„Wo geht’s 'n da zur achtadreißga Bim?“

Naved Parwani
Naved Parwani (19) im Interview mit dem (Kinder-)KURIER: Er will Deutsch und Dialekt lernen

"Die ersten sechs Monate waren, naja, sagen wir sehr schwierig", schildert Naved Parwani (19) dem (Kinder-)KURIER die Zeit im Mega-Lager Traiskirchen. „2000 Leute, keine Chance auf einen Deutschkurs, ewig lange Schlange stehen fürs Essen und sonst nichts zu tun. Du weißt nicht, wie lange du hier bleiben kannst oder musst. Du weißt nicht, ob du überhaupt in Österreich bleiben darfst oder abgeschoben wirst... Aber dann hatte ich das Glück, nach Wien in eine sehr gute, vielleicht die beste WG zu kommen.“

Zwei Klassen übersprungen

Ab dann konnte der damals 16-jährige Flüchtling aus Afghanistan, vielmehr direkt aus Pakistan, „endlich Deutsch lernen“. Jetzt ist er seit drei Jahren und acht Monaten in Österreich. „Ich hab zwar in Afghanistan maturiert - ich hab die 12 Schuljahre in zehn Jahren gemacht und zwei Mal eine Klasse übersprungen. Aber dann mussten meine Mutter und ich weg“, der Vater, ein Arzt, fiel den Taliban zum Opfer. Naved Parwani aus der Provinz Parwan im östlichen Afghanistan, fand mit seiner Mutter zuerst Zuflucht bei Verwandten in Pakistan, wo schon seit Längerem auch Taliban auftauchten. Die Mutter konnte aufgrund von Osteoporose und Bluthochdruck die weitere Flucht nicht mitmachen. „Ich wollte nach Europa.“ Irgendwann fragten die Fluchthelfer/Schlepper den Jugendlichen, ob er hier bleiben wolle. Hier, das war Österreich.

Abendschule, Computerführerschein, studieren

Das Schulzeugnis aus Afghanistan zählte hier nicht, so begann er nach dem Deutschkurs eine Abendschule in der HTL Spengergasse - Programmieren. „Ich hab auch den Computerführerschein gemacht – ECDL, aber ab März will ich online studieren – Business Bachelor. Und ich will die österreichische Staatsbürgerschaft, damit ich meine Mutter herholen kann.“

Deutsch UND Dialekt lernen

„Wo geht’s 'n da zur achtadreißga Bim?“
"Junge Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche - wie wir!", Kampagne der BundesJugendVertretung
Naved Parwani saß Mittwoch Vormittag bei der Pressekonferenz der BundesJugendVertretung über eine Studie zu Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen (UMF) als Betroffener im Podium. Sein Wunsch an die Interessensvertretung und natürlich vor allem an die österreichischen Behörden: „Flüchtlinge, nicht nur Jugendliche, sollten von Anfang an die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen. Aber du musst auch den Dialekt lernen, Hochdeutsch allein nützt dir nichts. Mich hat einmal eine ältere Dame gefragt: „Wo geht’s n da zur achtadreißga Bim?“ da musst du dann erst draufkommen, dass sie die Straßenbahn 38 meint!“ außerdem wünscht er sich möglichst frühe Begegnung mit Österreicherinnen und Österreichern: „Du musst ja die Kultur kennen lernen und wie sich die Leute benehmen, dass es normal ist halbnackte Frauen an der Donau zu sehen...“

Die BundesJugendVertretung (BJV, der gesetzlichen Dachorganisation der allermeisten Jugendorganisationen Österreichs) stellte in den Semesterferien (für Wien und Niederösterreich) im Rahmen ihrer Kampagne #mehralsnurflüchtig eine Studie über Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) – samt einem Betroffenen (siehe Interview) vor. Das Meinungsforschungsinstitut IFES hat zwischen 22. November und 10. Dezember 2015 in einer explorativen face-to-face-Erhebung nach Zufallsprinzip 66 Betroffene befragt. Knapp zwei Drittel kamen aus Afghanistan, nicht ganz ein Fünftel aus Syrien, die anderen von Somalia bis Bangladesch. Vier Fünftel der 13- bis 22-Jährigen waren zwischen 15 und 18, nur 12 Prozent Mädchen.

