Wie Eltern das "Natur-Defizit-Syndrom" bekämpfen

Kinder haben eine grüne Seele.
So vermitteln Eltern ihren Kindern mehr Bezug zur Umwelt.

Seit die Damen von der Müllabfuhr auf Besuch in seiner Schulklasse waren, achtet Gideon (7) mehr auf die Natur: „Können wir einen Kompost-Mistkübel machen?“, „Ich bade nur noch, wenn ich schmutzig bin“ oder „Wir sollten das Geschenk in Zeitungspapier einpacken“, sind Gedanken, mit denen er jetzt die Familie beschäftigt. Der „Upcycling-Workshop“ im Zoom-Kindermuseum mit Dingen, die andere in den Mist geworfen hätten, beflügelte seine Fantasie weiter. Dort zeigt auch eine tolle Ausstellung den Kindern, wo und warum überall auf der Welt Plastik verteilt ist.

Langsam weicht der Konsumrausch der Plastikgeneration einem stärkeren Bewusstsein für die Umwelt in den Familien. Während früher nur Öko-Freaks in Bio-Baumwoll-Hemden ihre Kinder mit fair produziertem Essen versorgten, erreicht der Trend zum nachhaltigen Erziehen die Durchschnitts-Familien.

Ein Umdenken sei dringend notwendig, warnte der US-Autor Robert Louv schon 2005 und prägte den Begriff „Natur-Defizit-Syndrom“: Viele Verhaltensauffälligkeiten von Kindern wie ADHS seien Folgen von mangelndem Erlebnis von Natur. In ihrem neuen Buch „Green Parenting – Wie man Kinder großzieht, die Welt rettet und dabei nicht verrückt wird“ bietet die britische Autorin Kate Blincoe Eltern Tipps, wie sie frischen Wind in ihre Familien bringen können.

Wie Eltern das "Natur-Defizit-Syndrom" bekämpfen
Child and sunflower, summer, nature and fun.
„Aller Wahrscheinlichkeit nach haben Sie einen Berg an Spielzeug zu Hause. Für die Umwelt zählt, woraus es besteht und was Sie damit machen.“ Sie legt Eltern nahe, den Kindern vermehrt Dinge aus Holz zu kaufen oder auch aus Recyling-Material statt aus Plastik. „Dann besteht es auch den Vererbungstest, wenn Spielzeug aus Kunststoff schon aufgegeben hat.“ Weniger Plastik sei auch für die gemütliche Atmosphäre im Kinderzimmer gut: „Verwenden Sie Seegras oder Weidenkörbe als erneuerbare Alternative.“ Eine weitere Anregung betrifft die Batterien für die Spielsachen: „Leisten Sie sich ein Ladegerät.“ Wer keine Geschwister oder kleineren Freunde zum Weitergeben hat, kann die Lebensdauer seiner Spielsachen und Kleidungsstücke auch durch Spielzeugtausch oder im Second-Hand-Shop verlängern, rät Blincoe in ihrem Kampf gegen den Konsumrausch. Diese Bemühungen sieht Ruth Berka wenig optimistisch. In ihrer Boutique „Hänsl & Gretl“ verkauft sie seit fast 20 Jahren gebrauchte Kindermode und Spielzeug: „Früher wollten die Kunden gute Qualität billiger kaufen, jetzt zählt nur noch der Preis.“

Sachen schätzen

Der Umgang mit Geld hat bei der nachhaltigen Erziehung eine wichtige Bedeutung, nicht nur, wenn es knapp ist. Kinder sollten die Dinge zu schätzen wissen, die sie haben. Reparieren oder selbst herstellen sei manchmal besser als neu kaufen, meint Blincoe und bringt Knetmasse und Seifenblasen als Beispiel. Das hat gleich vier Aspekte: es muss nicht schon wieder Geld ausgegeben werden, die Kinder sehen die Inhaltsstoffe – die sind jedenfalls gesünder als industriell gefertigt – und sie erleben den Aufwand, der mit der Produktion verbunden ist.

