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