80 Jahre und kein bisschen weiser?
„Wir müssen aus der Geschichte lernen! Nie wieder Krieg!“, heißt es doch meist nach dem organisierten gegenseitigen Morden. „Wehret den Anfängen!“ - wird geschlussfolgert. Denn wenn der Krieg sozusagen vor der Tür steht, ist es in der Regel zu spät. Neben ökonomischen Vorbereitungen auf Kriege sind Abwertungen von Menschengruppen häufig DIE geistigen Autobahnen in diese Richtung; die Abkehr von der Grundhaltung wie sie im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – als Lehre aus dem 2. Weltkrieg – festgeschrieben wurde: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Auch wenn nicht wenige Kriege im Namen des einen oder anderen Gottes geführt werden, so sehen viele Gläubige in ihren Religionen viel mehr den Aufruf, alle Menschen, mitunter alle Lebewesen auf dem Planeten als schützens- und achtenswert zu betrachten. 1937 (!) veröffentlichte Ödön von Horváth als dritten seiner Romane „Jugend ohne Gott“. Das engagierte, kleine Theater Spielraum in der Wiener Kaiserstraße bringt dies nun – praktisch in der Originalversion – auf die Bühne – weshalb es auch das „N“-Wort aus Horváths Text verwendet:
„Was schreibt denn da der N? „Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul.‟ – Zu dumm! Also das streich ich durch! Und ich will schon mit roter Tinte an den Rand schreiben: „Sinnlose Verallgemeinerung!‟ – da stocke ich. Aufgepasst, habe ich denn diesen Satz über die Neger in letzter Zeit nicht schon mal gehört? Wo denn nur? Richtig: Er tönte aus dem Lautsprecher im Restaurant und verdarb mir fast den Appetit. Ich lasse den Satz also stehen, denn was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen. Und während ich weiterlese, höre ich immer das Radio: es lispelt, es heult, es bellt, es girrt, es droht – und die Zeitungen drucken es nach, und die Kindlein, sie schreiben es ab.“
Was sich der Lehrer in Horváths Roman jedoch schon erlaubte: Dem N bei der Rückgabe des Heftes zu sagen:„Auch die Neger sind doch Menschen.“
Konsequenz: Der Vater von
Otto N. kam aufgebracht in die Schule und schiss den Lehrer zusammen:„Sie sind sich wohl noch nicht im Klaren darüber, was eine derartige Äußerung über die Neger bedeutet?! Das ist Sabotage am Vaterland! Oh, mir machen Sie nichts vor! Ich weiß es nur zu gut, auf welch
heimlichen Wegen und mit welch perfiden Schlichen das Gift ihrer Humanitätsduselei unschuldige Kinderseelen zu unterhöhlen trachtet!‟
Erschreckende Parallelen
Ähnlich wie beim Stück „Die weiße Rose“, das am Tag vor „Jugend ohne Gott“ Premiere hatte, ließ das überzeugende Schauspiel Parallelen zur aktuellen Wirklichkeit dem Publikum kalte Schauer über die Rücken laufen. Ersteres spielte am Abend jenes Tages an dem der neue Innenminister davon sprach, Asylwerber in Lagern konzentrieren zu wollen, Zweiteres erinnert mit der oben beschriebenen Szene an einen Vorfall in Oberösterreich vor nicht ganz einem Jahr. Als der Vater eines Schülers, FP-Abgeordneter, die Diskussion nach einem Vortrag über Extremismus in einer Linzer Schule abbrechen ließ.
Jugend ohne Gott
von Ödön von Horváth
ca. 1 1/2 Stunden
Eva, Schüler B: Julia Sailer
Schüler N, alle Väter,
Kriminalreporter: Max Kolodej
Schüler T, alle Mütter: Sebastian von Malfèr
Schüler Z: Matti Melchinger
Der Lehrer: Martin Purth
Schuldirektor, Dorfpfarrer/
Julius Cäsar/
Jugendgerichtspräsident: Gunter Matzka
Inszenierung und Dramatisierung: Nicole Metzger
Bühne: Andreas Stockinger
Kostüm: Anna Pollack
Licht: Tom Barcal
Wann & wo?
Bis 9. Februar 2018
Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: (01) 713 04 60-60
www.theaterspielraum.at
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