Blincoe bringt auch Putzen als Beispiel, vor allem jüngere Kinder helfen dabei ja gerne mit: Statt radikaler Putzmittel empfiehlt sie alte Hausmittel wie Essig, Natron oder Teebaumöl.

Dem Essen gibt „Green Parenting“ viel Bedeutung. „Am liebsten würde ich darauf verzichten, im Supermarkt einzukaufen – aber das wäre Blödsinn“, so Blincoe und rät, bei Bauernmärkten einzukaufen und ab und zu direkt bei einem Produzenten – wo die Kinder Nahrung im Ursprungszustand sehen. Am besten ist, wenn Kinder das Wachstum miterleben: „Ziehen Sie Pflanzen in einem Hof oder auf einem Fensterbrett: Nichts macht Kindern mehr Spaß, als wenn sie etwas direkt vom Strauch essen.“

„Papa, wo wachsen eigentlich Kartoffeln?“ Die Frage seine Sohnes war ein Schock für Michael Meyer: „Zuerst habe ich mir gedacht, was für eine dumme Frage. Und dann habe ich mir gedacht: Der kann das gar nicht wissen – er lebt in der Stadt.“

Er selbst hat andere Erinnerungen an seine Kindheit. Aufgewachsen auf einem Bauernhof war für ihn das Leben im Freien ganz normal: „Du bist viel erdverbundener und du schätzt das, was da wächst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das meinen Kindern so rüberbringen kann“, so Mayer. Er selbst arbeitete als Landwirt, bevor er für einen Job nach London übersiedelte, dort eine Brasilianerin heiratete und mit ihr in Wien Carl (7) und Luise (4) bekam. Am Land nehme man den Jahreskreis ganz anders wahr: „Jetzt gibt es ständig alle Sorten Obst und Gemüse im Supermarkt und die Kinder bekommen von der Natur wenig mit. Wenn schlechtes Wetter ist, kommen die Kinder kaum hinaus. Dann werden sie tagelang nicht schmutzig!“, bedauert er seine Stadtkinder.

Da kam ihm die Idee eines kreativen Biobauers wie gerufen: Der vermietet Ackerparzellen außerhalb von Wien, auf der er auf rund 15 Quadratmeter Gemüse für die Städter pflanzt und pflegt, ein Familienerlebnis. Mayer: „Wir fahrten am Wochenende oder sogar öfter hinaus. So pflegen wir unseren Garten, arbeiten mit der Harke und jäten das Unkraut und dann sehen wir dem Gemüse beim Wachsen zu. Dann ernten wir Spinat, Salat, Tomaten und anderes, das lieben die Kinder. Die Erbsen essen sie gleich frisch aus der Schote.“ Zu Hause wird gekocht und gegessen.

Lust auf Gemüse

Er beobachtet in seinem Umfeld ein großes Interesse an einem Rückzug in die Natur. Freunde sind seinem Beispiel gefolgt und haben Ackerflächen gemietet. Das Konzept geht auf: Viele Flächen in ganz sind schon vergeben (www.selbsternte.at). Auch Urban Gardening, bei dem freie Flächen in der Stadt zum Anbauen verwendet werden, boomt.

Dabei kommen sogar Erwachsene erstmals in Kontakt mit frischem Gemüse, lacht Mayer: „Meine Nachbarn haben die unreifen Karotten herausgezogen, weil sie das Grün für Unkraut gehalten haben.“ Die Kartoffel-Frage seines Sohnes beantwortete er mit einem Feld in seiner Heimatgemeinde: „Wir haben dort Kartoffeln gesät und später geerntet. Das war für die Kinder wie Ostereier sammeln.“

Übernachten im Zelt.

Nichts ist näher an der Natur als eine Nacht unter dem Sternenhimmel. Die Geräusche der Umgebung hören, gemeinsam am Lagerfeuer sitzen, bei Sonnenaufgang wird es wirklich hell, vielleicht sogar pinkeln hinter den Bäumen. Wer kein eigenes Zelt hat, bekommt es an den „Green Weekends“ vom Umweltbüro der Stadt Wien. Im Burgenland können Familien im Miet-Wohnwagen übernachten (www.podersdorfamsee.at).

Umweltbewusste Woche.

