Ich bin viele: Starke Kinder spielen gegen Vorurteile

Ich bin viele: Starke Kinder spielen gegen Vorurteile
Sieben Kinder/Jugendliche und zwei schräge Bühnenprofis spielen knapp mehr als eine Stunde für "ver-rückte" Vielfalt
Ich bin viele: Starke Kinder spielen gegen Vorurteile
Ein gemütlicher Liegestuhl, darauf eine junge Leserin mit riesigem Buchcover - „Romeo & Julia“ auf der Rückseite. Von ihr sind zunächst nur die Beine vom Knie abwärts zu sehen. Später taucht auf dem riesigen Cover ein Video auf – das Gesicht der Leserin (Lena Brandauer, 12). Hektisch trippelt auf einer Seite der Bühne ihr Theatervater (Lucy McEvil) herein – weiblich gekleidet, tauscht eine Perücke gegen eine andere, schminkt sich zurecht für einen abendlichen Auftritt. Auf der anderen Seite die herrlich schräge, das ganze Stück hindurch „nur“ durch Körpersprache und Mimik ganz ohne Worte spielende Oma (Lilly Prohaska). Zwischen seinen Premieren-Vorbereitungen findet der Vater hin und wieder Zeit, die Tochter, die er immer Prinzessin nennt, kurz anzuhimmeln.

Mobbing

Szenenwechsel – in die Schule. Auch hier steht Theater im Theater auf der Bühne. Eine Aufführung von „Romeo & Julia“ soll vorbereitet werden. Ghana, Wortführerin der Klasse (gespielt von Anika Böhm) husst gegen die „Prinzessin“, die ausersehen ist, die Julia zu spielen. In ihren Tiraden hetzt sie gegen die „Freak-Tussi mit dem Tuntenvater“… Die meisten fallen in die hass-erfüllten Sprüche gegen den homosexuellen Vater der „Prinzessin“ ein. Bis es einem Mädchen reicht. Trotz merklicher Heiserkeit startet Jasmin Steffl den starken Song „What the Fuck is your problem…“ Ob schwul oder nicht, alle seinen gleich.

Starkes Spiel

Sehr stark in dieser Szene Lena Brandauer, die am Rand der Bühne steht, deutlich sichtbar und damit klar, dass sie die sich ankündigende Mobbing-Aktion mitkriegt. Sehr zurückhaltend und doch stark präsent. Als sie ins Zentrum des Geschehens kommt, vertschüssen sich nach und nach die anderen – mobben sie durch starke Abgänge, nach dem Motto „mit dir wollen wir nix zu tun haben“. Nur Romeo (Karl Jäger) bleibt. Verspricht ihr Trost – durch Plättchen, die er aus einer Blechdose zieht. Rausch-Zustände sind die Folge – gezeigt durch drehende und blinkende Lichtkreise und –punkte. Vielleicht ein Problem zu viel, das da auch noch ins Stück gepackt wurde.

So viel Vielfalt

Der Konflikt in der Klasse schaukelt sich noch auf, Wortgefechte zwischen Prinzessin und Ghana, zwischendurch Proben-Szenen aus Romeo & Julia und eine weitere (zu) lange Rausch-Sequenz. Doch das Ringen findet ein Ende im starken gesanglichen, tänzerischen Plädoyer, das beim zuvor schon genannten Song „hat the fuck is your problem“ anknüpft. Und im Bekenntnis jeder und jedes einzelnen endet: „ich bin viele, so viele Träume, so viele Ziele, so viele…“

„Prinzessin“, Lena Brandauer, ist trotz ihrer erst 12 Jahre schon eine „alte“ KiKu-Bekannte. Seit vielen Jahren („so seit ich 6 oder 7 war“) tritt sie im jeweils vorweihnachtlichen Musical der Kinderfreunde im Raimundtheater auf – in einer Gruppe von Kindern, die in manchen Szenen tanzen und mitspielen. „Aber das war jetzt ganz was anderes. Das hat schon viel mehr Überwindung gekostet, weil ich da ja öfter ganz alleine und direkt vor dem Publikum stehe, spiele und auch viel Text zu sagen habe. Drum war ich auch viel nervöser. Aber ich hab mir einfach gedacht, schau ein bisschen über die Köpfe des Publikums drüber und stell dir vor, die sind gar nicht da. Dann war’s aber eh anders, weil von den Leuten so viel Kraft rüber gekommen ist.“ Jetzt sei sie sich auch sicher, „dass ich Schauspielerin werden will, vorher hab ich mir das auch schon gedacht, aber erst jetzt ist es ein fixer Wunsch.“

Ich bin viele: Starke Kinder spielen gegen Vorurteile
Auch für Karl Jäger als Romeo war’s nicht die erste und dennoch eine ganz neue Bühnenerfahrung. „Ich bin schon oft auch in der Staatsoper aufgetreten – mit Tanzen, klassischem Ballett. Aber ich wollt mal was Neues probieren – mit Gesang und Schauspiel“. Darum habe er sich beim Casting für diese rolle beworben und sei froh, genommen worden zu sein.

Cool, eine Böse zu spielen

Annika Böhm, die die fiese Ghana gibt, spricht von der Ambivalenz ihrer Rolle. „ich bin ja im wirklichen Leben überhaupt nicht so und manchmal hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, so böse zu sein, Manchmal war’s aber auch ganz schön lustig, das spielen zu dürfen. Ganz schön cool, wenn du so böse sein musst, um’s richtig rüber zu bringen.“

Marla Wiederhold, die schon in „Zazie in der Métro“ (Theater Foxfire), vielfach auf der Bühen agierte, Lea Angerer und Jasmin Steffl schildern noch, dass vieles in den Szenen in der Schule gar nicht von Anfang an feststand, „da haben wir improvisiert und oft dann auch den Text dazu erst bei diesem Spielen gefunden“.

Gegen Vorurteile

Ich bin viele: Starke Kinder spielen gegen Vorurteile
Auslöser für das Stück, so dessen Erfinderin und Regisseurin Natalija Jurković Brandauer zum KiKu „war, dass ich öfter bei Jugendlichen gehört habe, dass sie schwul oder Schwuchtel als Schimpfwort benutzen. Da wollte ich ein Stück dazu machen, kein moralisierendes mit Zeigefinger, sondern eins, in dem eben eine Familie mit einem Homosexuellem vorkommt. Und es dort zugeht wie in einer anderen Familie mit genau so viel Geborgenheit aber auch genau so vielen Problemen und Streitereien wie sonst auch. Das war die Grundidee und –geschichte, alles andere hat sich dann ergeben. Manches ist im Improvisieren entstanden, besonders für die Schulhofszenen stammt vieles von den Kindern.“

Infos

Ich bin viele
Buch und Regie: Natalija Jurkovic Brandauer
Musik: Christian Brandauer
Darsteller_innen: Lilly Prohaska, Lucy McEvil, Lena Brandauer, Lea Angerer, Luis Widmoser, Marla Wiederhold, Jasmin Steffl, Anika Böhm, Karl Jäger
Choreographie: Romy Kolb
Kostüme, Bühne: Markus Kuscher
Maske: Antonija Jurkovic
Musikproduktion: Carlo Pelikan/Studio AG
Video: Ulrich Kaufmann
Licht: DSCHUNGEL WIEN

Bis 29. November
Dschungel Wien, 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20
http://www.dschungelwien.at

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