Antanzen gegen drohende (mediale) Katastrophen

Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
„Disastrous – Kein Grund zur Panik“: Sechs schwebende Tänzer_innen zwischen fliegenden Zeitungen. Neue Fotos: Nach der Aufführung ist vor der Aufführung ;)

Ein einsamer Zeitungleser am Bühnenrand. Plötzlich geht die Tür im Bühnenhintergrund auf – ein Stoß voller Zeitungen wird in die Bühnenmitte geschleudert. Von der Seite stürmen die Tänzer_innen auf dieselbe. Ein wildes, lustvolles, beinahe akrobatisches Bewegungsspiel dreier Profis und dreier Jugendlicher beginnt – mal aller sechs, mal in drei Duetten, dann wieder in anderen Konstellationen. Die Bewegungstalente und die Zeitungen scheinen immer wieder durch den Raum zu fliegen, zumindest zu schweben, dann wieder formieren sie sich bzw. die Akteur_innen die Zeitungen zu Skulpturen.

„Disastrous“ von SILK Fluegge ist derzeit im Dschungel Wien zu sehen, pardon eher zu erleben. Davor schon gab es eine Version in Prag und eine in Linz beim Schäxpir-Festival im Juni dieses Jahres. Ein Teil der erwachsenen Profis ist fix, andere wechseln einander ab, in jeder der Städte – es folgt noch St. Pölten (Mai 2018) – engagiert die Linzer Choreografin Silke Grabinger Kinder bzw. Jugendliche aus der jeweiligen Stadt bzw. deren Umgebung und schafft es, ein harmonisches Ensemble zu formen, bei dem alle sechs einander auf Augenhöhe begegnen.

Beeindruckende Kids

Antanzen gegen drohende (mediale) Katastrophen
Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Von den Wiener Kids hat zwar der 14-jährige Lino Eckenstein schon einige Jahre Bühnenerfahrung – „das ist glaub ich mein fünftes Stück“, meint er nach der Premiere zum Kinder-KURIER. Während des Stücks sagen alle, was für sie ein wirkliches Desaster wäre. „Und das kam wirklich von uns.“ Für ihn wäre es, „wenn ich nicht mehr tanzen könnte“.

Die 13-jährige Matilda Arenillas - die sich mit Adelina Nita abwechselt - berichtet: „Wir haben schon einmal in der Klasse eine Choreografie gemacht, das war’s aber dann auch schon.“ Allerdings besucht sie ein Wiener Gymnasium mit Sportschwerpunkt: „Da haben wir in der Woche acht Stunden Ballspielarten, Leichtathletik, Schwimmen, Geräteturnen...“ Darüber hinaus betreibt sie Kickboxen – und als sie das sagt, strahlen ihre Augen. Ihr Desaster: „Wenn ich von zu Hause nie weg könnte.“

Antanzen gegen drohende (mediale) Katastrophen
Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Die jüngste, die elfjährige Kollegin Lilli-Stella Sipos, überrascht durch besonders starke Präsenz, obwohl dieses Stück ihr allererstes Mal auf einer Theaterbühne ist. „Ich hab zwar ein Jahr lang Ballett gemacht, aber keine Aufführung.“ Katastrophal wäre es für sie, „wenn ich später kein Kind bekommen könnte. Diese Darstellerin wechselt sich mit der 12-jährigen Emilia Greifeneder ab, die schon in einem Dschungel-Stück „Running Wild“ mitgewirkt hat. „Wenn meine Katze sterben würde, wäre das für mich das Schlimmste“, verrät sie, die bei der Premiere noch nicht im Einsatz war, dem Kiku.

Im Gegensatz zur Linzer Version ist die Wiener auf einem kleineren Bühnenraum viel dichter, die Tausenden Zeitungen – der KURIER stellte übriggebliebene Exemplare zur Verfügung – bilden in einer Szenen einen kompletten papierknäuel-Teppich, der

Medienkritik

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Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Tanzperformances von SILK Fluegge zeichnen sich immer durch zweierlei aus: Da sind auf der einen Seite fulminante tänzerisch-akrobatische Bewegungen der Akteur_innen mit vollstem körperlichen Einsatz – mitreißend, manchmal mit fast staunendem Luft anhalten angesichts des Dargebotenen. Auf der anderen Seite geht’s der Regisseurin/Choreografin und Erfinderin der Projekte aber nicht sozusagen um L’art pour L’Art (Kunst um der Kunst willen), sondern immer auch um Thematisierung grundlegender Inhalte. Ob das Rettung, Verschwinden oder was auch immer schon war, diesmal ist nichts weniger als das das zusteuern auf gesamtgesellschaftliche Katastrophe(n) der Dreh- und Angelpunkt. Nicht zuletzt dargestellt durch Unmengen an Zeitungspapier als Symbol für (Massen-)Medien, die sich häufig in Katastrophen-Alarmismus den Konkurrenzkampf um die „bad News“ liefern. Auch wenn die Bedeutung gedruckter Zeitungen abnimmt, für so eine Performance eigenen sie sich allemal besser als Smart-Phones, Tablets oder andere Computer. Das wird für die von Grabinger geplante angekündigte Version 2047 vielleicht ein Problem werden ;)

(Zweck-)Optimismus

Antanzen gegen drohende (mediale) Katastrophen
Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Trotz des Titels und auch der Zitate zu Katastrophen strahlt „Disastrous“ vor allem aber die Energie der Veränderbarkeit aus – so wie die sechs Tänzer_innen mit ihrem körperlichen Einsatz eine Stunde lang unter Beweis stellen, dass Grenzen (der Schwerkraft) zumindest für Momente durch Training und Willenskraft mit scheinbarer Leichtigkeit überwunden werden können, so könnt’s auch gesellschaftlich gehen – wenn es den nötigen solidarischen Zusammenhalt gibt – wie in dem Bild, in dem alle ein gemeinsames aufrechtes Menschen„knäuel“ bilden. Wobei die Wiener Version mit dem Untertitel „Kein Grund zur Panik“ fast noch mehr (Zweck-)Optimismus zu verbreiten scheint.

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Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Disastrous
SILK Fluegge & Dschungel Wien
Tanztheater, 50 Minuten; ab 11 J.

Konzept, Choreografie: Silke Grabinger
Tänzer_innen: Matilda Arenillas/Adelina Nita, Lino Eckenstein, Kirin Espana, Michaela Hulvejová, Matej Kubuš, Lili-Stella Sipos/Emilia Greifeneder

Musik: Ivan Shopov
Kostüm: Bianca Fladerer
Licht: Jan Derschmidt

Dramaturgische Beratung: Emil Felhofer, Angela Vadori
Produktionsleitung, choreografische Assistenz: Olga Swietlicka
Produktionsassistenz: Adelina Nita

Foto: Linda Průšová | Archive of Alfred ve dvoře Theatre

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Szenenfoto aus "Disastrous" von SILK Fluegge & Dschungel Wien
Wann & wo?
Kürzere Spielserien bis 27. April 2018
Dschungel Wien, 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
www.dschungelwien.at
www.silk.at/fluegge/
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