Eine Zeit lang bewusst umweltschädliche Gewohnheiten abzulegen, schafft ein Umdenken. Statt Sackerl kaufen eine Tasche mitbringen und keine Getränke in Plastikflaschen kaufen. Oder nicht Auto fahren. Ein guter Anlass sind etwa der internationale „Plastic Bag Free Day“ am 3. Juli oder die gestrige „Earth Hour“ und der morgige „Tag des Waldes“.

Etwas Eigenes essen.

Die Nahrungsmittel kommen nicht nur aus dem Supermarkt, am besten schmeckt es selbst gepflückt. Löwenzahn auf der Wiese suchen und zu einer Omelette verarbeiten. Bärlauch sammeln und „Doch-Nicht-Knoblauch-Brot“ damit machen. Holunder oder Hagebutten zu Sirup verkochen.

Grüne (Geburtstags)Feier.

Bei gutem Wetter lässt es sich draußen ideal feiern. Papierboote falten und schwimmen lassen. Brot am Feuer backen. Tiere füttern. Zum Abschied ein Säckchen mit Blumensamen.

Haustier auf Zeit.

Auch wenn Sie keinen Mitbewohner auf vier Pfoten erlauben, können Sie sich bei Kindern und Freunden leicht beliebt machen: In der Urlaubszeit sind Tierbesitzer dankbar für jeden freiwilligen Betreuer. Und Ihre Kinder lernen, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen.

Nur ein kleines Samenkorn.

Autor Eric Carle ist der auch Schöpfer der legendären Bilderbuches über die kleine Raupe Nimmersatt (13,40 €).

Das große österreichische Alpenbuch für Kinder.

Sehr unterhaltsam werden die Berge und ihre Geschichte(n) vorgestellt (18 €).

Alarm im Polarmeer.

Warum schmilzt das Eis? Das „Klima-Mitmach-Buch“ erklärt es gut für Kinder von acht bis zwölf Jahren (18,50 €).

Wo kommt das her?

Das Buch zeigt den Weg „vom Rohstoff zu T-Shirt, Apfelsaft & Co.“, damit aus den Kindern kritische Käufer werden (10,30 €).

Benny Blu

Die kleine Sachbuchreihe für Kinder ab fünf Jahren erklärt Themen wie Strom, Wetter, Bio, Energie und Umweltschutz (2,10 €).

Nix wie raus

Geolino ist das bekannteste Kindermagazin und bietet auf dieser App „Wissen für die Wildnis“, um Kinder ins Freie zu holen. Es gibt auch Apps zu Themen wie Säugetiere und Erfindungen. Für die Kleineren bieten die Geomini-Apps auch Spiele – zum Beispiel jenes mit Georg, dem Grashüpfer.

Star Walk / Sky Map

Unterwegs im Dunklen und das Kind möchte wissen, welche Sterne es sieht? Kein Problem: Mit den Astronomie-Apps hält man das Smartphone Richtung Himmel und bekommt eine Karte mit allen Angaben. So wird die Nachtwanderung zum echten Familienabenteuer.

Schrittzähler

So bringen Sie einen faulen Teenager in Schwung: Jedes Familienmitglied zählt seine Schritte und wer am meisten unterwegs war, hat gewonnen. Auch die Lauf-Apps helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden. Privatsphäre zählt: Die Ergebnisse bleiben in der Familie und nicht auf Facebook.

Geocaching

Die Eltern wollen wandern und die Kinder finden das so faaad? Mit Geocaching ist die ganze Welt eine große Schatzsuche. Das Smartphone gibt den Kindern die Hinweise. Tipp für Anfänger: An einem vertrauten Platz anfangen und eine große Sache (aus)suchen. Wer ohne Handy unterwegs ist, findet die Infos auch unter www.geocaching.at.

Eule-App

In den Wäldern der Hauptstadt gibt es so viel zu tun und die App der Wiener Umweltbildung macht richtig Lust darauf. Alle Veranstaltungen rund über Tiere, Artenschutz und Umwelt werden hier aufgelistet und Mitmach-Aktionen vorgestellt. Wer etwas erlebt hat, kann auch seine Kommentare posten.

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