Jan-Uwe Rogge: "An die Kraft der Kinder glauben"

Familienberater Jan-Uwe Rogge
Der Star unter den Elternberatern über den Umgang mit Handys und die allzu häufige Zuschreibung "hyperaktiv".

Der deutsche Erziehungsexperte und Autor Jan-Uwe Rogge war auf Einladung des SOS Kinderdorfs vor Kurzem in Eisenstadt zu Gast. Mit dem KURIER sprach der Siebzigjährige über die Probleme, die das digitale Zeitalter für die Erziehung mit sich bringt, und warum Eltern Vertrauen in ihre Kinder haben sollten.

KURIER: Ab welchem Alter fängt Erziehung an?

Jan-Uwe Rogge: Wenn man Erziehung als Beziehung versteht – in Beziehung treten zu sich selber und zum Kind –, dann fängt Erziehung am ersten Tag an. Wichtig ist, dass man Erziehung nicht als Ziehen versteht, es soll eine Beziehung sein.

Überall gibt es Elternkurse und Gruppen im Internet. Ist die Kindererziehung heute so kompliziert geworden, dass man ohne fremde Hilfe nicht auskommt?

Hier muss man klar unterscheiden zwischen Elternkursen, die von professionellen Pädagogen gemacht werden, oder Tipps im Internet. Online gibt es vieles, das sehr oberflächlich ist. Ob es komplizierter geworden ist? Es ist komplexer geworden. Heute hat sich die Erziehung auf Schule, Kindergarten und auch Verwandte verteilt. Dass Eltern Rat suchen, war schon immer so: Elternkurse gab es schon vor 250 Jahren.

Was hat sich an den Erziehungsproblemen verändert?

Um es mit dem Alten Testament zu beantworten: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Würde eine Großfamilie Probleme von heute abfedern?

Ich warne vor der Idealisierung einer Großfamilie. Großeltern werden heute älter und haben mehr Möglichkeit, mit ihren Enkeln in Beziehung zu treten. Vor 100 Jahren war das anders – aufgrund der Lebenserwartung starben Großeltern früher.

Zweijährige können ohne Probleme YouTube am Handy bedienen. Was bedeutet das für die kindliche Entwicklung?

Ich bin analog aufgewachsen und kein digitaler Typ. Das heißt auch, dass ich bereit sein muss, von den Kompetenzen der Kinder zu lernen. Ich kann mich nicht hinstellen und sagen: "Ich weiß alles." Kinder wissen sehr viel, aber zugleich ist die Verantwortung der Eltern nicht anders geworden. Ich muss als Mutter und Vater Grenzen setzen, was die Dauer und den Inhalt betrifft. Was ich wichtig finde, dass sich Eltern überlegen: Was möchte ich meinen Kindern weitergeben? Aber auch umgekehrt: Was kann ich von den Kindern lernen? Wo sind sie ein Stück weit mein Lehrer?

Wie viel digitalen Freiraum kann man Kindern zugestehen? Oder ist Kontrolle besser?

Kinder und Jugendliche nehmen sich sowieso diese Freiheit. Unsere Aufgabe besteht darin, sie zu lehren, mit dieser Freiheit selbstbewusst umzugehen.

Tablet oder Handy in die Hand und die Kinder sind ruhiggestellt – was könnte eine Alternative sein, wenn sich ein Kind z. B. am Tisch nicht benimmt?

Wenn Besuch kommt, das Essen vorzubereiten ist und die Kinder nerven, kann das eine Ausnahme sein, die durchaus praktikabel ist. Wer digitale Medien nutzt, um Kinder generell ruhig zu stellen, hat ein Problem. Es gibt die Stresssituationen, in denen es keine Alternative gibt. Das darf kein Dauerzustand sein: Kinder lieben Abenteuer und das Spiel, sie lieben Eltern, die mit ihnen im besten Sinne in Bewegung sind.

Trotzköpfchen und Zappelphilipp – nehmen Verhaltensauffälligkeiten zu?

Man soll Kinder beschreiben und ihnen keine Eigenschaften zuschreiben. Zuschreibungen sind heute ein großes Problem. Ein zappeliges Kind ist schnell hyperaktiv und nicht bewegungsfreudig. Vergleiche nie ein Kind mit einem anderen. Wertschätzung ist wichtig.

Welche Probleme sehen Sie zukünftig auf Familien zukommen?

Wichtig ist, dass man die Kinder so nimmt, wie sie sind und nicht, wie man sie gerne hätte. Es wird immer Kinder geben, die nicht den Erwartungen entsprechen. Nehmt euch als Eltern an, wie ihr seid, dann könnt ihr auch eure Kinder annehmen, wie sie sind. Und glaubt an die Kraft der Kinder. Das genügt.

Jan-Uwe Rogge ist ein Star unter den Erziehungsberatern, mit seinen kabarettistischen Vorträgen füllt er ganze Hallen.

Er wurde 1947 in Stade, Norddeutschland geboren, war bei der Deutschen Marine und studierte Germanistik, Politische Wissenschaft und Kulturwissenschaft. Als Autor hat er mehrere Erziehungsratgeber und Kinderbücher verfasst, darunter "Warum Raben die besseren Eltern sind", "Familie für Fortgeschrittene" oder "Kinder brauchen Grenzen".

Er führt eine Praxis als Familienberater und hält auch Seminare für Eltern.

www.jan-uwe-rogge.de

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