Zwei Drittel bis zu sechs Monaten in Massenlager

„Wo geht’s 'n da zur achtadreißga Bim?“
Postkarten der BundesJugendVertretung
Die Eindrücke über Österreich lauteten schwerpunktmäßig: „Hilfsbereitschaft“ und „menschliches Verhalten der Österreicher“, „Sicherheit, habe hier Zukunft und keinen Krieg“.
Zwei Drittel mussten allerdings bis zu sechs Monate in einem Erstaufnahmezentrum verbringen, wo immerhin fast die Hälfte in Zimmern mit mehr als acht Betten einquartiert sind. Dort steht nur rund einem Drittel Lernmaterial für Deutsch zur Verfügung, Internet-Anschluss gibt’s da gar nur für 4 von 100 Untergebrachten.

Internet, kochen, (Deutsch) lernen

Nach ihren Wünschen befragt, gaben alle an erster Stelle Internetanschluss an, gefolgt von Zugang zu einer Küche, in der sie selber kochen können, Computerzugang, Deutsch-Lernmaterial und Freizeit-/Sport-/Spiel-Möglichkeiten. Mehr als die Hälfte der Befragten konnte keine Schule besuchen, vier von fünf wünschen sich (mehr) Deutschkurse. Fast zwei Drittel müssen mit allerhöchstens 40 Euro monatlich zur freien Verfügung auskommen, ein Fünftel sogar mit null (in Ziffern 0!), weshalb fast die Hälfte (47 %) angaben, „in öffentlichen Verkehrsmitteln muss ich schwarzfahren, weil ich mir die Tickets nicht leisten kann“.

Schule gibt Tagesstruktur

„Wo geht’s 'n da zur achtadreißga Bim?“
Postkarten der BundesJugendVertretung
Am besten dran sind – und das wünschen sich auch die meisten – jene, die in einer Einrichtung speziell für jugendliche Flüchtlinge oder bei Pflegefamilien – leben. Von diesen besuchen fast die Hälfte (48%) eine Schule, weitere 14 Prozent absolvieren eine Lehre und nochmals 5 % machen eine andere Art der Ausbildung. In den Erstaufnahmezentren haben fast zwei Drittel (62%) keine derartige Chance. Dabei geht es dabei aber noch um weit mehr als die direkte (Aus-)Bildung. Diese strukturiert ja auch den gesamten Tagesablauf. Wo all dies und sogar die Möglichkeit auf einen Deutschkurs fehlt, lesen sich Antworten im Fragebogen in etwa so: „Nichts macht Spaß. Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, seine Kleidung zu waschen. Aufstehen -> irgendwann (in der Früh oder am späten Nachmittag). Dann frühstücken/Mittagessen. Dann wieder ins Zimmer zurückkommen. Jeder Tag gleich.“ Oder „Hier warten wir die ganze Zeit, nichts zu tun. Am Wochenende treffe ich Freunde, versuche ein wenig zu arbeiten, schneide gratis Freunden die Haare, Fußball spielen, Volleyball, Karten spielen, immer wieder versuche ich ein wenig Deutsch zu lernen.“

Mehr mit österreichischen Jugendlichen machen

„Wo geht’s 'n da zur achtadreißga Bim?“
"Junge Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche - wie wir!", Kampagne der BundesJugendVertretung
Mehr als die Hälfte (56%) erleben praktisch nie gemeinsame Aktivitäten mit österreichischen Jugendlichen, wünschen sich das aber sehnlichst.

Meist genannte Wünsche an die BJV, beziehungsweise eigentlich die österreichischen Behörden, sind: Asylverfahren beschleunigen, Recht auf Familiennachzug, keine Abschiebung, Deutsch und die österreichische Kultur (kennen) lernen, Freizeit mit österreichischen Jugendlichen verbringen können Schule besuchen zu können bzw. Einen Beruf erlernen und arbeiten zu dürfen.

Das passt ja nicht so schlecht zum Motto der #mehralsnurflüchtig-Kampagne der BundesJugendVertretung: "Junge Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche - wie wir!"

Zur Kampagne der BundesJugendVertretung: Mehr als nur flüchtig

www.ifes.at

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