Anne Franks Tagebuch als beklemmend-berührende Oper

Anne Franks Tagebuch als beklemmend-berührende Oper
Im Eisenbahnmuseum Strasshof singt eine Solistin und spielt ein Orchester Abschnitte der Texte des jungen getöten Mädchens

Vor dem alten Waggon im Heizhaus des Eisenbahnmuseums Strasshof malt die blonde Frau mit Kreide Felder auf - glaubhaft stellt sie ein junges Mädchen dar, das Tempelhüpft. Sie freut sich auf ihren Geburtstag, tatsächlich wird ihr sehnlichster Wunsch erfüllt - ein Tagebuch. Weit weniger heiter klingt die Musik, die ein Orchester nebenan spielt - Klavier, Geige, Cello, Kontrabass, Klarinette, Trompete, Fagott und Schlagwerk. Die kommende Düsternis kündigt sich an.
So beginnt die Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" von Grigori Frid. Diese äußerst berührende, beklemmende musikalische Version der berühmten Geschichte wird nach der Premiere am Sonntag noch am Dienstag und Freitag aufgeführt.

Unbeschwert mit Schatten

Anne Franks Tagebuch als beklemmend-berührende Oper

Sarah Tuleweit singt und spielt Anne Franke - von der unbeschwerte - durch die Musik aber bereits überschatteten - Kindheit in Freiheit über die ersten Einengungen - Tragen des Jugendsterns - und vor allem im Geheimversteck (hier einem Eisenbahnwaggon). Dort singt die Solistin Textpassagen aus dem Tagebuch, untermalt sie mit nie zu vielen, punktgenau gesetztem szenischem Spiel. Und zieht sich auch manchmal auf Annes Lieblingsort, den Dachboden, zurück. Der ist hier das Dach des Waggons. Hier gelingt ihr sogar die emotionale Flucht aus der Enge des Verstecks - Gefühle wie die ersten Verliebtheiten gibt sie hier Preis.
Der äußerst gelungenen Leistung der Solosängerin und -darstellerin verleiht das Kammerorchester mit seinem gekonnten, vielschichtigen Spiel mehr als eine Untermalung, mehr als einen Klangteppich - die gesamtgesellschaftliche Tristesse von faschistischer Diktatur, rassistische und politische Verfolgung bis hin zur Vernichtung von Millionen Menschen - diese Tiefe verleiht Grigori Frids Musik unter der musikalischen Leitung von Ilya Tauber dieser knapp einstündigen Oper.

Beklemmende Kulisse

Anne Franks Tagebuch als beklemmend-berührende Oper

Das Ambiente des alten Eisenbahnwaggons, eines originalen aus der NS-Zeit, in dem Menschen in Konzentrationslager deportiert wurden, verstärkt in dieser Inszenierung (Konzept und Regie Nina Dudek) die Authentizität und berührt neben Gesang, Schauspiel und Musik das Publikum damit noch in einer Dimension mehr. Genial der beklemmende Schluss - Waggontür zu, nur eine Hand Annes schaut noch aus einer Ritze und die Türen des Museums werden geöffnet - bereit zum Abtransport - nach Bergen-Belsen, jenes KZ, in das Anne Frank zunächst verfrachtet.
Zur Premiere waren auch rund vier Dutzend alte Frauen und Männer aus Ungar gekommen, sie hatten das KZ Bergen-Belsen überlebt - dorthin waren sie von Strasshof aus deportiert worden.

Geschichte aufgearbeitet

Anne Franks Tagebuch als beklemmend-berührende Oper

Die Arbeitsgruppe Strasshof, die die dunkle Seite der Geschichte dieser niederösterreichischen Stadt aufarbeitet, hat zusammengetragen, dass in den beiden letzten Jahren der Nazizeit von hier aus täglich drei Züge mit rund 4000 bis 5000 Menschen in die Vernichtungslager transportiert worden sind.
Die Kammeroper stellt ein berührendes Gedenken dar, das - hoffentlich - dazu beiträgt, eine Wiederholung von Ähnlichem auch nur im Ansatz zu verhindern.
Heinz Wagner

Infos

DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK, Mono-Oper von Grigori Frid, Vorstellungen in Original-Eisenbahnwagen aus der NS-Zeit im Heizhaus Eisenbahnmuseum Strasshof an der Nordbahn; Telefon: 0650 40 33 401

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Bilder

  • Hintergrund

Kommentare