Zwischen hinschauen, zusehen und Selbstdarstellung

Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"
Bitterböse Satire auf TV-Talkshows mit Betroffenheitsfaktor: „Eine Stille für Frau Schirakesch“ im Wiener Kosmos-Theater.

Die ein war – sagt sie – in der Zelle bei Frau Schirakesch. Die andere will mit ihrem Sager sogar den Bürgerkrieg in Tschundakar ausgelöst haben. Der dritte behauptet, als einziger was vom Krieg zu verstehen, immerhin ist er General. Wobei: Die nächste ist Soldatin Rose ( Julia Schranz), war vor Ort im Einsatz. Sie sagt aber lange fast gar nix, kommt in Wahrheit nicht zu Wort, ständig spricht ihr Vater (Walter Ludwig) vermeintlich in ihrem Namen. Wir befinden uns im Studio einer TV-Talkshow. Einer fiktiven auf einer Theaterbühne, in diesem Fall des Kosmos Theaters in Wien-Neubau.

Scheißhaus

Zwischen hinschauen, zusehen und Selbstdarstellung
Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"

Die Talk-Runde beginnt erst in 77 Minuten. Aber niemand darf mehr den Raum verlassen, ordnet die Moderatorin, Frau Ludowsky (Katharina Solzbacher), an. Das ist aber noch der nebensächlichste Konflikt. Obwohl er indirekt mit DER großen Leistung zu tun hat, die General Gert (Hannes Gastinger) als „Entwicklungshilfe“ der internationalen Truppen in Tschundakar anpreist: Ein hellblaues Häuschen zur Verrichtung der Notdurft, ein Scheißhaus, damit die Markfrauen mit ihrer Burka sich erleichtern könnten. Der General hätte übrigens lieber einen Sessel statt auf dem Sofa zu sitzen – das raube die Würde. Außerdem verlangt er nach einem Podest, wenn er in diesem historischen Moment eine Rede zu halten gedenke.

Der Moment? Frau Schirakesch wird mitten in Tschundakar gesteinigt werden. Deswegen werde die Sendung mit einer symbolischen Schweigeminute beginnen – die erst recht wieder von der Schönheitswettbewerberin Heidrun mit der Frage, ob's schon losgehe, durchbrochen werden wird.

Sprachwitz

Bitterböse, mit sehr viel Sprachwitz hat Theresia Walser vor mehr als einem halben Jahrzehnt diese Satire auf TV-Talkshows mit Betroffenheitsfaktor geschrieben. Derzeit ist eine Version davon am Siebensternplatz zu erleben. Eineinhalb Stunden, die sich sowohl mit der Realität aber noch viel stärker mit der medialen „Ausschlachtung“ punktgenau, pointiert, satirisch auseinandersetzen.

Zwischen hinschauen, zusehen und Selbstdarstellung
Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"

Ein Breitwandmonitor auf dem Boden vor der Bühne, ein kleinerer weit oben über der Couch. Fünf Studiogäste und die Moderatorin auf der giftgrünen gepolsterten Sitzbank. Auch das Studiolicht strahlt grünlich. Im Hintergrund eine Schaufensterpuppe mit gelber Burka. „Noch 77 Minuten bis zur Stille“, kündigt die Moderatorin an. Bis die TV-Talkshow los gehen soll _ mit der schon erwähnten Schweigeminute. Was sich n so manchen Talk-Shows wirklich abspielt, läuft hier jetzt sozusagen davor ab – Positionskämpfe, wer sich besser ins Szene setzte, schöner, glaubwürdiger, überzeugender und was noch alles rüber kommt. Vorgeblich geht es um das Schicksal der Frau, die getötet werden soll, um die Umstände, Frauenunterdrückung – wobei für die beiden Schönheitswettbewerberinnen Heidrun (Marius Michael Huth) und Ruth (Karin Yoko Jochum) das Verbot der Bikiniparade rund um den Bewerb schlimmer zu sein schient als die bevorstehende Ermordung der Frau Schirakesch.

Betroffenheits-Voyeurismus

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Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"

„Sehen wir auch die Hinrichtung?“, wird aus dem Kreis der Talk-Gäste gefragt. „Hinschauen schon, zusehen nicht!“ ist dann doch die einhellige Selbstbegrenzung – bei der mitschwingt, bei einem weiteren Mal diese Grenze dann doch vielleicht zu verschieben, weil das ja die Betroffenheit erhöhen könnte – eine Ausrede für den blutigen Voyeurismus will sich immer finden. Und irgendwie lässt einen das Gefühl nicht los, die Überspitzung, Übertreibung ist so groß nicht.

Zwischen hinschauen, zusehen und Selbstdarstellung
Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"

Eine Stille für Frau Schirakeschvon Theresia Walser

Regie: Dora Schneider Mit: Hannes Gastinger, Marius Michael Huth, Karin Yoko Jochum, Walter Ludwig, Julia Schranz, Katharina Solzbacher Musik: Thomas Richter Ausstattung: Claudia Vallant

Zwischen hinschauen, zusehen und Selbstdarstellung
Szenenfoto aus "Eine Stille für Frau Schirakesch"

Wann & wo?Bis 4. Februar 2017KosmosTheater1070 Wien, Siebensterngasse 42Telefon: 01/523 12 26www.kosmostheater.at

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